"Wenn das keine Haftanstalt ist, was ist es dann?"

UNHCR und "Ärzte ohne Grenzen" stellen ihre Arbeit auf Lesbos ein.

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hat seine Kritik am EU-Türkei-Abkommen untermauert und erste Konsequenzen gezogen. Eine Sprecherin kündigte am Dienstag an, die Organisation werde nicht mehr dabei helfen, auf der griechischen Insel Lesbos ankommende Flüchtlinge in das Auffanglager Moria zu bringen. Die Menschen würden in den Lagern eingesperrt.

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Melissa Fleming (@melissarfleming

"Den Menschen wird nicht mehr erlaubt, die Lager zu verlassen, sie sind eingesperrt." Das verstoße gegen Grundsätze des UNHCR, sagte UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming am Dienstag in Genf. Durch den EU-Türkei-Deal würden die Menschen in dem Lager nun gegen ihren Willen festgehalten werden und so ihrer Bewegungsfreiheit beraubt. Die Europäische Union und Ankara hätten mit ihrer Politik die rote Linie überschritten. Das UNHCR beteilige sich nicht an "Haftzentren".

"Wenn das keine Haftanstalt ist, was ist es dann?"

Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen stellten ihre Arbeit im Aufnahmelager Moria, dem sogenannten "Hotspot" auf der griechischen Insel Lesbos im Laufe des Dienstags ein. In diesem Lager, einem ehemaligen Gefängnis, werden seit Inkrafttreten des Flüchtlingspakts am Sonntag alle neu ankommenden Migranten festgehalten. "Frauen, Kinder, ganze Familien dürfen dort nun nicht mal mehr ihre Baracken verlassen. Wenn das keine Haftanstalt ist, was ist es dann?", sagte ein Sprecher der Organisation zur Begründung der Entscheidung. Bisher hatten die Teams von Ärzte ohne Grenzen in dem Auffanglager die hygienische und medizinische Versorgung übernommen.

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MSF Sea (@MSF_Sea

Die EU und die Türkei haben vereinbart, dass alle ab dem 20. März in Griechenland ankommenden Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt werden. Zuvor müssen diese registriert und ihre Asylanträge aufgenommen werden. Die Rückführungen sollen am 4. April starten. Im Auffanglager Moria sollen Migranten bis dahin bleiben.

Bis Sonntag waren sie frei, das Camp ebenso wie die anderen vier Auffanglager auf den Inseln Samos, Chios, Leros und Kos zu verlassen. Sie konnten dann etwa eine Fähre zum Festland nehmen. Von dort haben sich bisher Hunderttausende auf den Weg über die Balkanroute nach Norden gemacht - meist mit dem Ziel Deutschland.

Das UNHCR werde aber weiter an der Küste und im Hafen von Lesbos helfen, Menschenleben zu retten. Im Lager werde das Hilfswerk beobachtend und beratend tätig sein. Durch die Entscheidung des UNHCR stehen nach Angaben eines Polizeisprechers nur noch zwei Busse zur Verfügung, um Flüchtlinge nach Moria zu transportieren - einer von der Küstenwache und ein anderer von der Polizei.

60 Prozent Flüchtlinge sind Frauen und Kinder

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr bis Montag mehr als 147.000 Menschen, die etwa vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet sind, über den Seeweg auf griechischen Inseln angekommen. Rund 60 Prozent davon sind nach UNHCR-Angaben Frauen und Kinder. 13.777 Menschen kamen in Italien an.

Eine Sprecherin des UN-Kinderhilfswerks UNICEF äußerte sich besorgt über die Auswirkungen des EU-Türkei-Deals auf die in Griechenland gestrandeten Kinder. Diese bräuchten umfassenden Schutz und dürften nicht einfach wie "Nummern" behandelt werden.

Das UNHCR hat sich mehrfach besorgt gezeigt, dass der rechtliche Schutz von Flüchtlingen bei der EU-Türkei-Vereinbarung unter die Räder kommt. Wenn Leute zurückgeschickt würden, die in der Türkei keinen Schutz genössen, gebe es völkerrechtliche Probleme.

Griechenland benötigt mehr Personal

In den vergangenen Tagen hatte sich herausgestellt, dass es Griechenland an Personal und Kapazitäten für die erforderlichen Asylverfahren fehlt. Griechenland braucht für die Umsetzung des Flüchtlingspaktes der EU mit der Türkei dringend Personal. Das bekräftigte der griechische Regierungschef Alexis Tsipras am Dienstag in einem Telefonat mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie die griechische Regierungssprecherin Olga Gerovasili in Athen mitteilte.

Zudem habe Tsipras betont, es müsse Druck auf die Türkei ausgeübt werden, den Schleusern das Handwerk zu legen. Auch der NATO-Einsatz in der Ägäis müsse verstärkt werden, hieß es. Tsipras hatte in den vergangenen Tagen gesagt, dass sein Land mindestens 2.300 Experten brauche, darunter Dolmetscher, Sicherheitsleute und Asylexperten

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