Tusk: EU-Abkommen kommt nächste Woche

Polens Premier Donald Tusk und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel
Polens Premier traf sich heute mit der deutschen Kanzlerin Merkel für Beratungen über die Ukraine.

Am Anfang der Proteste stand das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union. Jetzt soll zumindest ein Teil davon unterzeichnet werden: Der erste Teil des Abkommens der EU mit der Ukraine soll kommende Woche unterzeichnet werden. Dies kündigten der polnische Ministerpräsident Donald Tusk und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen am Mittwoch in Warschau an. Tusk sagte: "Wir sind beide der Auffassung, dass es gut und nützlich wäre, wenn möglichst zügig ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet werden könnte." Der "politische Teil" des Abkommens solle deshalb bei der nächsten Sitzung des Europäischen Rats unterschrieben werden. Merkel pflichtete ihm bei.

Die Kanzlerin bekräftigte zugleich die Pläne für härtere Sanktionen gegen Russland. "Wenn es keine Kontaktgruppe gibt, sind Sanktionen unabdingbar." Der Beschluss darüber könnte bei einem Treffen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel fallen, einen Tag nach dem umstrittenen Referendum auf der Krim über eine Loslösung von der Ukraine.

Die Ukraine hatte Ende November das weitreichende Assoziierungsabkommen auf Eis gelegt, nachdem das wichtige Nachbarland Russland mit Wirtschaftssanktionen gedroht hatte. Der zweitgrößte Flächenstaat Europas sei wirtschaftlich noch nicht reif für einen solchen Schritt, sagte der damalige Präsident Viktor Janukowitsch.

Kein militärisches Eingreifen auf der Krim

Krisenregion bleibt die Krim: Die Ukraine wird nach den Worten von Übergangspräsident Alexander Turtschinow nicht militärisch auf der Krim eingreifen und will stattdessen ihre Ostgrenze schützen. Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk will sich im Krim-Konflikt am Mittwoch in Washington Rückendeckung durch die USA holen. "Wir können keine militärische Operation auf der Krim starten, weil dann unsere Ostgrenze bloß liegen würde und die Ukraine nicht geschützt wäre", sagte der ukrainische Interimspräsident Turtschinow am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. "Darauf zählt die russische Armee", fügte er hinzu.

Indes hat die OSZE Beweise vorgelegt, dass das russische Militär für Straßenblockaden auf der Krim verantwortlich ist. Eine Expertengruppe wird noch bis Sonntag die militärischen Aktivitäten Russlands beobachten. Außerdem drohte EU-Kommissionspräsident Barroso Russland weitere Sanktionen an. "Wir haben nur einen begrenzten Zeitrahmen. Wenn es keine Ergebnisse gibt, wird es weitere Maßnahmen geben", sagte Barroso am Mittwoch vor dem Europaparlament in Straßburg.

"Farce"

Den für Sonntag geplanten Volksentscheid über einen Beitritt der Halbinsel am Schwarzen Meer zur Russischen Föderation bezeichnete Turtschinow als "Farce". "Was als Referendum bezeichnet wird, spielt sich nicht auf der Krim ab, sondern in den Büros des Kremls", kritisierte er. Weiter sagte Turtschinow, Moskau lehne jeden Kontakt zu Kiew ab. Dies betreffe etwa die "Ebene der Außenminister", obwohl die Weltgemeinschaft "den Beginn von Friedensverhandlungen" verlange.

Das Parlament der Krim in der regionalen Hauptstadt Simferopol hatte zuvor fast geschlossen für eine Unabhängigkeitserklärung von der Ukraine gestimmt. Nach dem Volksentscheid über den künftigen Status der Region will sich die Krim demnach an die Russische Föderation wenden, um "als neues Subjekt der Föderation" aufgenommen zu werden. Zwar versichern die Verantwortlichen auf der Krim, dass es sich dabei um eine freie und faire Abstimmung handeln soll, doch eine wirklich Wahl haben die Wahlberechtigten nicht. Es stehen nur zwei Fragen zur Auswahl, ein Votum für den Status quo ist nicht vorgesehen.

Jetzt wurde auch der Luftraum über der Halbinsel bis nach dem umstrittenen Referendum eingeschränkt. Damit werde die Ankunft von "Provokateuren" aus Kiew und der Westukraine verhindert, sagte der selbst ernannte Vizepremier Rustam Temirgalijew am Mittwoch der Agentur Interfax. Die Maßnahme gelte bis zum 17. März, einen Tag nach dem Referendum. Die ukrainische Halbinsel steht nach einem russischen Militäreinsatz faktisch bereits unter der Kontrolle Moskaus.

