Demonstrative Einigkeit gegen Putin bei G7-Gipfel

Angela Merkel, Herman Van Rompuy, Jose Manuel Barroso, David Cameron, Barack Obama, Francois Hollande, Stephen Harper, Matteo Renzi und Shinzo Abe
Die G7 drohen in Brüssel mit weiteren Sanktionen. Russland wirft den Staaten "Zynismus" vor.

Die Lage in der Ukraine ist das bestimmende Thema beim seit Mittwoch stattfindenden G7-Gipfel in Brüssel. Ursprünglich als G8-Treffen in Sotschi geplant, wurde Russland im Zuge der Ukraine-Krise ausgeladen und der Gipfel nach Brüssel verlegt. Dass die USA, Japan, Kanada, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien nun ohne Putin über Handels- und Energiefragen sprechen, soll Russlands isolierte Lage demonstrieren. Sie drohen nun mit weiteren Wirtschaftssanktionen. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel deutete am Mittwoch an, wo die „rote Linie“ liegt: Russland müsse seine Grenzen besser kontrollieren, damit nicht „in großem Umfang Kämpfer und Munition in den Südosten der Ukraine gelangen können“.

Die zentralen Punkte der G7-Erklärung zur Ukraine-Krise

Die G7 verurteilt die anhaltende Verletzung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Ukraine durch Russland. "Russlands illegale Annektierung der Krim und Aktionen zur Destabilisierung der Lage in der Ostukraine sind unannehmbar und müssen beendet werden."

Russland soll seine Streitkräfte vollständig von der ukrainischen Grenze zurückziehen und den Zustrom von Waffen und Aktivisten in das Nachbarland stoppen.

Die Staats- und Regierungschefs drohen mit weiteren Sanktionen, "um den Preis, den Russland zu zahlen hat, in die Höhe zu treiben, wenn die Ereignisse dies erfordern".

Die G7 will weiter mit der Ukraine zusammenarbeiten, um ihre wirtschaftliche Entwicklung, Souveränität und territoriale Unversehrtheit zu unterstützen. Sie ermutigt die Regierung in Kiew zu weiteren Reformen.

Die ukrainische Führung soll dafür sorgen, dass die Sicherheitskräfte bei ihren Operationen in der Ostukraine "maßvoll" vorgehen.

Der "Zynismus" der G7

Russland hat G7 im Ukraine-Konflikt "Zynismus" vorgeworfen. Wenn die "sogenannte" G7 das Vorgehen der ukrainischen Armee gegen Separatisten im Osten des Landes als "maßvoll" bezeichne, zeuge dies von "maßlosem Zynismus", sagte der russische Regierungschef Dmitri Medwedew am Donnerstag in Moskau.

Die Sache mit der Energie

Die sieben führenden Industriestaaten wollen außerdem vom rohstoffreichen Russland unabhängig werden. "Die Krise in der Ukraine macht deutlich, dass Energiesicherheit im Mittelpunkt unserer gemeinsamen Agenda stehen muss", hieß es im Entwurf der Abschlusserklärung des G-7-Gipfels in Brüssel, der AFP am Donnerstag vorlag. Nötig sei es, die Energieversorgung allmählich breiter aufzustellen und die nötige Infrastruktur zu modernisieren. Das bedeutet, dass alternative Energiequellen ausgebaut und die Voraussetzung für die Nutzung neuer Techniken wie Flüssiggas verbessert werden sollen. Ziel sei ein "stärker wettbewerbsfähiges, diversifiziertes, belastbares und kohlenstoffreduziertes Energiesystem", hieß es in dem Papier.

Die G-7 wollen sich dabei auf die Beschlüsse der Energieminister der sieben Länder stützen, die bei einem Treffen in Rom vor rund einem Monat eine Initiative für die Energieversorgungssicherheit beschlossen hatten.

