Warum Athen allmählich in Richtung "Grexit" taumelt

Null Euro, ein Hinweis auf die Staatskassen? Graffiti in Athen
Ein Euro-Austritt ist rechtlich unmöglich - ohne Einigung könnte er aber faktisch unausweichlich werden.

Wann ist Griechenland jetzt wirklich pleite?

Wenn es kein Geld mehr hat, um seine Rechnungen zu bezahlen. Wann das genau ist/war, darüber lässt sich aber trefflich streiten. Eigentlich war Griechenland nämlich schon 2010 zahlungsunfähig. Zwar schieben alle Staaten mehr oder minder große Schuldenberge vor sich her. Das ist aber kein Problem, solange fällige Kredite (Staatsanleihen) immer wieder in neue umgewandelt werden können.

Nur: Athen wollte schon vor fünf Jahren niemand mehr frisches Geld borgen – außer den Euroländern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Dank deren Hilfskrediten mit ermäßigten Zinssätzen konnte Athen weiterhin seine Schulden bedienen und Pensionen oder Beamtengehälter auszahlen. Bis jetzt.

Warum drängt jetzt auf einmal die Zeit so sehr?

Weil die Wirtschaft praktisch stillsteht, solange die Banken zugesperrt sind. Und weil kein Geld von den Rettungskrediten mehr fließt, solange es keine Einigung mit dem Geldgebern gibt. Athens Steuereinnahmen reichen jedoch weder für die Rückzahlung der Schulden, noch für die laufenden Staatsausgaben. Mit einer Kreditrate an den IWF in Höhe von 1,56 Milliarden Euro sind die Griechen seit 1. Juli in Verzug. Am 10. Juli muss der Staat 2 Milliarden Euro an Kurzzeit-Krediten (so genannte T-Bills) zurückzahlen – vor allem an griechische Banken. Fließt dieses Geld nicht, müssten die Ratingagenturen den Zahlungsausfall („Default“) feststellen. Die Staatspleite wäre damit offiziell.

Wie könnte es dann zu einem „ Grexit“ kommen?

Eine Staatspleite bedeutet noch nicht automatisch den Euro-Austritt. Rechtlich ist dieser gar nicht möglich – ein Land kann nur aus der EU ausscheiden. Es gibt aber Szenarien, die den „Grexit“ fast unausweichlich machen:

Bankenkollaps Momentan halten nur noch Geldspritzen aus dem europäischen Notenbankensystem (die sogenannte ELA, siehe unten) die Banken über Wasser. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist in einer schwierigen Situation: Sie fordert am 20. Juli rund 3,5 Mrd. Euro aus Staatsanleihen zurück. Bleiben die Griechen dieses Geld schuldig, könnte die EZB kaum anders handeln und müsste die Rückzahlung der ELA-Nothilfen einfordern – das sind aktuell fast 90 Mrd. Euro, die Banken wären umgehend pleite. Dasselbe Szenario droht, wenn der Staat den Bankrott erklärt und die Institute ihren Bestand an staatlichen Wertpapieren abschreiben müssen.

Offene Rechnungen Nur Finanzminister Euklid Tsakalotos weiß, wie lang Athen die Pensionen und die Gehälter der Beamten noch in Euro auszahlen kann. Sind die Staatskassen endgültig leer, müsste er diese mit Schuldscheinen (IOUs) vertrösten. Der Empfänger hätte ein Papier in der Hand, das ihm einen Anteil an den künftigen Steuereinnahmen zusichert. Damit müsste man im Inland einkaufen können. Die Frage ist aber, ob diese Zettel akzeptiert würden – und wenn ja, mit welchem Abschlag. Sie wären sicher viel weniger wert als ein Euro.

Gab es das schon einmal?

Ja. 2009 musste Kaliforniens damaliger Gouverneur Arnold Schwarzenegger Zahlungsengpässe überbrücken, weil das Parlament mit dem Budgetbeschluss wieder einmal in Verzug war. Dort ging es aber nur um wenige Wochen; die IOUs wurden schließlich nicht mehr als paralleles Zahlungsmittel zum Dollar akzeptiert. „In Griechenland ist das Problem ein langfristiges, das ist undenkbar“, sagt Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny: „Das wäre eine wertlose Sache, eine Art Hilfspflaster, aber kein Ersatz für eine reguläre Währung.“ In Argentinien waren IOUs 2001 die Vorstufe zum Währungszusammenbruch.

Warum drucken die Griechen nicht eigenes Geld?

Tatsächlich druckt die griechische Notenbank seit vielen Jahren 10-Euro-Scheine – erkennbar am Buchstaben Y vor der Seriennummer (Österreich hat N). Die Menge ist aber strikt von der EZB vorgegeben. Halten sich die Griechen nicht daran, wäre das der offene Bruch mit dem Euro. Sie würden aus dem Zahlungssystem ausgeschlossen – und die illegalen Banknoten wären schlicht Falschgeld.

Was wäre, wenn Athen die Drachme wiedereinführt?

Die Regierung würde sich vermutlich rasch den Zugriff auf die Notenbank verschaffen und deren Unabhängigkeit beenden. Yannis Stournaras, der aktuelle Gouverneur der Bank of Greece, ist zwar international durchaus angesehen, für die Syriza-Regierung aber ein rotes Tuch: Er war Finanzminister in der Regierung des konservativen Premiers Antonis Samaras und hat die Troika-Politik mitgetragen.

Die Drachme wäre nur einen Bruchteil des Euro wert - gut ein Drittel weniger, so Schätzungen. Diese Abwertung könnte der Wirtschaft womöglich langfristig auf die Beine helfen - sicher ist das aber nicht. Kurzfristig wäre der Schaden für die Menschen enorm: Importe würden nahezu unleistbar, die Versorgungslage würde noch schlechter, die Preise für Alltagsgüter würden in die Höhe schießen. Euro-Ersparnisse wären in Drachme gerechnet nur einen Bruchteil wert. Die Schulden im Ausland würden sich vervielfachen, jahrelange Rechtsstreitigkeiten wären programmiert. Die Wirtschaftsleistung, die seit 2008 um gut ein Viertel eingebrochen ist, würde binnen vier Jahren um ein weiteres Fünftel schrumpfen, schätzt Oxford Economics.

Weiterführende Artikel:

ELA: Die „Emergency Liquidity Assistance“ (ELA) sind Notfallkredite, die Banken helfen sollen, die vorübergehend nicht flüssig sind. ELA geht auf das Risiko der jeweiligen Notenbank; die Banken müssen Pfänder hinterlegen. Diese wären im Fall einer Staatspleite aber so gut wie nichts wert.

EZB: Eine verzwickte Lage für die Europäische Zentralbank: Sie muss ELA genehmigen und darf das nur, solange die Banken solvent sind. Fordert sie die Rückzahlung der Hilfskredite, ließe das das Finanzsystem kollabieren.

IOU: Gemeint sind Schuldscheine, die ein Staat an seine Bürger ausgibt, wenn er nicht flüssig ist. Im Englischen klingen die drei Buchstaben des Kunstwortes wie „I owe you“ (Ich schulde Ihnen).

ESM: Die ersten Hilfen für Griechenland wurden vergeben, bevor es den Rettungsschirm ESM (Europäischer Stabilitäts-Mechanismus) gab. Das dritte Paket müsste beim ESM beantragt werden.

IWF: Der Internationale Währungsfonds gehört 188 Mitgliedstaaten. Er vergibt als globale Finanzfeuerwehr Kredite, wenn es sonst niemand tut – und ist für seine strengen Auflagen vielfach verhasst.

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