USA

Freispruch heizt Rassen-Debatte an

Der Präsident zeigt Verständnis für Wut der Schwarzen nach Skandalurteil - Demos in mehr als 100 Städten.

Die Gerichtsentscheidung ist gefallen, die Wogen gehen aber weiter hoch. Tausende Amerikaner gingen am Samstag in mehr als 100 Städten der USA auf die Straßen, um gegen den Freispruch von George Zimmerman zu protestieren, der einen „verdächtigen“ Schwarzen erschossen hatte. Für sie ist es ein Fall von Rassismus (Tathergang siehe unten). Und sie fühlen sich durch die jüngsten Äußerungen von Barack Obama bestätigt. „Auch ich hätte Trayvon Martin sein können“, sagte der US-Präsident. Und weiter: Schwarze hätten das Gefühl, vor dem Gesetz nicht gleich behandelt zu werden.

Bilder von den landesweiten Protesten

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Protest marchers carry a sign to demonstrate again
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USA TRAYVON MARTIN VIGIL
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A protest marcher holds a sign during a demonstrat
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USA TRAYVON MARTIN VIGIL
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Gary Blodger of Oakland, Calif. (left) and Sweetgr

„Viele glauben, dass es hier nur zwei Tatsachen gibt: George Zimmerman hat Trayvon Martin absichtlich verfolgt, als Ergebnis dieser Verfolgung wurde Trayvon Martin getötet“, sagte John Roman vom Washingtoner Urban Institut zum KURIER. Roman, ein weißer Amerikaner, beschäftigt sich mit Kriminalität in den US-Städten. „Menschen, die das glauben – ich tue das auch – sind empört, dass Zimmerman nicht bestraft wird“, so der Experte.

Obwohl die Amerikaner 2012 Obama, ihren ersten afroamerikanischen Präsidenten, wiedergewählt haben, bleibt der Rassismus immer noch ein großes Thema im Land. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup von Anfang Juli zufolge klagt nahezu jeder vierte Afroamerikaner unter 35 Jahren, von der Polizei in den vergangenen 30 Tagen ungerecht behandelt worden zu sein.

Waffen-Lobby

Der Zimmerman-Fall greift auch in ein anderes sensibles US-Thema über – die Waffendebatte. Gesetze über die Selbstverteidigung nach der Formel „stand your ground“ erlauben es US-Bürgern zu schießen und zu töten, wenn sie sich bedroht fühlen, auch außerhalb der eigenen vier Wände. Das ist kein Relikt aus den Zeiten des Wilden Westens, die Waffenlobby habe stark auf dieses Gesetz gedrängt, sagt Roman.

In Florida gibt es ein solches Gesetz seit 2004, und es wird oft angewandt. Michael David Dunn (ein Weißer) hatte sich auf Selbstverteidigung berufen, als er 2012 Jordan Davis, 17, (Afroamerikaner) erschoss. Auch wenn Dunn als Grund zunächst zu Protokoll gab: Weil der Mann zu laut Musik gehört habe. Er muss wegen Mordes vor Gericht.

Afroamerikaner scheinen es schwerer zu haben, sich auf den Selbstverteidigungsparagrafen zu berufen. Marissa Alexander, 31, einer Mutter von drei Kindern, nutzte das Gesetz nichts. Sie wurde zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie im Streit einen tödlichen Warnschuss auf ihren Gatten abgefeuert hatte.

Freispruch heizt Rassen-Debatte an
Marissa Alexander is shown in this file photo in a Duval County courtroom in Jacksonville, Florida, May 3, 2012 . Three days after a Florida jury found George Zimmerman not guilty for the shooting death of Trayvon Martin, the Rev. Jesse Jackson made a jailhouse visit to Alexander, to call to attention another self-defense case that he called a "travesty" of justice. Alexander is serving a 20 year sentence for aggravated assault with a deadly weapon for firing a gun into a wall in the direction of her husband and children to end an argument. REUTERS/Bob Self/The Florida Times-Union (UNITED STATES) - Tags: CRIME LAW) NO SALES. NO ARCHIVES
2005 erschoss John McNeil (Afroamerikaner) Brian Epp, 19, (ein Weißer), der auf Warnschüsse nicht reagiert hatte und weiter durch den Garten seines Hauses im südlichen Bundesstaat Georgia ging, in der Hand ein Teppichmesser. Man habe McNeil ursprünglich nicht zugestanden, dass er in Selbstverteidigung gehandelt habe. Er wurde lebenslänglich wegen Mordes verurteilt, später aber wurde sein Fall nachgeprüft und die Strafe gemildert.

