Trump kann nur gewinnen

Der Versuch einer Erklärung, warum Trump wirklich gewählt wurde.

Die gute Nachricht ist: Das Leben geht weiter. In New York sind die Metros voll und die Straßen verstopft, es ist Alltag an einem historischen Tag. Nur auf der 5th Avenue gibt es eine kleine Veränderung: Was gestern noch der Gold gewordene Traum eines exzentrischen Immobilienmoguls war, ist heute das neue Machtzentrum der Welt: Trump Tower. Er ist heute abgesperrt, auf der gegenüberliegenden Seite suchen sich Kamerateams den besten Platz für einen Aufsager, ein paar wenige Demonstranten mit Pappschildern stehen auch da: „Not my President“ steht auf einem. Wie konnte das passieren? Also: Wie konnte Trump passieren?

Ein Trump-Sieg hat sich nie unmöglich angefühlt

Einen Monat lang war ich nun in den USA unterwegs, und je näher die Wahlen gerückt sind, desto häufiger kam von Freunden, Kollegen und Bekannten die Frage nach dem Wahlausgang. Die Frage war aber nie eine echte. Nicht: Was glaubst du, wie geht es aus? Sondern immer eine suggestive: Sie gewinnt, oder? Meine Antwort war stets: Sei dir da nicht so sicher. Keine Sorge, das ist kein Ich-habs-Euch-ja-gesagt-Text. Ich habe es auch nicht geglaubt (und dass ich die Wette um einen Whiskey ausgeschlagen habe, weil ich letzten Endes auch an einen Clinton-Sieg geglaubt habe, ärgert mich jetzt ein bisschen).

Trotzdem, es hat sich anders angefühlt, seit ich den Wahlkampf in den USA verfolgt habe und nicht von Wien aus, wo ich auch noch felsenfest überzeugt war, dass Hillary Clinton die nächste Präsidentin wird. Ein Trump-Sieg hat in den Staaten nie wie die Unmöglichkeit gewirkt, als die er in Europa gesehen wurde. Er wurde auch, und das hängt wohl mit ersterem zusammen, auch nie oder nur von ganz wenigen als große Gefahr oder gar existentielle Bedrohung gesehen. Vielleicht haben die Amerikaner mehr Vertrauen in ihre demokratischen Institutionen, vielleicht sind sie naiver, vielleicht sahen sie den Trump-Wahlkampf mehr als Show denn als Vorzeichen seines politischen Programms.

Es wird keine Mauer geben

Dieses kaum vorhandene politische Programm wird die Staaten über die kommenden Monate beschäftigen. Weniges lässt sich prognostizieren, das vermutlich doch: Es wird keine Mauer geben, es werden auch nicht alle Muslime abgeschoben werden, aber Präsident Trump wird mit einem republikanischen Kongress Obamacare den Todesstoß versetzen. Und der nächste Richter des Supreme Court wird ein strammer Konservativer, dafür werden die Republikaner sorgen. Aber sonst? Von Ronald Reagan, heute ein Säulenheiliger der Konservativen, wird erzählt, er habe nicht einmal die Namen aller seiner Minister gewusst. Der Einfluss von Vize-Präsident Dick Cheney auf George W. Bush ist legendär. Deshalb ist die große Frage auch diesmal, wen Trump auswählt, um tatsächlich für ihn zu regieren.

Warum wählen die Amerikaner das Unbekannte? Offenbar hat Hillary Clinton den Bürgern noch mehr Angst eingejagt als Donald Trump. Das mal ausgesprochene, mal mitschwingende Argument: Clinton ist gefährlicher als Trump, eben weil sie dreißig Jahre Erfahrung hat. Weil sie weiß, was sie tut. Auch das haben viele unterschätzt, auch das ist mir erst hier bewusst geworden: Wie entsetzlich unbeliebt Hillary Clinton ist. Dass sie ein „sleazy crook“ sei, eine schleimige Betrügerin, sagte mir eine Frau, die für sie demonstrierte, nicht gegen sie. Eine Kandidatin, von der selbst ihre Unterstützer so sprechen, als Favoritin auf die Präsidentschaft? Das geht wohl nur, wenn der Gegenkandidat Donald Trump heißt.

Das unbekannte Übel war letzten Endes für viele weniger bedrohlich als das bekannte. Bei Clinton wissen wir, was wir kriegen; bei Trump dürfen wir noch hoffen. Vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm. Und so könnte es durchaus sein, dass Trump positiv überrascht: Wer mit solchen Vorzeichen in seine Präsidentschaft startet, kann eigentlich nur gewinnen.

Die Schande mit den Veteranen

Dass er politisch völlig unerfahren ist? Passt, dann kann er nicht so viel anrichten. In einer Stimmung, in der die Menschen von der Politik nichts mehr – oder schlimmer noch: nur schlechtes – erwarten, gewinnen jene, die von Politik keinen blassen Schimmer haben. Als ich in der Metro heute morgen von Brooklyn nach Manhattan gefahren bin, erhob ein Mann seine Stimme: „Ich bin ein ehemaliger Marine, 2008 wurde ich in Afghanistan von einem 14-jährigen Buben angeschossen. Drei Kugeln ins linke Bein, eine in die rechte Schulter. In den vergangenen Monaten hatte ich eine harte Zeit. Falls jemand von Ihnen Essen eingesteckt hat, das er nicht mehr braucht – ich wäre Ihnen sehr dankbar.“

Vielleicht ist die Geschichte erfunden, wahrscheinlich ist sie es nicht. Wie die USA mit ihren Veteranen umgehen, ist eine nationale Schande, viele von ihnen sind obdachlos, noch mehr müssen monate- und jahrelang auf dringend benötigte Therapien warten. Die Politik versagt in diesem Bereich seit Jahren und alle wissen es. Sie sehen es jeden Tag auf den Straßen, wo obdachlose Veteranen um Kleingeld betteln.

