EU verhängt milde Sanktionen gegen Russland

Sanktionen oder keine Sanktionen – ohne sie geht gar nichts in Europa: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, umringt von Großbritanniens David Cameron, Rumäniens Traian Basescu und EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso.
Ukraine-Premier redet von "Krieg", USA verhängen Strafen. Die EU fordert weiterhin Deeskalation.

Das hat den EU-Staats- und Regierungschefs gerade noch gefehlt. Ihr Gast, der Übergangspremier der Ukraine Arseni Jazenjuk, drohte den Russen mit Krieg. Nach einem Treffen mit den EU-Granden wurde er in einer Pressekonferenz aggressiv-deutlich: "Wir sprechen über Krieg." Der Satz über den Krieg fiel kürzlich bei einem Treffen mit dem russischen Premier Dimitri Medwedew, und Jazenjuk zitierte ihn am Donnerstag noch einmal.

Bei einer weiteren Eskalation "wird die ukrainische Regierung und das Militär gemäß der Verfassung tätig werden. Wir sind bereit, unser Land zu schützen", sagte er vor Hunderten EU-Korrespondenten. Für ihn seien russische Stiefel und russische Panzer auf der Krim "eine Frage der weltweiten Sicherheit". Jazenjuk betonte auch, dass "die Ukraine nicht antirussisch, sondern pro-ukrainisch" sei . Eine neue "Berliner Mauer zwischen der Ukraine und der Krim" lasse er nicht zu. Ein Referendum über die Abspaltung der Krim sei illegal und eine Verletzung der ukrainischen Souveränität.

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Visa-Bann

Der Kiewer Politiker, der der Partei von Julia Timoschenko angehört, kündigte an, das Assoziationsabkommen mit der EU so rasch wie möglich unterschreiben zu wollen.

Mitten in das Krisentreffen der EU-Staats- und Regierungschefs platzte dann die Meldung, dass US-Präsident Obama Sanktionen angeordnet habe. Es sollen Einreiseverbote verhängt und Konten von Russen und Ukrainern gesperrt werden, denen die Destabilisierung der Ukraine und eine Gefährdung der territorialen Integrität des Landes vorgeworfen wird.

Ob die Staats- und Regierungschefs von den Sanktionen der Amerikaner informiert waren, ist offen. Unklar ist auch, ob sie von Jazenjuk über seine Kriegsdrohung in Kenntnis gesetzt worden waren. Die starken Worte sind ein scharfer Kontrast zum Stil und zur Stimmung, die die EU-Oberen am Beginn des Gipfels verbreiteten.

Stufenplan

Doch selbst wenn die EU-Granden weiterhin auf Dialog mit Russland und Deeskalation setzen, so gibt es doch einen Stufenplan für Sanktionen. Die erste Stufe wurde am Donnerstag beschlossen: Die EU fror die Verhandlungen über Visa-Erleichterungen für Russen ein. Falls Russland nicht "in den nächsten Tagen" zu Verhandlungen mit der Ukraine bereit ist, sollen weitere Schritte folgen: Einreiseverbote, Kontensperren, die Absage des EU-Russland-Gipfels. Und als letzten und schärfsten Pfeil im Köcher hat die EU große Wirtschaftssanktionen.

Die EU will sich aber weiterhin keine Chance verbauen, mit Russland doch noch zu verhandeln, setzt aber weiter auf Deeskalation und Gespräche mit Moskau. "Es gibt keine Lösung ohne Russland. Wer glaubt, Dialog oder Brücken ohne Russland bauen zu können, ist auf dem falschen Weg", betonte Kanzler Werner Faymann. Österreich will sich als "Brückenbauer" im Krim-Konflikt betätigen. "Wir werden eingesetzt", sagte der Kanzler zum KURIER. Ein dichtes Kommunikationsnetz von bilateralen Kontakten und Gesprächen mit Vertretern der Ukraine und Russlands soll zur Deeskalation beitragen. "Wenn das nicht gelingt, werden wir über andere Möglichkeiten nachdenken", so Faymann. "Die anderen Möglichkeiten" sind schwerwiegende Sanktionen, die die EU im Köcher hat und beim nächsten EU-Gipfel am 20. und 21. März beschließen könnte. Auch ein Sondergipfel nächste Woche ist denkbar.

So schnell wie möglich soll eine Kontaktgruppe gebildet werden. Ebenfalls rasch will die EU den politischen Teil des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine unterschreiben.

Das bisherige Vorgehen der russischen Führung auf der Krim wurde von allen EU-Regierungschefs schärfstens verurteilt, die territoriale Integrität der Ukraine ist für die EU oberste Prämisse. Die Europäer wollen verhindern, dass pro-russische Paramilitärs im Osten und Süden der Ukraine eindringen und dort ebenfalls Gebietsabspaltungen vorantreiben.
Zur Unterstützung der Führung in Kiew will die EU rasch den politischen Teil des Assoziierungsabkommens mit Kiew unterschreiben. Einig waren sich die EU-Granden, der Ukraine finanziell unter die Arme zu greifen.

