Putin: "Lage wie im Zweiten Weltkrieg"

Armee-Camp der Ukraine nahe Donezk
Pro-russische Separatisten stoßen Richtung Westen vor - erneut ukrainischer Kampfjet abgeschossen.

Neurussland“ hatte man den Südosten der Ukraine einst unter Zarin Katharina der Großen genannt, „Neurussland“ nennt ihn nun auch der derzeitige Herr im Kreml, Wladimir Putin. In einer schriftlichen Verlautbarung lobte er die jüngsten „wichtigen Erfolge der Landwehr Neurusslands“. Jene Landwehr, also die pro-russischen Separatisten, würde Kiews Militäroperationen unterbinden, die „eine tödliche Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen“.

In der Sichtweise Moskaus ist der jüngste Vorstoß der Separatisten entlang der Küste des Schwarzen Meeres in Richtung Westen nichts als der Versuch, die dicht bevölkerten Gebiete der Ostukraine wie Donezk und Lugansk aus der Klammer der ukrainischen Armee zu befreien. Die würde in diesen Städten mit Raketen- und Artillerieangriffen ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung anrichten. Die Lage in Donezk, so Putin, sei „wie im Zweiten Weltkrieg“. Die ukrainische Armee würde vorgehen „wie die deutschen Faschisten, die russische Städte umstellten“.

Putin: "Lage wie im Zweiten Weltkrieg"
Die Offensive der durch russische Soldaten und Waffen unterstützten Separatisten rollt, die ukrainische Armee ist auf dem Rückzug. Nach der Einnahme der Küstenstadt Nowoasowsk steht man vor dem Hafen Mariupol. Rund um die Stadt heben die Verteidiger Schützengräben aus. Und ein Blick auf die Karte zeigt, dass die logische Verlängerung des Vorstoßes bis zur Halbinsel Krim führen könnte, die sich per „Referendum“ zu Russland gehörig erklärt hat, ohne einen Zugang zu haben; oder gar bis in die prorussische moldawische Republik Transnistrien.

Humanitärer Korridor

Der Kreml-Chef nützt den militärischen Vorstoß für einen propagandistischen. Die Rebellen, schlug er vor, sollten „einen Fluchtkorridor für eingekesselte ukrainische Einheiten“ öffnen und diesen so den Rückzug ermöglichen. Auch Separatistenführer Sachartschenko erklärte, er sei bereit, die Soldaten abziehen zu lassen, allerdings nur, wenn sie ihre schweren Waffen zurückließen. Die ukrainische Armee lehnte das ab. Für Putin „ein schwerwiegender Fehler, der noch viele weitere Menschenleben kosten wird“.

Nach den USA und der NATO spricht auch Berlin offen von einer „militärischen Intervention Russlands“. US-Präsident Obama, der Russland offen die Schuld an der Gewalt gibt und weitere Konsequenzen androhte, hatte in einem Telefonat mit Angela Merkel auch die deutsche Kanzlerin auf seine Linie gebracht. Die OSZE in Wien dagegen erklärte, es gebe „keine Beweise für einen Einsatz regulärer russischer Truppen.“

Militärexperte: Russische Invasion schwer zu beweisen

Nach Ansicht des Militärstrategen Brigadier Walter Feichtinger ist es schwierig, die Präsenz russischer Truppen in der Ostukraine nachzuweisen. Die einzigen die dies könnten, die Beobachter der OSZE vor Ort, hätten nur äußerst geringen Bewegungsspielraum. Zudem fehlten Hoheitsabzeichen auf Uniformen und Kriegsgerät, sagte Feichtinger Freitagabend in der ZiB 2.

Österreich holt Verletzte

Fünf Schwerverletzte sollen in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz demnächst aus der Ostukraine nach Österreich ausgeflogen und in einem Spital in Niederösterreich behandelt werden. Der ukrainische Außenminister habe seinen österreichischen Amtskollegen Sebastian Kurz telefonisch darum gebeten.

Kiew hat über eine Reihe von Wahlbeobachtern links- und rechtsgerichteter europäischer Parteien ein Einreiseverbot verhängt. Sie hatten dem Krim-Referendum über die Abspaltung ein gutes Zeugnis ausgestellt. Von einer geplanten Ausweitung der Liste könnten auch die österreichischen Beobachter Johannes Hübner, Johann Gudenus (FPÖ) und Ewald Stadler (Ex-BZÖ) betroffen sein.

Ukrainischer Kampfjet abgeschossen

Unterdessen hat das ukrainische Militär den neuerlichen Abschuss eines Kampfjets im Osten des Landes bestätigt. Die Maschine vom Typ Su-25 sei am Vortag von einem "russischen Luftabwehrsystem" getroffen worden, teilte der Generalstab am Samstag mit. Der Pilot konnte sich demnach per Schleudersitz retten.

Angaben zum Ort des Absturzes machte der Generalstab nicht. Er wies jedoch Angaben der im Osten der Ukraine gegen die Armee kämpfenden prorussischen Separatisten zurück, insgesamt seien vier Kampfflugzeuge abgeschossen worden.

Ukraine hofft auf Waffen von der NATO

Die Ukraine hofft auf Waffen von der NATO. Die Regierung Kiew erwarte aber keine Entsendung von Truppen des Militärbündnisses, sagte der ukrainische Botschafter bei der NATO, Igor Dolgow, am Freitag nach einer Dringlichkeitssitzung in Brüssel. "Wir brauchen mehr Unterstützung. Es ist klar, dass die NATO uns nicht mit Soldaten helfen kann, davon gehen wir auch nicht aus", erklärte Dolgow. Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk hatte sich zuvor für eine Mitgliedschaft seines Landes in der NATO ausgesprochen. Er werde das Parlament ersuchen, die entsprechenden Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Beim NATO-Gipfel am Donnerstag und Freitag kommender Woche soll über langfristige Strategien beraten werden.