Abkommen mit Kiew

In Brüssel will man den Druck auf Moskau zwar hoch halten, sieht aber auch eine Chance auf Entspannung: Die Wahlen in der Ukraine vor zehn Tagen seien besser gelaufen als erwartet, heißt es. Würde Moskau Poroschenko anerkennen, könnte dies ein Fenster für direkte Gespräche mit Kiew eröffnen. Allzu viel Rücksicht auf russische Befindlichkeiten will man in Brüssel aber nicht nehmen: Ratspräsident Herman Van Rompuy kündigte am Mittwoch an, man wolle die fehlenden Teile des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine spätestens beim EU-Gipfel Ende Juni unterzeichnen.

Obama betont NATO-Zusammenhalt

US-Präsident Barack Obama fand am Mittwoch deutliche Worte in Richtung Russland: „Jedes Volk und jedes Land hat das Recht, seine Zukunft zu bestimmen“, sagte Obama bei einer Feier anlässlich des 25. Jahrestages der ersten freien Wahlen in Polen. Diese waren der Anfang vom Ende des Kommunismus, sagte Obama bei seiner Rede in Warschau. Und, ganz offensichtlich an Putin gerichtet: „Die Zeiten von Imperien und Einflusssphären sind vorbei.“

Tags zuvor hatte Obama angekündigt, eine Milliarde Dollar (ca. 735 Millionen Euro) investieren zu wollen, um zusätzliche US-Truppen in Osteuropa zu stationieren. „Polen und auch Litauen werden niemals alleine stehen“, bekräftigte Obama gestern und verwies auf die Beistandspflicht im NATO-Vertrag: „Artikel 5 ist eindeutig: Ein Angriff gegen einen ist ein Angriff gegen alle.“ Eine scharfe Warnung an Russland, dass Aggressionen gegen die osteuropäischen Bündnispartner nicht unbeantwortet bleiben würden.

Obama nutzte seinen Besuch in Warschau auch zu einem Treffen mit dem neu gewählten ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, dem er Unterstützung bei Reformen zusagte – ebenso beim Kampf gegen pro-russische Separatisten.

Eine Übersichtskarte zur Eurasischen Union und der Konflikt-Region finden Sie hier.

Russland schickt Botschafter

Während der Westen Staats- und Regierungschefs zur Amtseinführung von Petro Poroschenko als neuem Präsidenten der Ukraine schickt, hat Russland nur seinen Botschafter als Gast angemeldet. Der Diplomat Michail Surabow werde an diesem Samstag in Kiew zwar an der Zeremonie, nicht aber am feierlichen Empfang teilnehmen, sagte Vizeaußenminister Grigori Karassin am Donnerstag in Moskau. Der Westen hatte Russland mehrfach aufgefordert, die Wahl von Poroschenko anzuerkennen. Kremlchef Wladimir Putin sprach allerdings bisher nur von "Respekt" für den ukrainischen Wählerwillen und vermied das Wort Anerkennung.

Nein, an einen Tisch wollen sich Russlands Präsident Putin und sein amerikanischer Amtskollege Barack Obama derzeit nicht setzen – zumindest, wenn es ums Essen geht. Also muss Frankreichs Staatschef François Hollande als Gastgeber heute, Donnerstag, vor dem D-Day-Jubiläum zwei Abendessen geben.

Die Ukraine-Krise hat eine politische Eiszeit zwischen Russland und dem Westen ausgelöst. Eben erst hat Obama in Warschau den Osteuropäern militärischen Schutz vor Russland versprochen und offen mit weiteren Wirtschaftssanktionen gedroht. Putin dagegen hat in der Vorwoche den Startschuss für sein lang gehegtes politisches Projekt gegeben: Die Eurasische Union wurde gegründet, ein Gegenmodel zur EU. Vorerst nur mit Russland, Weißrussland und Kasachstan, doch weitere ehemalige Sowjetrepubliken sind eingeplant, auch die Ukraine.

Von der Rückkehr des Kalten Krieges schreiben westliche Kommentatoren. Für Albert Rohan, langjähriger Generalsekretär des Außenamtes und einer von Österreichs international angesehensten Diplomaten, ist das trotz allem "eher Theaterdonner als Realität". Dass Obama Polen und den baltischen Republiken Schutz garantiere, diene vor allem deren Beruhigung. Ganz anders als im Kalten Krieg aber sei Europa nicht wirklich bedroht.