Krim-Regierung will ukrainische Firmen und Gasfelder übernehmen

Die Regionalregierung auf der Krim hat außerdem angekündigt, die staatlichen Unternehmen in dem Gebiet zu übernehmen. Betroffen seien die Energiefirma Chornomornaftohaz, die staatliche Eisenbahn und mehrere Ferienanlagen, die ukrainischen Ministerien gehörten, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Rustam Temirgaliew. "Das Eigentum privater Firmen und von Personen bleibt deren Eigentum." Es müsse aber nach russischem Recht neu registriert werden, so Temirgaliew auf einer im russischen Fernsehen übertragenen Pressekonferenz.

Ohne Chornomornaftohaz und Erdgasfeldern im Schwarzen Meer könnte es für die Ukraine schwierig werden, von russischen Energielieferungen weniger stark abhängig zu sein. Mehr als die Hälfte ihres jährlichen Erdgasbedarfs deckt die Ukraine durch Importe aus Russland. Da die Regierung in Moskau diese Abhängigkeit schon mehrfach für politischen Druck eingesetzt hat, bemüht sich die Ukraine darum, ihre Energieversorgung breiter aufzustellen. Das Erdgas des Schwarzen Meeres vor der Krim spielte dabei eine wichtige Rolle. Auch Konzerne wie Exxon Mobil, Royal Dutch Shell, Eni und OMV waren zur Stelle, um bei der Förderung dabei zu sein. Unterstützt wurden die Pläne von der Europäischen Union.

Die Investitionen sind wegen der Krise aber in Gefahr. Exxon-Manager Andrew Swiger hatte in der vergangenen Woche gesagt, sein Unternehmen habe alle Aktivitäten in der Region auf Eis gelegt.

Unterstützung aus den USA

Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk will sich am Mittwoch der Rückendeckung der USA versichern. Dazu wird er mit Präsident Barack Obama in Washington zusammenkommen. Mit dem Besuch werde die starke Unterstützung der USA für das ukrainische Volk unterstrichen, teilte die US-Regierung mit. Es gehe um eine friedliche Lösung des Krim-Konflikts. Der US-Kongress hat am Dienstag (Ortszeit) einen umgehenden Abzug russischer Truppen von der ukrainischen Halbinsel am Schwarzen Meer gefordert und härtere Sanktionen gegen Moskau verlangt.

Zudem wurde der Weltfußballverband FIFA aufgefordert, seine Entscheidung, die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2018 in Russland auszutragen, zu überdenken.

G7-Staaten drohen Russland mit Sanktionen

Auch die G7-Staaten drohen Russland geschlossen mit Sanktionen, falls sich Moskau die ukrainische Krim einverleiben sollte. "Sollte die Russische Föderation einen solchen Schritt unternehmen, werden wir weitere Maßnahmen - sowohl einzeln als auch gemeinsam - unternehmen", heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Japans, Kanadas, Großbritanniens und der USA. Die G7-Regierungen erinnern daran, dass sie bereits die Teilnahme an Vorbereitungstreffen für den G8-Gipfel in russischen Sotschi ausgesetzt haben. Sollte Russland sein Verhalten nicht ändern, seien keine sinnvollen Gespräche im G8-Rahmen möglich. Auch der EU-Ratspräsident und der EU-Kommissionspräsident haben die Erklärung unterzeichnet.

Leitl gegen Sanktionen

Gegen die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland sprach sich am Dienstag Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl aus. Man solle "die Wirtschaft als Brücke und nicht als Waffe" benutzen, sagte Leitl in der ORF-Sendung Report. Würde die Wirtschaft, "wenn die Politik am Ende ist", als Waffe benutzt, zwinge man den russischen Präsidenten Wladimir Putin "zu einer härteren Gangart" und es käme "zu einer Eskalation des Konflikts", so Leitl.

Auf der Krim ist ein weiterer prominenter Gegner einer Angliederung der Halbinsel an Russland mutmaßlich entführt worden. Sergej Kowalski, der in den vergangenen Monaten Demonstrationen für eine EU-Annäherung der Ukraine organisiert hatte, nehme seit Dienstag um 18 Uhr Ortszeit seine Telefon nicht mehr ab, berichtet die Internetzeitung investigator.org.ua am Mittwoch.

Vor wenigen Tagen war bereits sein Vater Anatolij Kowalski verschwunden. "Ich bin mir bewusst, dass ich in Gefahr bin, ich bekomme auch Todesdrohungen", hatte Sergej Kowalski noch am Montag zur APA gesagt. Der 28-jährige hatte unter anderem am Samstag die bisher größte Demonstration für einen Verbleib der Krim in der Ukraine organisiert, rund 1.000 Menschen waren zum Schewtschenko-Denkmal in Simferopol gekommen. Die Pro-Ukraine-Aktivisten berichten von zwischen fünf und sieben verschwundenen Personen.

