Aufstand im Getto: Gedenken und Misstöne

Vor siebzig Jahren begann die jüdische Rebellion im Warschauer Getto.

Ein junger Mann im Mantel reckt seine rechte Faust, in der eine Osterglocke steckt – dieses Motiv malt der Street Art Künstler Dariusz Paczkowski derzeit mit vielen Helfern an die riesige Hauswand eines Plattenbaus. Er liegt auf dem Gelände des ehemaligen Warschauer Gettos. Das Gemälde ist eine Hommage an Marek Edelman anlässlich des 70. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Getto am 19. April.

Edelman war in den Tagen des Getto-Aufstandes Kommandant in den Kämpfen der jüdischen Bewohner gegen die deutschen Nazi-Truppen. Nach einzelnen Kämpfen im Jänner 1943 umstellten deutsche Truppen am 19. April das Getto. In den ersten Tagen konnten die insgesamt etwa 1500 jüdischen Kämpfer die Einheiten der SS, Polizei und Wehrmacht aufhalten. Wegen der Bombardierung des Viertels mussten sie sich zurückziehen. Nur den wenigsten gelang die Flucht. Der ehemalige Gettobezirk wurde dem Erdboden gleichgemacht.

Knapp überlebt

Die Kämpfe bis zum 16. Mai 1943 überlebten nur wenige der 55.000 Juden im GettoEdelman war einer von ihnen. Bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2009 legte er Osterblumen oder gelbe Tulpen vor dem Getto-Denkmal nieder.

Edelman, der auch in seinem Beruf als Kardiologe dem Sterben nahe war, gilt als Hüter der ermordeten Juden. „Die Erinnerung ist unser Lehrer“, sei einer seiner wichtigen Grundsätze gewesen, erzählt Paula Sawicka dem KURIER. Die Psychologin war die engste Vertraute Edelmanns in dessen letzten Lebensjahren. Sie leitet die Vereinigung „Offene Republik“, die sich gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einsetzt und unterstützt auch die laufende Malaktion.

Sein Überleben, so Sawicka, hatte Edelman dem damals 19-jährigen Jungen Kazik zu verdanken, der auf der „arischen Seite“ einen Lastwagen organisierte, mit dem Edelman und andere Kämpfer aus dem brennenden Getto fliehen konnten. Kazik, mit bürgerlichem Namen Symcha Ratajzer-Rotem, wird mit zwei weiteren Überlebenden aus Jerusalem anreisen und an den Gedenkfeiern teilnehmen, die unter dem Patronat von Präsident Bronislaw Komorowski stehen.

Museum

Die Feierlichkeiten werden mit mehreren Auftritten von polnischen und israelischen Orchestern bestritten, die im „Museum zur Geschichte der Juden Polens“ statt finden werden. Das Museum, das im Oktober offiziell eröffnet wird, wir dann erstmals seine Pforten öffnen. Dieser Tage verteilen Freiwillige Osterblumen aus Papier in Warschau an jene, die der zahlreichen Getto-Opfer gedenken wollen.

Doch im Vorfeld gibt es auch Misstöne. Das Warschauer „Zentrum für Holocaust-Studien“ protestiert gegen ein Monument, dessen Konzept am Jahrestag vorgestellt werden soll: Ein Gedenken an die polnischen Gerechten unter den Völkern, an Polen, die Juden vor dem Holocaust gerettet haben. Das von der Stadt geplante Gedenken direkt neben dem Museum sei ein „Triumph nationaler Selbstzufriedenheit“ heißt es in einem offenen Brief.

Antisemitismus

Als Hintergrund ist Polens Bemühen zu sehen, gegen Tendenzen in den westlichen Medien anzugehen, die gerne den Polen Antisemitismus bescheinigen und ihnen so eine Mitschuld am Holocaust vorwerfen.

Wellen schlägt derzeit auch die Äußerung eines polnischen Historikers in der Zeitschrift Focus Historia. Krzysztof Jasiweicz behauptet dort, dass „Generationen von Juden dem Holocaust entgegen gearbeitet“ hätten, ein Dialog mit Juden sei „Zeitverschwendung“. Michał Wójcik, der Chefredakteur der Zeitschrift, entschuldigte sich für den Abdruck des Interviews.

Warschauer Getto
Es wurde 1940 von den deutschen Nationalsozialisten im Zentrum Warschaus errichtet und war das größte Sammellager für Juden aus Polen und anderen besetzten Ländern. Von hier aus wurden sie in das Vernichtungs- lager Treblinka deportiert.

Aufstand
Ab 1942 wurde das Getto schrittweise aufgelöst. Unter jenen Bewohnern, die noch nicht abtransportiert und getötet wor- den waren, bildete sich Wider- stand. Ein mehrwöchiger Auf- stand 1943 wurde brutal nieder- schlagen, das Getto zerstört.

Für zunehmende deutsch-polnische Verstimmungen sorgt die ZDF-Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“. Der Dreiteiler über den Zweiten Weltkrieg stellt die Kämpfer der polnischen Untergrundorganisation „Heimatarmee“ pauschal als Antisemiten dar. Er wurde vor zwei Wochen in ZDF und ORF von vielen Millionen Zuschauern gesehen. Nun will die „Polnische Liga gegen Diffamierung“ am Samstag vor dem Warschauer ZDF-Studio protestieren und Druck machen.

Nach Protesten des polnischen Botschafters und zahlreicher polnischer Journalisten melden sich auch Veteranen der ehemaligen Partisanenorganisation. „Geht es vielleicht darum, zu lancieren, die wahren Antisemiten im 20. Jahrhundert wären nicht die massenweise den Nationalsozialismus bejahenden Deutschen gewesen, sondern die Polen?“ schreibt Tadeusz Filipek, Vizepräsident des Weltbunds der Heimatarmee-Soldaten, in einem offenen Brief.

„Juden ertränken wir wie Katzen“, erklärt der polnische Partisanenchef im TV-Dreiteiler einem deutschen Juden. Juden in Viehwaggons auf dem Weg in ein KZ werden von den Partisanen, die den Zug unter ihrer Kontrolle haben, nicht befreit. Sie seien tot besser als lebend.

Auch der sonst zurückhaltende Vorsitzende des Staatsfernsehens TVP, Juliusz Braun, hat „verfälschende Vereinfachungen“ kritisiert. Zwischen den Sendern laufen seit Jahren Kooperationen. Dem ZDF, dem solche Kritik zu seinem 50. Geburtstag ungelegen kommen, berief sich in einem Schreiben auf „namhafte Historiker“, die an der Produktion mitgearbeitet hätten.

Fakt ist: In der größten Widerstandsorganisation im von Deutschland besetzten Europa, mit ihren fast 400.000 Männern und Frauen, gab es Antisemitismus und Übergriffe. Das wird auch von den wenigsten Polen bestritten. Jedoch kämpften auch Juden bei den Partisanen, es gab Befreiungsaktionen und Hilfe für jüdische Kombattanten im Warschauer Gettoaufstand 1943.

„Der Film wirft die deutsch-polnische Versöhnung um Jahre zurück. Für die Darstellung polnischer Helden als Helfer der deutschen Okkupanten muss sich der ZDF bei den Veteranen entschuldigen“, so Maciej Swirski, der Kopf der Samstags-Demonstration, gegenüber dem KURIER. „Sonst“, so das ehemalige Vorstandsmitglied der polnischen Presseagentur PAP, „lassen wir den Protest eskalieren.“

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