Reformen und Geld

Einig waren sich die EU-Granden, der Ukraine finanziell unter die Arme zu greifen, elf Mrd. Euro in Form von Direktzahlungen, Krediten und Garantien sind fix. Die Vergabe ist aber auch an Bedingungen geknüpft: Reform der Verfassung, freie Wahlen, der Kampf gegen Korruption und die Einhaltung der Minderheitenrechte, die Liste ist lang. Außerdem sind alle Akte der Gewalt beim Umsturz der Regierung zu untersuchen.

Interpol prüft derweil einen Antrag von Kiew, den gestürzten Präsidenten Janukowitsch weltweit zur Fahndung auszuschreiben.

Aus der Sicht der neuen Führung auf der Krim ist die Sache erledigt: Die Halbinsel soll nach einem Parlamentsbeschluss vom Donnerstag an Russland angeschlossen werden, die Führung in Moskau sei gebeten worden, sich mit der Angelegenheit zu beschäftigen.

Einzementieren soll diese Beschlüsse ein Referendum über eine Ausweitung der Autonomie innerhalb des ukrainischen Staates oder den Anschluss an Russland am Sonntag in einer Woche. Staatseigentum auf der Krim soll demnach nationalisiert und der russische Rubel eingeführt werden. Einher geht dieser Beschluss mit einer Drohung: Die Entscheidung des Krim-Parlaments über den Anschluss an Russland sei ab sofort gültig, alle ukrainischen Truppen auf der Krim würden als Besatzungstruppen angesehen und müssten ihre Waffen niederlegen.

Beobachter abgewiesen

Diese Einheiten werden seit einer Woche von Kämpfern ohne Hoheitszeichen belagert – laut russischer Darstellung handelt es sich um lokale "Selbstverteidigungskräfte". Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde der Zugang zur Krim verweigert. Indes war ein US-Zerstörer auf dem Weg ins Schwarze Meer. Sechs US-Kampfjets wurden ins Baltikum verlegt.

Aus der Sicht Kiews fängt mit dem Entscheid der Krim die Sache erst so richtig an – in der Wortwahl von Vertretern der Übergangsregierung fällt immer öfter ein Wort: "Krieg". Für die Übergangsregierung ist das Parlament in Sewastopol nicht legitim, der Beschluss über die Loslösung entbehre jeder verfassungsrechtlichen Basis. Auch die geplante Volksabstimmung sei nicht legitim. Die Regierung in Kiew leitete bereits die Auflösung des Krim-Parlaments ein.

Vor allem aber besteht die Angst, dass die Vorkommnisse auf der Krim in anderen Landesteilen der Ukraine – vor allem dem Osten und Süden – Schule machen könnten. Seit einer Woche kommt es in den Metropolen Donezk und Charkiw wechselweise zu Demonstrationen pro-russischer Kräfte und solcher, die Kiew unterstützen. Vor allem in Charkiw war es dabei auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Laut Augenzeugen wird das pro-russische Lager dort auch durch russische Staatsbürger verstärkt, die mit Bussen über die Grenze gebracht werden.

Der Journalist Zurab Alasania aus Charkiw sieht im russischen Trommelwirbel auf der Krim nur ein Manöver, um von Aktionen in der Ostukraine abzulenken. Denn diese könnten nach den Worten Putins dazu führen, dass Russlands Armee zum Schutz von Russen auch in der Ostukraine aktiv wird.

In Moskau wird derweil die rechtliche Grundlage für die Einverleibung der Krim geschaffen – wenn auch Präsident Putin noch am Montag gesagt hatte, dass eine Angliederung der Krim an Russland nicht in Russlands Interesse sei. Ein in der Duma eingebrachter Gesetzesentwurf sieht eine Erleichterung für den Anschluss von Territorien an die Russische Föderation vor. Putin berät mit dem Nationalen Sicherheitsrat über die Anfrage des Krim-Parlaments, Teil Russlands werden zu wollen. Für Vertreter der Regierungspartei Geeintes Russland eine "historische Entscheidung".

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Die Europäische Union machte am Donnerstag mit den wirtschaftlichen Sanktionen gegen die frühere ukrainische Führung um Ex-Präsident Viktor Janukowitsch ernst. Sie verordnete Kontosperren gegen 18 ukrainische Politiker und Oligarchen – aus zwei Gründen: Verdacht auf Menschenrechtsverletzungen und auf Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte. Damit ist aber die österreichische Sperrliste, die vergangene Woche in Kraft trat, Makulatur. "Die EU-Sanktionsliste hat Vorrang", sagt Martin Weiss, Sprecher des Außenministeriums.

Drei prominente Unternehmer

Auf der neuen Ukraine-Liste finden sich auch drei prominente Unternehmer: Sergej Kurtschenko, Sergej Kljujew und Alexej Asarow. Jung-Oligarch Kurtschenko ist Herr über die Vetek-Gruppe, die 30 Prozent Marktanteil am Gashandel in der Ukraine hat. Ihm gehören der Fußballklub Metalist Charkow und Tankstellen in Deutschland. Zu seiner Medienholding UMH zählt die ukrainische Ausgabe des Magazins Forbes. Kurtschenkos Österreich-Connection liegt bisher im Dunkeln.