It's the Außenpolitik, stupid!

In den letzten Tagen vor der Wahl hat Präsident Barack Obama immer wieder ein gewichtiges Argument gebracht: Jemandem wie Trump darf man die nuklearen Codes nicht anvertrauen. So abstrus das klingt: Außenpolitik war für viele, mit denen ich gesprochen habe, das wichtigste Argument, für Trump zu stimmen. Donald Trump hat keine Ahnung von Außenpolitik, aber die meisten Amerikaner (und Europäer übrigens) auch nicht. Clinton spricht von Syrien und der Ukraine und komplexen politischen Zusammenhängen, Trump geht es da wie den meisten Amerikanern: Ich kenn mich nicht aus, ich will damit nichts zu tun haben.

Die USA haben Kriege im Irak und in Afghanistan geführt, und die Menschen sind diese Kriege satt. Sie sind es satt, Ehepartner und Kinder in einem Krieg zu verlieren, den sie nicht verstehen. Und Clinton, sagen sie, führt uns in den nächsten Krieg. In Syrien oder in der Ukraine. Trump versteht sich mit Putin? Gott sei Dank, dann haben wir wenigstens keinen Krieg mit Russland. Viele fühlen sich mit den Nuklearcodes in Trumps Händen offenbar sicherer als in Clintons.

Der letzte Aufschrei des weißen Amerika

Trumps Programm war ein rein nationales: „Make America Great Again.“ Welches Amerika er da meint, war bis zum Ende unklar, aber offenbar hat es schon gereicht, zu sagen: Kümmern wir uns wieder um uns. Das hat natürlich eine dunkle Seite, wenn Trump definiert, wer wir sind: Nicht die Immigranten, nicht die Muslime. Viele hat genau das angesprochen. Trumps Amerika ist der letzte Aufschrei eines weißen, konservativen Amerika, das es nicht mehr lange geben wird. Die Demografie wird dafür sorgen.

Spannend zu beobachten ist auch, dass Präsident, Senat und Repräsentantenhaus republikanisch sind, aber viele der liberalen Anträge, über die abgestimmt wurde, durchgegangen sind: Arizona, Colorado, Maine und Washington haben einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, Kalifornien, Nevada und Washington striktere Waffengesetze beschlossen und Marihuana wurde in Kalifornien, Nevada und Massachusetts legalisiert. Ein liberaler werdendes Land hat konservative Repräsentanten gewählt. Viele, die Barack Obama positiv bewerten, müssen Trump gewählt haben, sonst hätte er nicht Präsident werden können (und beide haben sie in ihren Wahlkämpfen damit geworben, in Washington aufzuräumen; Obama wurde wie Trump als Outsider gesehen). Die USA sind nicht nur gespalten, sie sind auch ein bisschen schizophren.

Diese Wahl hat nur Donald Trump gewonnen

Überhaupt wäre es natürlich falsch, Trump als klassischen Republikaner zu sehen, er hat die Partei gekapert. Er war von 2001 bis 2009 als Demokrat registriert, Ted Cruz warf ihm in den Vorwahlen seine „New York Values“ vor (das ist in Texas, wo er herkommt, ein übles Schimpfwort) und es wäre überraschend, würde die Zusammenarbeit Trumps mit dem Kongress reibungslos funktionieren. Trump hat gewonnen, weil er eben nicht Republikaner ist. Dass die Bush-Familie ihre Probleme mit ihm hatte, dass die Vertreter einer politischen Dynastie sich eher auf die Seite einer anderen politischen Dynastie schlagen, die am gegenüberliegenden Ende des ideologischen Spektrums steht, als den Kandidaten der eigenen Partei zu unterstützen, hat ihm vermutlich eher genutzt als geschadet. Das Zeichen, das sie senden, ist: Letzten Endes steckt die politische Elite ja doch unter einer Decke, egal in welcher Partei.

Trotzdem bleibt es schwer zu verstehen, warum die Hälfte des Landes – und darunter viele Frauen – jemanden wählt, der Dinge wie „Grab'em by the Pussy“ sagt, der Mexikaner pauschal als Vergewaltiger bezeichnet. Aber es ist auch nicht so, dass alle Trump-Wähler gut heißen, was Trump sagt und wie er sich gibt. Natürlich gibt es sie, die unverbesserlichen Sexisten, die offen oder zumindest heimlich eine Frau als Präsidentin ablehnen. Die Rassisten, die Mexikaner nur als billige Arbeitskräfte sehen. Aber längst nicht alle Trump-Wähler hassen Immigranten oder verachten Frauen. Es ist vielmehr so: Selbst all die ekelerregenden Dinge, die Trump sagt, reichen noch nicht, um ihn schlimmer dastehen zu lassen als die klassische Politikerin Hillary Clinton.

Das ist die wichtigste Lektion aus dieser Wahl. Mit ihr müssen nicht nur die Demokraten, sondern auch die Republikaner umgehen lernen. Diese Wahl haben nicht sie gewonnen, sondern nur Donald Trump.

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