Weiterhin unklar ist auch der Verbleib von Anatolij Kowalski und Andrej Schtschekun, Vorsitzender des Simferopoler Kulturzentrums "Ukrainisches Haus". Die beiden wurden laut Augenzeugen von Mitgliedern der sogenannten "Selbstverteidigungs-Truppen" festgesetzt, die dem von Kiew nicht anerkannten Krim-Ministerpräsidenten Sergej Aksjonow unterstellt sind. Später sollen sie über die Polizei an Aksjonows Partei "Russische Einheit" übergeben worden sein.

Aksjonow erklärte am Dienstag der Nachrichtenagentur RosUkrInform, eine kurz zuvor von ihm gegründeter "Geheimdienst" habe Schtschekun "in Gewahrsam genommen". Denn dieser habe versucht, das für Sonntag angesetzte Referendum über einen Anschluss der Krim durch "Provokationen" zu diskreditieren, so Aksjonow. "Wir haben Kriegszustand, da müssen wir zu drastischen, aber notwendigen Maßnahmen greifen", erklärte der Politiker. Schtschekun werde nichts zustoßen, erklärte er. Eine Möglichkeit zum Kontakt mit dem mutmaßlich Entführten räumte er jedoch nicht ein.

Der Krim-Regierung geht es nach Einschätzung von Beobachtern darum, die Kritiker eines Anschlusses an Russland einzuschüchtern und so Protesten vorzubeugen. Dass sie dabei zu immer gewaltsameren Methoden greift, zeigt auch das Vorgehen gegen Journalisten aus dem Ausland und vom ukrainischen Festland. Immer mehr Pressevertreter sind Angriffen der Selbstverteidigungs-Truppen und anderer pro-russischer Aktivisten ausgesetzt. Die teilweise Bewaffneten hindern sie an Live-Übertragungen, entwenden Speicherkarten oder beschädigen die Ausrüstung.

"Das passiert täglich, deshalb müssen wir von einer zielgerichteten Aktion ausgehen", sagte Valentina Samar vom Zentrum für investigativen Journalismus der APA. Ihrer Ansicht nach versuche die Krim-Regierung so, Presse-Vertreter aus dem Ausland von einer Anreise zum Referendum abzuhalten.

Rechte und ultranationalistische Kräfte haben eine zentrale Rolle bei den Protesten gegen den mittlerweile entmachteten Präsidenten Viktor Janukowitsch gespielt. Bekannt ist vor allem die rechtspopulistische Parlamentspartei Swoboda (Freiheit). Ihr Chef Oleg Tjagnibok verhandelte an der Seite von Ex-Außenminister Arseni Jazenjuk und Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko mit Janukowitsch.

Kritiker werfen der Partei, die mehrere Minister in der neuen Regierung in Kiew stellt, Rechtsradikalismus und Antisemitismus vor. Dieselben Vorwürfe richten sich auch gegen den Rechten Sektor (Prawy Sektor). Die ultranationalistische Gruppe sieht sich als Kern der gewaltbereiten Janukowitsch-Gegner. Mitglieder der paramilitärischen Organisation agierten bei den brutalen Straßenkämpfen mit der Polizei an vorderster Front und bewachten die Barrikaden. Landesweit schätzt die Gruppierung selbst das Mobilisierungspotenzial auf weit mehr als 5.000 Menschen. Anführer Dmitri Jarosch gibt offen zu, über Schusswaffen zu verfügen. Offiziell hat sich der Philologe von Antisemitismus und Neonazismus distanziert.

Dem Rechten Sektor haben sich zahlreiche Gruppierungen wie Patrioten der Ukraine (Patrioty Ukrainy) oder Trisub (Dreizack) angeschlossen. Hinzu kommen radikalisierte Splittergruppen wie Bely Molot (Weißer Hammer). Ihre Symbole erinnern auch an die der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler.

Die Bewegungen sehen sich in der Tradition ukrainischer Partisanen. Ihr Vorbild ist der Nationalistenführer Stepan Bandera (1909-1959), dessen Anhänger im Zweiten Weltkrieg teilweise auf der Seite von Nazi-Deutschland kämpften. Bandera saß aber auch jahrelang in deutschen Konzentrationslagern.

Ziel ist eine "nationale Revolution" und die Beseitigung der "inneren Okkupation" durch die Überreste des sowjetischen Machtapparats. Die Mitglieder lehnen liberale und demokratische Werte ab. Ideologisch sind sie zutiefst antirussisch und nationalistisch ausgerichtet.

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