USA - Land der begrenzten Möglichkeiten

Der amerikanische Traum ist ausgeträumt.
Analyse: Der US-Wirtschaft geht es gut? Die Wahrheit hinter der Statistik sieht anders aus. Ganz anders.

Woher rührt die Unzufriedenheit so vieler US-Wähler, die Donald Trump ins Weiße Haus bugsiert hat? Amerikas Wirtschaft hat doch die Krise viel besser durchtaucht als die europäische. Die Arbeitslosigkeit ist niedriger als zuvor. Was sind also die Gründe? Wer genauer hinsieht, erkennt: Die gängigen Statistiken erzählen nur einen Teil der Geschichte.

Bye-bye, Industriejobs!

Eines ist unbestritten: Gewonnen hat Trump die Wahl, weil er den Demokraten frühere Arbeiter-Hochburgen abjagen konnte. Den "Rostgürtel", die frühere Industriezone im Nordosten der USA, hielten Hillary Clinton und ihre Gefolgsleute für eine sichere Bank. In den Schlachthöfen von Chicago, an den Stahlkesseln von Pittsburgh oder in den Autofabriken in Detroit konnten früher auch unterqualifizierte Arbeiter überdurchschnittliche Einkommen erzielen. Seit dem Zweiten Weltkrieg war die Zahl der Jobs im Produktionssektor stetig gewachsen (siehe Grafik). Seit 1980 ist es damit vorbei. Von fast 20 Millionen Beschäftigten sind etwas mehr als 12 Millionen übrig geblieben. Der "Fracking"-Boom, also die Öl- und Gasförderung aus Schiefergestein, und üppige staatliche Förderungen etwa für die Autoindustrie konnten den Trend zuletzt nur abflachen, aber nicht umkehren.

USA - Land der begrenzten Möglichkeiten

Die "Vergessenen" wählen Trump

Besonders steil bergab ging es mit den Industriejobs zwar in der Ära des Republikaners George W. Bush. Viele Arbeiter hatten aber nicht den Eindruck, dass die demokratischen Präsidenten Bill Clinton (1993-2001) oder Barack Obama (2009 bis 2017) für sie etwas zum Besseren verändert hatten. Warum also Hillary? Trump präsentierte den vielen Enttäuschten immerhin Schuldige: Ihre Jobs seien nach China oder Mexiko abgewandert. Er würde das Rad der Globalisierung anhalten, Handelsverträge aufkündigen und Strafzölle verhängen. Das bringt zwar die Jobs nicht zurück und die Zeche müssten gerade Niedrigverdiener zahlen, weil billige Importwaren teurer würden. Aber es klang für viele plausibel. So fuhr Trump knappe Siege in Pennsylvania, Ohio, Michigan und dem Agrarstaat Wisconsin ein. Das hat gereicht.

Wenige Gewinner, viele Verlierer

Natürlich kennt der Strukturwandel, der seit den 1980ern die Wirtschaft umkrempelt, nicht nur Verlierer. Das rasante Jobwachstum bei Dienstleistungen und in der Hochtechnologie ist aber auf nur wenige Metropolen an der Ost- und Westküste oder auf die Innovationszentren wie das Silicon-Valley oder das MIT bei Boston konzentriert. Alte Industriestädte wie Flint (Michigan) haben davon gar nichts – dort ist allein zwischen 2000 und 2015 fast ein Viertel der Bevölkerung weggezogen. Dokumentarfilmer Michael Moore, der selbst aus Flint kommt, hat ein feines Sensorium für die Nöte seiner Mitbürger. Er hatte Trumps Sieg im "Rostgürtel" prophezeit: "Hier, meine Freunde, zwischen den verstreuten Schornsteinen liegt der Kadaver unseres Mittelstandes. Hier leben die verbitterten Arbeiter (und Arbeitslosen), die lange genug angelogen wurden – von Reagan und den Gewinnen, die zu allen durchsickern würden. Und von Demokraten, die fette Schecks von Goldman Sachs einstecken."

Die Mitte bricht weg

Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Wie sehr, zeigt ein Blick auf die Einkommensentwicklung der Haushalte von 1967 bis heute. Bis Mitte der 1980er gab es beim Zuwachs kaum Unterschiede zwischen Arm und Reich. Die ärmsten 20 Prozent der US-Bevölkerung konnten sogar etwas Boden gutmachen. Seit 1980 hat sich der Trend umgedreht, seit 1990 klafft die Schere gewaltig auseinander. Für die unteren 60 Prozent (!) ging es seit 2000 einkommensmäßig sogar bergab. Noch schlimmer sieht es bei den Vermögen aus. In den USA gehören 76 Prozent der Besitztümer (abzüglich Schulden) den Top Ten. Die ärmere Hälfte muss sich ein karges Prozent des Nettovermögens teilen.

USA - Land der begrenzten Möglichkeiten

Was die Kluft noch vertieft: Die meisten neu geschaffenen Jobs entstehen im schlecht bezahlten Dienstleistungssektor, wo in der Regel nur der Mindestlohn (6,53 Euro) bezahlt wird. Der Niedriglohnsektor in den USA ist mit 25 Prozent der höchste in einem westlichen Industriestaat. Ein Drittel der Beschäftigten sind "Working Poor", sie können von ihrem Einkommen gar nicht leben.

Versteckte Arbeitslosigkeit

Die US-Arbeitslosenquote ist so etwas wie eine regierungsfreundliche Schätzung. Kurz vor der Wahl lag die offizielle Quote bei 5,0 Prozent – und damit so niedrig wie vor Ausbruch der Finanzkrise 2008. Diese Kennzahl beruht aber nicht auf registrierte n Daten, sondern auf einer Telefonumfrage unter 60.000 Haushalten. Als arbeitslos erfasst wird dabei nur, wer in den vergangenen vier Wochen aktiv einen Job gesucht hat. Menschen, die das schon aufgegeben haben, fallen aus der Statistik raus – sie stehen offiziell für den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Erhoben, aber nicht publiziert wird eine weiter gefasste Quote, die zuletzt bei 9 Prozent lag (Grafik). Hier wird mitgezählt, wer im vergangenen Jahr immer wieder einen Job suchte, es zum Zeitpunkt der Befragung aber gerade nicht tat – aus welchen Gründen auch immer.

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Seit 1994 ganz aus der Statistik rausgerechnet sind Langzeitarbeitslose. Die Analyseplattform shadowstats.com misst nach wie vor nach der alten Methode. Sie kommt aktuell auf eine Arbeitslosenquote von fast 23 Prozent – sie ist seit der Krise sogar gestiegen.

Fazit: Der Traum vom sozialen Aufstieg ist für große Teile der US-Bevölkerung ausgeträumt. Der Mittelstand macht stattdessen die bittere Erfahrung, dass ihm Abstriche im Sozialstatus und bei der Lebensqualität blühen.

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