Spanien-Wahl: Umstürzen oder Weglächeln

Bei den Parlamentswahlen am Sonntag werden zwei neue Bewegungen das alte Zweiparteiensystem zu Fall bringen. Podemos kommen von links, Ciudadanos besetzen die bürgerliche Mitte.

Podemos: "Sie haben Klopapier aus der Verfassung gemacht"

Spanien-Wahl: Umstürzen oder Weglächeln
Leader of left wing party Podemos and candidate for the upcoming December 20 general election, Pablo Iglesias speaks during a campaign meeting in Madrid on December 13, 2015. Public over corruption across the political spectrum, as well as companies, unions, banks, celebrities, and even royalty could cost Spain's traditional parties dearly in upcoming elections as sky-high unemployment and austerity has seen the emergence of two new parties -- the anti-austerity Podemos and centrist Ciudadanos -- both threatening to the two-party monopoly at the polls says sociologist Jose Pablo Ferrandiz of polling institute Metroscopia. AFP PHOTO / JAVIER SORIANO
Nein, persönlich trifft man Pablo Iglesias dort nur noch selten. Doch wer verstehen will, welche Ideen und Weltanschauungen den Podemos-Chef geprägt haben, schaut und hört sich am besten in seinem Stammlokal, der Achurri-Bar, und in den umliegenden Gassen des Madrider Multikulti-Viertels Lavapies um. Hier diskutieren linke Studenten bei Bier und Milchkaffee die soziale Krise, handeln Schwarze mit allem, von gefälschten Marken-T-Shirts bis Drogen, kocht ein Bangladeschi Curry neben einem Ein-Euro-Shop für Sozialhilfe-Empfänger.

Vor ein paar Jahren, auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise, entstand hier die Protestbewegung "Indignados" ("die Zornigen"). Spaniens Jugend ging für die Zukunft, die man ihr weggenommen hatte, auf die Straße, Lavapies war quasi ihr Hauptquartier – und Pablo Iglesias mittendrin. Der Politologe an der Universität Madrid schaffte es schließlich, die Straßenproteste in eine strukturierte politische Bewegung umzuleiten. Podemos entstand 2014 und zog wie ein Magnet die linke Jugendbewegung an.

Zwischen Spaniens versteinerten Kommunisten und den Sozialisten, die der Krise auch nichts anderes entgegenzusetzen haben als eine etwas sanftere Sparpolitik, klaffte eine riesige Lücke. Podemos besetzte sie und schaffte schon bei den Europawahlen 2014 mit fast zehn Prozent der Stimmen den ersten Überraschungserfolg.

"Linkspopulisten"

Überall im linken Lager erkannte man in Podemos eine Chance. Frustrierte Sozialdemokraten, linientreue Leninisten, aber auch Fans des lateinamerikanischen Sozialismus eines Hugo Chavez wollten dabei sein. Iglesias holte sie an Bord, machte Podemos zu einem Spielplatz für politische Ideen. "Die Stärke von Podemos ist ihre politische Unschärfe, sind ihre widersprüchlichen Ideen", analysiert John Müller, prominenter Moderator eines TV-Politikmagazins, "aber das ist natürlich auch ihre Schwäche. Denn eigentlich sind sie inzwischen nichts anderes als typische Linkspopulisten."

Klar ist Pablo Iglesias nur in einem: Dem Machtanspruch, den er stellt. "Wir regieren besser als Sie, Herr Rajoy", attackiert er den konservativen Regierungschef in Wahlkampfreden direkt.

"Die Kaste" nennt er die Spitzenvertreter von Spaniens Politik und Wirtschaft. Mit jedem Jahr, das sie länger an der Macht blieben, würden Korruption und soziale Gegensätze wachsen. Wie auch die bürgerlichen Newcomer Ciudadanos will man nicht eine neue Stimme im bestehenden politischen System sein, sondern dieses neu gestalten.

Für Podemos fängt das mit einer Diskussion über die spanische Verfassung an. Konservative, aber auch zuvor die Sozialdemokraten hätten Spaniens Interessen dem Diktat der EU geopfert: "Die krawattierten Herren haben Klopapier aus der Verfassung gemacht." Aufstand gegen die EU-Sparauflagen, Ruf nach dem Euro-Austritt: Vor einem Jahr noch sorgte man in Brüssel damit für Kopfzerbrechen. Würde Madrid nach Athen das zweite Sorgenkind, allerdings fünf Mal so groß? Auf derart radikale Haltungen verzichtet man in diesem Wahlkampf, umso mehr als die Umfragen zeigen, dass die Spanier keine Lust auf ein Abenteuer außerhalb des Euro haben. Lieber ist man aus dem linken Eck in Richtung Mitte gewandert, macht sich für den Sozialstaat und gegen Privilegien stark, oder wie es Michael Ehrke von der deutschen Ebert-Stiftung in Madrid formuliert: "Macht Sozialdemokratie, wie sie einmal war – vor Blair und Schröder."