Polen verhindert Überflug von russischem Minister

Polen hat indes den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Freitag kurzzeitig an der Heimkehr über polnischen Luftraum gehindert. Die polnische Luftüberwachung habe der Maschine des Ministers am Freitag zunächst den Überflug verwehrt, meldete die Staatsagentur RIA Novosti. Das Flugzeug habe deshalb in Bratislava landen müssen, hieß es. Ein Sprecher der polnischen Luftaufsicht in Warschau begründete das Überflugverbot mit formalen Problemen. Polen gehört zu den Staaten, die das russische Vorgehen in der Ukraine besonders scharf kritisieren.

Die EU wird ihre Sanktionen gegen Russland verschärfen. Dies wurde bei einem Treffen der Außenminister der 28 EU-Staaten am Freitag in Mailand deutlich. In unterschiedlich scharfer Form kritisierten die Teilnehmer Russland wegen des Einsatzes regulärer Truppen in der Ostukraine. Mehrere Minister sprachen von einer "Invasion", der deutsche Ressortchef Frank-Walter Steinmeier vermied den Ausdruck.

Die Staats- und Regierungschefs werden bei ihrem Gipfeltreffen an diesem Samstag in Brüssel über die Lage in der Ukraine reden - auch über die möglichen neuen EU-Sanktionen.

Die EU hatte Ende Juli den Zugang russischer Banken zu den EU-Finanzmärkten erschwert, bestimmte Hochtechnologie-Exporte verboten und Ausfuhrverbote gegen Spezialgeräte zur Ölförderung verhängt. "Es kann jetzt nicht das Gleiche sein, es muss etwas anderes sein", sagte der schwedische Außenminister Carl Bildt über neue mögliche Sanktionen. Der estnische Außenminister Urmas Paet forderte "Sanktionen, die wirklich wehtun". Sein dänischer Kollege Martin Lidegaard sagte: "Kurzfristig brauchen wir weitere Sanktionen und Initiativen." Steinmeier meinte: "Dass die EU-Mitglieder notfalls auch bereit sind, den Druck zu erhöhen, ist hinreichend bekannt." Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) fehlte aus gesundheitlichen Gründen bei dem Treffen.

Steinmeier forderte Russland auf, im Ukraine-Konflikt "mit offenen Karten zu spielen". Die "gefährliche Lage" in der Ostukraine befinde sich "jetzt in einer neuen Dimension". Es müsse einen Dialog zwischen der Ukraine und Russland geben: "Das Ganze hat nur Sinn, wenn Russland mit offenen Karten spielt und wenn die Vernebelung von Sachverhalten, wie wir sie heute Morgen gesehen haben, wenn das endlich ein Ende findet", fügte er hinzu.

Die beobachteten Grenzverletzungen "lassen befürchten, dass die Lage zunehmend außer Kontrolle gerät", sagte Steinmeier. "Und deshalb muss das ein Ende haben. Jedenfalls dann, wenn man noch verhindern will, dass es zu einer unmittelbaren militärischen Konfrontation zwischen ukrainischen und russischen Streitkräften kommt. Es muss jetzt endlich Vernunft einkehren. Und das sage ich insbesondere mit Blick auf die russische Seite."

"Ich will nicht vom Krieg reden", sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. "Aber es gibt Anzeichen, dass wir es hier zu tun haben mit einer Aggression - das ist bewiesen - von russischen Soldaten auf ukrainischem Territorium." Er setze nach wie vor auf Sanktionen, "damit Russland einen Rückzieher macht". Was Sanktionen angehe, so stünden "alle Optionen zur Debatte". "Ich weiß, dass man damit den Konflikt nicht lösen wird. Aber man muss noch mehr vielleicht verdeutlichen, auf welchem falschen Weg Russland sich befindet." Er fügte hinzu: "Wegschauen, Einstecken, Zusehen kann keine Option sein für die EU, denn dafür steht zu viel auf dem Spiel."

"Das ist die zweite russische Invasion der Ukraine innerhalb eines Jahres. Wir sehen, dass die regulären russischen Truppen offensiv auf ukrainischem Territorium gegen die ukrainische Armee vorgehen", sagte Bildt. "Wir müssen die Dinge beim Namen nennen." Auch der litauische Außenminister Linas Linkevicius sagte, die Ukraine sei "mit einem Vormarsch, mit einer Invasion mit einer Aggression konfrontiert". "Es ist eindeutig eine russische Invasion in der Ukraine", sagte auch Paet. "Es macht keinen Sinn, mit Russland einen politischen Dialog zu führen, wenn es nicht zu seinem eigenen Handeln in der Ukraine steht."

Bildt forderte die EU zu stärkerer politischer und humanitärer Unterstützung der Ukraine auf. Linkevicius sagte, die EU müsse auch über die Lieferung von militärischem Gerät auf. "Wir sprechen nicht über eine militärische Lösung und die Ukraine will das auch nicht." Der rumänische Außenminister Titus Corlatean sprach von einer "dramatischen Lage" in der Ukraine. Dies bedeute, dass EU und NATO "eine harte Haltung gegenüber Russland einnehmen" müssten: "Anderenfalls hören wir wieder nur freundliche Worte von Russland, sehen aber kein Ende der militärischen Unterstützung der Separatisten."

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