Geschlagen und verstümmelt
Bis zu 30 Aktivisten, so ukrainische Regierungsgegner, werden derzeit vermisst – in der Nacht auf Freitag tauchte einer von ihnen auf: Dmitro Bulatow. Die gute Nachricht: er lebt. Die schlechte: Was er in der Zeit seit seiner Verschleppung vor mehr als einer Woche erlebt zu haben scheint, kommt einem Albtraum gleich. Am Freitag wurde außerdem bekannt, dass er unter Hausarrest gestellt wird. Nach Bulatow werde seit dem 24. Jänner wegen des Verdachts der "Organisation massiver Unruhen" gefahndet, so das Kiewer Innenministerium laut Interfax.
Bulatow ist einer der führenden Aktivisten des Automaidan. Die Gruppe war vor der Eskalation der Lage in der Ukraine so eine Art mobile Flashmob-Truppe, die Auto-Korsos abhielt oder Straßen blockierte, um Regierungsbeamte festzusetzen.
Verschleppt
Bulatow war am 22. Jänner von Unbekannten verschleppt worden – nur zwei Tage, nachdem zwei andere Aktivisten verschwanden. Einer von ihnen überlebte, die Leiche des anderen wurde mit Klebeband gefesselt und nackt nahe Kiew gefunden.
In der Nacht auf Freitag war Bulatow eigenen Angaben zufolge in unbewohntem Gebiet nahe Kiew aus einem Auto geworfen worden. Zu Fuß fand er ein Dorf, in dem ihm geholfen wurde. Journalisten und Aktivisten, die ihn abholten, erzählte er, er sei vermutlich in einem Vorort Kiews festgehalten worden. Man habe ihn geschlagen, das Gesicht zerschnitten und Teile seines Ohrs abgeschnitten. Die Täter sollen ihn gekreuzigt haben und hätten geplant, ihm ein Auge auszustechen. Über die Täter gibt es keine Angaben. Bulatow sagte, sie hätten mit russischem Akzent gesprochen.
Schlägerstrupps
Seit der Eskalation rund um die Proteste in Kiew hatte es wiederholt Berichte über zivile Schlägertrupps gegeben, die Jagd auf Regierungsgegner machen. Aktivisten sagen, dass diese Trupps in enger Abstimmung mit Polizeikräften agierten.
In Kiew ist derzeit viel in Schwebe. Bedingungen (die Räumung aller Protestcamps binnen zwei Wochen) für die vorbehaltlich beschlossene Amnestie 140 inhaftierter Regierungsgegner will die Protestbewegung nicht erfüllen. Erstmals äußerte sich nun die Armeeführung zu den Unruhen: Bei einer weiteren Eskalation drohe die Spaltung des Landes. Die Besetzung von Regierungsgebäuden sei unzumutbar. Bei einem Treffen mit Verteidigungsminister Pawel Lebedew forderte die Armee von Präsident Janukowitsch aber auch „dringend Maßnahmen zur Stabilisierung“ um „Harmonie in der Gesellschaft zu erreichen“. Einen Einsatz der Armee gegen die Proteste schließen Beobachter indes aus. Zu groß sei der Widerstand in den Reihen des Militärs gegen die Regierung.
Außenminister Sebastian Kurz hält wie die meisten seiner Kollegen innerhalb der EU nichts von Sanktionen gegen die ukrainische Führung: "Sanktionen wären eher ein Schritt in Richtung einer weiteren Spaltung und würden nur Öl ins Feuer gießen", so Kurz Freitagabend am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz in der ZiB 2.
Die Rücknahme der umstrittenen Gesetze zur Einschränkung demokratischer Freiheiten durch Präsident Viktor Janukowitsch sei "ein wichtiger erster Schritt", lobte Kurz und verwies auf die geografische Lage des krisengeschüttelten Landes: "Die Ukraine ist ungefähr so weit von Wien entfernt wie die Schweiz", meinte der Minister. Jegliche Maßnahmen, die eine weitere Spaltung der Ukraine zur Konsequenz haben könnten, brächten auch "dramatische Auswirkungen auf seine Umgebung."
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