Vor der Wahl bekommt der Kreml kalte Füße

Sinkende Zustimmung: Präsident Putin und Premier Medwedew.
Dumawahl: Einziges unabhängiges Meinungsforschungsinstitut Lewada wegen Umfrage als "ausländischer Agent" gelistet.

Die Wege des Herrn sind unergründlich und zuweilen auch extrem kurz. Die Vorgänge um das Lewada-Zentrum, derzeit Russlands einziges unabhängiges Meinungsforschungsinstitut, beweisen es einmal mehr.

Ende August hatten die Demoskopen die Ergebnisse ihrer Umfrage zur bevorstehenden Duma-Wahl am 18. September vorgestellt. Bei der Kremlpartei "Einiges Russland" lagen die Nerven blank. Ihre Zustimmungsrate war demzufolge von 39 auf 31 Prozent geschrumpft, die absolute Mehrheit – bei der letzten Wahl 2011 hatte sie 238 der 450 Mandate abgegriffen, was damals zu Massenprotesten führte – akut gefährdet. Und nur noch die Hälfte der Russen will wählen gehen. Bei der letzten Umfrage waren es noch 57 Prozent.

Am Dienstag setzte das Justizministerium die Demoskopen als "ausländische Agenten" auf den Index. Ein Stigma, fürchtet Lewada-Chef Lew Gudkow, das Kunden abschrecken werde. Die Folge: geringere Einnahmen mit allen daraus resultierenden Konsequenzen für Umfang und Qualität der Forschung. Sogar die Schließung des Lewada-Zentrums wollte Gudkow nicht völlig ausschließen.

Nichtstaatliche Organisationen sind seit 2013 verdonnert, sich beim Justizministerium als "ausländische Agenten" listen zu lassen, wenn sie mit ausländischem Geld arbeiten. Inzwischen gilt das auch für Organisationen, die sich mit "Gestaltung und Formulierung von öffentlich-politischer Meinung" befassen. Neben Förder- und Preisgeldern werden auch Erlöse aus Verträgen mit westlichen Unis und Forschungszentren als "Finanzierung aus dem Ausland" behandelt. Genau das wurde dem Lewada-Zentrum zum Verhängnis.

Die Universität Wisconsin in den USA hatte die Russen auf ihrer Site als Zulieferer zu einem Kapitel einer Marketingstudie erwähnt. Das Geld dafür soll die Universität von einem Fonds mit Verbindungen zum Pentagon erhalten haben. Prüfer, die Lewada seit Langem im Visier haben, stießen schon 2014 auf den Eintrag, ließen ihn aber als unbedenklich durchgehen.

Klage gegen Listung?

Ganz anders sahen das Beamte, die im August zu einer neuen Prüfung anrückten. Einer außerplanmäßigen, ausgelöst durch eine Dienstaufsichtsbeschwerde von Senator Dmitri Sablin. Er sitzt mit Mandat der Kremlpartei im Oberhaus.

Der Abschluss der Prüfung bei Lewada fällt mit der Veröffentlichung der Wahlprognose zusammen. Die Controller, schreibt die Wirtschaftszeitung rbk, hätten nicht nur die Wisconsin-Connection beanstandet, sondern auch kritische Äußerungen der Forscher im Ausland.

Zwar will das Lewada-Zentrum gegen die Listung klagen. Erlöse im Ausland, so Vize-Direktor Alexei Graschdankin, seien nicht mit politischen, sondern mit Marketing-Studien erzielt worden. Die Chancen tendieren aber gegen null. Die Listung sei politisch, sind Menschenrechtler und die meisten Kolumnisten überzeugt. Besorgt äußerte sich auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini.

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