2007 wurde John White, ein Afroamerikaner aus Long Island bei New York, wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. White behauptete, er habe nur seine Familie vor einer Gruppe weißer Teenager schützen wollen, als er seine Waffe versehentlich abfeuerte und dabei den 17-jährigen Daniel Cicciaro Jr. erschoss. Drei Jahre später wurde seine Strafe vom Gouverneur David Paterson herabgesetzt.

Im Fall von John Spooner, 76, eines Weißen aus Milwaukee, Wisconsin, sah das Gericht keine Selbstverteidigung. Spooner erschoss seinen afroamerikanischen Nachbarn Darius Simmons, 13, als dieser zum Mistkübel ging. Spooner wurde wegen Mordes verurteilt.

Am verregneten Abend des 26. Februar 2012 entdeckt George Zimmerman in Sandford, Florida, einen „wirklich verdächtigen Typen“ mit Kapuzenpulli auf dem Gehsteig. Zimmerman, der sich freiwillig zur Nachbarschaftswache gemeldet hat, verfolgt den 17-jährigen Trayvon Martin – obwohl man ihm am Polizeifunk rät, dies nicht zu tun.

Es kommt zum Handgemenge, Hilfeschreie, ein Schuss. Zimmerman tötet Martin im Kampf durch einen Schuss mit seiner Pistole.

Zimmerman wird zunächst festgehalten und kurz darauf wieder freigelassen. Er erklärt, aus Notwehr gehandelt zu haben. Nach Protesten wird Anklage erhoben, am 13. Juli 2013 wird Zimmerman freigesprochen.

Der Freispruch für George Zimmerman sei juristisch korrekt, meint Prof. David Kennedy, Leiter des Zentrums für Prävention und Kontrolle der Kriminalität am John Jay College of Criminal Justice in New York. Schlechte Waffengesetze und Rassendiskriminierung seien das Problem der USA heutzutage, sagt er im Interview mit KURIER.

KURIER: Warum bringt das Urteil im Fall George Zimmerman so viele Amerikaner auf?

D. Kennedy: Weil die Grundfakten so skandalös waren: Wir haben einen jungen Mann, der harmlos die Straße ging und der ohne Grund angeschossen und getötet wurde. Und nach einem langen und sorgfältigen Gerichtsprozess lautet das Urteil: Das ist okay.

Was denken Sie als Experte über dieses Urteil?

Ich war nicht überrascht. Der Urteil ist eine Rechtsfrage und keine Frage über das, was richtig, falsch oder moralisch ist.

Wenn das Selbstverteidigungsgesetz in Florida nicht existieren würde, wäre Trayvon Martin heute noch am Leben?

Nun, vielleicht wäre er nicht am Leben, George Zimmerman wäre aber im Gefängnis.

Hier kommen wir zur Debatte über die Waffenkontrolle...

Jedes Gesetz, das die folgende Möglichkeit schafft, ist ein schlechtes Gesetz: Man erschießt jemanden, erklärt das zu einem Akt der Selbstverteidigung und kommt frei.

Das US-Justizministerium prüft gerade, ob es einen bürgerrechtlichen Prozess gegen George Zimmerman führen kann. Was halten Sie davon?

Laut Bundesgesetz muss man klare Beweise für rassistische Vorurteile haben, um einen bürgerrechtlichen Prozess zu führen. Das ist juristisch sehr schwer.

Ist Rasse immer noch ein großes Thema in den USA?

Natürlich ist das ein Thema. Die große Wut in der schwarzen Gemeinschaft in den USA über den Mord an Treyvon Martin beruht auf Geschichte als auch auf gegenwärtigen Erfahrungen, dass Schwarze in den USA routinemäßig rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt sind. Viele schwarze Amerikaner haben das Gefühl, man kann sie und ihre Kinder umbringen, ohne dass etwas dagegen unternommen wird.

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