Indes sind Sergej Kljujew und Alexej Asarow Wahl-Wiener. Asarow, Sohn des Ex-Premiers, hat schon vor Jahren seine Zelte in Wien-Pötzleinsdorf aufgeschlagen. Seiner Familie soll über eine Wiener Gesellschaft eine Fabrik in Donezk gehören und hierzulande Immobilien besitzen. Sergej Kljujew und seinem Bruder Andrej gehört die Wiener Slav-Gruppe. Die Slav AG weist im Geschäftsjahr 2012 rund 356 Millionen Euro Eigenkapitel aus. Dem Vernehmen nach schätzt Sergej Kljujew, der in einer Wienerwald-Gemeinde wohnt, den Abschlag im Golfclub Fontana in Ebreichsdorf und das edle Lebensmittel-Sortiment vom Meinl am Graben.

"Wir sind von möglichen Sanktionen gegen unser Unternehmen noch nicht informiert worden", teilte die Slav AG dem KURIER am Donnerstag mit. "Angesichts der Tatsache, dass unsere Eigentümer auf dieser Liste angeführt sind, müssen wir davon ausgehen, dass dieses Thema auf uns zukommen wird." Im Fall einer Sperre der Konten, heißt es weiter, würden den rund 4000 Mitarbeitern in den Produktionsbetrieben in der Ukraine "keine Gehälter mehr ausbezahlt werden können".

Aus dem Antrittsbesuch des Vizekanzlers in Moskau wurde plötzlich ein Ausflug in die Weltpolitik: Sigmar Gabriel war Donnerstag der höchstrangige West-Politiker bei Putin. Eine Stunde wurde geredet, danach warnte Gabriel "vor immer neuen Fakten und Sanktionen, die irgendwann eine neue Spaltung Europas bringen". Merkel hatte Gabriels Besuch in Moskau ausdrücklich zugestimmt.

Auch das macht Deutschlands führende Rolle im Verhältnis des Westens zu Russland deutlich: Es versteht sich seit Langem als dessen Brückenbauer und wird auch von Russland so gesehen, gerade in aktuellen Kommentaren der Moskauer Presse.

Und das, obwohl Merkels Verhältnis zu Putin ambivalenter ist als das ihres Vorgängers Gerhard Schröder. Der SPD-Kanzler hatte früh Sympathien für Putin. Schröders Politik war weniger analytisch und mehr emotional als die Merkels, sein Wort vom "lupenreinen Demokraten Putin" bereut er inzwischen. Doch seine Affinität zu Putin hatte auch objektivere Gründe als den lukrativen (inzwischen beendeten) Job in Putins Gazprom-Reich.

Tradition

Denn die Annäherung an den komplexen russischen Kosmos hatte schon viel früher begonnen: Mit der Ostpolitik des SPD-Kanzlers Brandt. Und Vereinigungs-Kanzler Helmut Kohl (CDU) war ein Meister subtilen Ausgleichs bei der Transition des Ostblocks in eine ruhigere Nachbarschaft Deutschlands.

Schröder wie Angela Merkel nutzten dann Putins oft gezeigte Bewunderung für Deutschland, die ihm schon als Resident des KGB im DDR-Dresden nachgesagt wurde. Ihr Höhepunkt war Putins Rede im Bundestag 2001, wo er ganz unzynisch deutlich machte, wie nah sich die Russen den Deutschen fühlen. Und welche Aufgabe die Demokratisierung der russischen Gesellschaft ist.

Als DDR-Bürgerin ist Merkel zwar gegen die Romantisierung Putin’scher Anmache immunisiert. Auch das mag etwas zur Enttäuschung Putins über den Westen beigetragen haben, die Kenner in Berlin analysieren: Er sehe die lange Schwäche seines Landes nach 1989 als von den USA und der NATO ausgenutzt und baue seither konsequent Gegendruck auf. "Ich muss so sein, wie es mein Volk von mir erwartet", war der Kernsatz des längsten Interviews mit der ARD, auf Deutsch. Doch sein Ausgleichsversuch zur West-Sympathie und -Hilfe für die Ukraine mit dem wiederholten Vorschlag einer gesamteuropäischen Freihandelszone wurde nicht einmal in Berlin ernst genommen.

Trotzdem ist Merkel inzwischen sein erster Ansprechpartner im Westen. Das gute Deutsch Putins und gute Russisch Merkels, das beide einst in der DDR übten, sind nur eine Fußnote. Merkel hat bei ihrem letzten Russland-Besuch subtil für Verständnis im Westen geworben: Man könne "Russland nicht wie Deutschland regieren". Dass man es auch nicht wie die Sowjetunion regieren sollte, kann derzeit wohl sie Putin am besten klar machen.

Dazu braucht es gar nicht die Aufzählung der engsten westlichen Wirtschaftsverflechtung durch Gabriel.

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