Ciudadanos: "Wir sind die Bewegung der ganz normalen Leute"

Liberal und sozial, sichere Pensionen für die Alten und mehr Chancen für die Jungen: Wer sich bei einer Veranstaltung von Ciudadanos durch die Fans fragt, bekommt ein fast schon zu buntes Bouquet an Ideen geliefert. Spaniens neue bürgerliche Bewegung platziert sich sehr breit in der politischen Mitte.

Und das nette Lächeln für diese unheimlich nette Partei liefert ein erst 36-jähriger Rechtsanwalt und ehemaliger Wettkampfschwimmer. Albert Rivera ist charmant, redegewandt und beherrscht die Kunst, sich politisch auf nichts festzulegen, perfekt. Bei seinen Reden serviert er Allgemeinplätze wie „wir wollen nicht nach links oder rechts, sondern nach vorne schauen“ mit so viel ehrlicher Begeisterung, dass man sie glatt als politisches Programm durchgehen lässt. Und damit ist man nicht allein: Mehr als 20 Prozent der Stimmen weisen die jüngsten Umfragen „Ciudadanos“ aus. Damit liegen sie an zweiter Stelle hinter der regierenden PP.

Spanien-Wahl: Umstürzen oder Weglächeln
Ciudadanos party leader Albert Rivera, one of the four leading candidates for Spain's national election, applauds during an election campaign rally in Madrid, Spain, December 13, 2015. REUTERS/Juan Medina
„Ciudadanos verkörpert die Idee eines erneuerten Spanien“, analysiert der Politologe Armando Fernandez Steinko von Universität Madrid den Erfolg der Partei: „Bei ihnen geht es aber nicht um einen politischen oder wirtschaftlichen Umbruch. Diese neuen Bürgerlichen sind eigentlich nur moralisch radikal.“

Am deutlichsten wird diese moralische Radikalität beim bevorzugten Feindbild von Albert Rivera: der Korruption. Zwar klingt auch das wie ein Allgemeinplatz, aber in Spanien hat die Korruption ein bedrohliches Ausmaß erreicht: Sie ist kein Problem des politischen Systems mehr, sondern dessen dominierender Faktor. Skandale wie der „Fall Gürtel“ haben die Parteispitze der PP bis hinauf zu Premier Mariano Rajoy erfasst. Das Netzwerk zwischen Wirtschaftsmagnaten, vor allem aus der Baubranche und Politik ist so eng gesponnen, dass Millionen an Schmiergeldern gigantische Projekte, ohne jeden wirtschaftlichen Sinn antreiben: Etwa einen Flughafen 100 Kilometer südlich von Madrid, der zusperrte, ohne dass dort je ein Flugzeug abgehoben hatte.

Politische Mitte

So unverbindlich Rivera in seinen politischen Zielen ist, eine Haltung vertritt er überzeugend: Seine Partei wird die Fortsetzung des herrschenden politischen Systems nicht unterstützen. Eine bürgerliche Koalition unter der Führung der PP mit Rajoy schließt er aus.

Für den Erfolg der Ciuadanos ist ihre reichlich unklare politische Linie nicht verantwortlich, sondern vielmehr , dass sie sich so klar wie möglich von den etablierten politischen Parteien distanzierten. „Die PP ist in vielen Fragen nach rechts gerückt, und die Sozialisten von der PSOE verlieren ihren rechten Flügel“, analysiert Politologe Steinko: „Darum hat sich in der politischen Mitte diese Lücke aufgetan, die jetzt die Ciudadanos besetzen.“

Nicht nur im Parteienspektrum stehen die Ciudadanos geschickt in der Mitte, sondern auch in der Existenzfrage für Spanien: Der Streit um die Unabhängigkeit der Provinz Katalonien. Ein wildes Gemisch aus Separatisten gibt dort, in Barcelona , politisch den Ton an. Auf Biegen und Brechen und notfalls auch gegen die Verfassung will man los von Spanien.

Die regierende PP ist entschlossen, das mit aller Macht zu blockieren. Doch der traditionelle Zentralismus, den sie repräsentiert, stößt viele Katalanen ab, auch wenn sie die Nation Katalonien gar nicht wollen. Rivera ist selbst Katalane – und der Widerstand gegen die Separatisten ließ ihn in die Politik gehen: Mit der Idee eines neuen föderalistischen Spanien. Bei den Regionalwahlen in Katalonien im Herbst wurden Ciudadanos damit sensationell zweitstärkste Partei. Jetzt hat diese Idee auch den Rest von Spanien erfasst.

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