Dem Ruf mancher Politiker, Russland wie einst die Sowjetunion mit politischer und militärischer Härte in die Schranken zu weisen, kann Rohan wenig abgewinnen: "Europa sieht Russland heute als Partner, auch wenn dieses Verhältnis durch Putin Risse bekommen hat."

Imperialismus des 19. Jahrhunderts

Auch, dass sich Vertreter der europäischen Rechten, wie etwa der französische Front National von Marine le Pen oder die FPÖ, neuerdings für Putin begeistern, lockt den erfahrenen Diplomaten nicht aus der politischen Reserve. Dass diese Bewegungen "Führerpersönlichkeiten" suchten, sei ja bekannt: "Für Putin aber ist ihre realpolitische Bedeutung nicht sehr groß. Sie vertreten ja doch nur gerade einmal 20 Prozent der EU-Bevölkerung."

Die Politik des russischen Präsidenten gehe jedenfalls völlig an der globalen Realität vorbei: "Er denkt nicht einmal in den Kategorien des 20., sondern in denen des 19. Jahrhunderts, eines Imperialismus, in dem es um Territorien geht. Doch das ist durch die Globalisierung völlig überholt."

Die Drohung mit Wirtschaftssanktionen sieht Rohan daher als vernünftig an. Vor allem aber sollte man im Umgang mit Putin in der aktuellen Krise "die Realität wirken lassen. Westliche Investoren ziehen Milliarden aus Russland ab, die Moskauer Börse taumelt, wirtschaftliche Kooperationen kommen ins Stocken. Das macht, auch auf Putin, mit Sicherheit den größten Eindruck."

Der Schauplatz der Zeremonie war ebenso mit Bedacht gewählt wie die Worte von Wladimir Putin: In der kasachischen Retortenstadt Astana, einem zentralasiatischen Dubai, hoben der russische Präsident und seine Kollegen aus Kasachstan und Weißrussland vorige Woche die Eurasische Wirtschaftsunion aus der Taufe. Die Unterzeichnung des 700-seitigen Vertragswerks, erklärte Putin an der Seite von Nursultan Nasarbajew und Alexander Lukaschenko, habe eine „epochale, historische Bedeutung“.

2007 hatten die drei Länder eine Zollunion vereinbart, 2012 einen einheitlichen Wirtschaftsraum. Die Eurasische Union löst diesen im Jänner 2015 ab. Ziel ist freier Austausch von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften. Eine gemeinsame Währung ist nicht geplant.

Die Union soll ein Gegengewicht zur EU bilden, die sich in den Augen Russlands schon zu weit nach Osten ausbreitet. Als Brüssel ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, die Putin als Teil der Eurasischen Union sah, unterzeichnen wollte, war für Moskau das Fass übergelaufen.

Doch nicht nur der EU, auch der Supermacht USA will man Paroli bieten. Allerdings beträgt die Wirtschaftsleistung der Eurasischen Union nur ein Siebtel der EU oder der USA. Auch wenn Armenien und Kirgistan wie geplant beitreten, wäre es nur ein Fünftel.

Zudem hat die Eurasische Union nur 180 Millionen Einwohner, die USA haben 320, die Staaten der EU 740 Millionen. Russland, Kasachstan und Weißrussland verfügen jedoch über ein Fünftel der weltweiten Gas- und 15 Prozent der Ölreserven. „Die wirtschaftliche Substanz des Blocks wird sich wohl erst in vielen Jahren herausbilden“, analysiert die Moskauer Zeitung Wedomosti. „Und es ist nicht Fakt, dass das gelingt.“

Einstige Größe

Westliche Staaten glauben ohnehin nicht, dass die Union wirtschaftliche Ziele verfolgt. „Sie ist die Realisierung von Putins geopolitischem Traum“, meint auch der russische Polit-Experte Nikolay Petrov. Immerhin hat der Kremlchef den Zerfall der Sowjetunion als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet.
Sowjetnostalgie ist laut einer Umfrage des russischen Instituts VCIOM, das jedoch in Staatshand ist, weit verbreitet. Demnach sehen 82 Prozent der Russen einen starken Einflussgewinn Moskaus auf internationaler Ebene. 42 Prozent finden, dass Russland sich in diesem Jahrhundert den Status einer Supermacht zurückholen solle. Die Eurasische Union soll laut Petrov zeigen, dass Russland dabei „nicht alleine dasteht“.

Beobachtern zufolge hatten die autoritär regierten Staaten Kasachstan und Weißrussland keine Alternative zu einem Beitritt. Die weißrussische Wirtschaft würde ohne Russland darniederliegen. Kasachstan exportiert einen großen Teil seines Erdöls über russische Pipelines. Für das beitrittswillige Armenien ist Russland der wichtigste Sicherheitspartner, Kirgistan flieht aus Angst vor Isolation und wirtschaftlichem Druck aus China in Moskaus Arme.

Wie groß die Eurasische Union noch werden kann, ist offen. Die Ex-Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen sind bereits in der EU, Moldau und Georgien orientieren sich auch nach Westen. Dazu kommt der unklare Nutzen einer Mitgliedschaft: Viele Länder kooperieren ohnehin eng mit Moskau, aber auch mit der EU. Diese ist Haupthandelspartner für Armenien, aber auch für Kasachstan – und sogar für Russland.

Der frühere Vize-Außenminister Kasachstans, Kairat Sarybay, vertritt die öl- und gasreiche zentralasiatische Republik in Österreich. Mit dem KURIER sprach er über ...

... die Eurasische Union Wir wollen eine Wirtschaftsunion von gleichberechtigten Staaten, unabhängig von deren Größe oder Bevölkerung. Unser Vorbild dabei sind die EU und der europäische Integrationsprozess. Die erste Idee dazu hat übrigens Kasachstans Präsident Nasarbajew geäußert. Das war 1994. Damals war natürlich die Skepsis der gerade unabhängig gewordenen Sowjetrepubliken groß.

... die politische Macht der Union Es geht nicht um eine politische Union, sondern um eine wirtschaftliche, mit den vier Freiheiten: für Kapital, Dienstleistungen, Personen und Waren. Jeder Staat in dieser Union hat natürlich seine eigene Politik.Wir wollen wirtschaftliche Kooperation zwischen gleichgestellten Partnern in der Region. Durch diese wirtschaftliche Union wollen wir natürlich auch bessere Beziehungen mit Europa. Gerade für uns sind diese Beziehungen sehr wichtig.

... Russland als Nachbarn Kasachstan befindet sich zwischen zwei großen Nachbarn: Russland und China. Unsere Außenpolitik war daher immer multilateral. Die Nachbarschaftspolitik steht dabei an erster Stelle. Tausende Kilometer Grenze mit Russland und China, das bedeutet, wir brauchen gute Handelsbeziehungen, gute Kooperation auf verschiedensten Gebieten.

Wir haben keine Angst, auch nicht vor Russland. Wir haben den Willen, gute nachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen. Wir betrachten Russland und China als gute Partner für unsere Exporte, aber auch als Markt.

... die Krise in der Ukraine Die ist sehr schmerzhaft für uns. In Kasachstan wohnen Russen und Ukrainer nebeneinander. Kasachstan hätte gerne, dass sich die Situation sofort beruhigt. Die Krise in der Ukraine muss die Ukraine allerdings selbst lösen. Fremder Einfluss ist nicht willkommen. Mit dem neuen gewählten Präsidenten wird es einfacher sein.

... die Stabilisierung der Ukraine Wenn sie als Land stabil sein wollen, müssen sie zuerst die innenpolitische Lage stabilisieren. Die Regierung muss sich um die eigene Bevölkerung, und zwar alle Gruppen und Schichten, kümmern, damit die zufrieden sind. Arbeitsplätze, eine funktionierende Wirtschaft, Transparenz im Land. Das ist die wichtigste Säule für politische Stabilität.

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