EU-Wirtschaftssanktionen offiziell beschlossen
Die EU-Staaten haben den Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union gegen Russland am Donnerstag offiziell zugestimmt. Sie treten am Freitag in Kraft und stellen eine Reaktion auf die anhaltende Ukraine-Krise dar. Sie waren bereits am Dienstag von den EU-Botschaftern vereinbart worden. Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten hätten zuvor im schriftlichen Umlaufverfahren ihre Zustimmung zu den Maßnahmen erteilt, hieß es aus EU-Diplomatenkreisen.
Zu den Sanktionen zählen die Erschwerung des Zugangs russischer Banken zu den Kapitalmärkten der EU, ein Waffenembargo, ein Ausfuhrverbot für sowohl zivil als auch militärisch nutzbare Güter an die russischen Streitkräfte und ein Lieferstopp für Spezialgeräte zur Ölförderung.
Van Rompuy spricht von "starker Warnung"
Das beschlossene Sanktionspaket sei eine "starke Warnung" an Russland, betonte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy am Donnerstag in einer Aussendung. "Im Europa des 21. Jahrhunderts kann die illegale Annexion von Territorium und die absichtliche Destabilisierung eines souveränen Nachbarstaates nicht akzeptiert werden", unterstrich der Ratspräsident.
Wenn eine "außer Kontrolle" geratene Gewaltspirale auch zur Tötung von 300 unschuldigen Flugpassagieren führe, "braucht es eine dringliche und entschlossene Antwort", sagte Van Rompuy mit Blick auf den Absturz einer malaysischen Jets über der umkämpften Ostukraine vor zwei Wochen. "Die Europäische Union erfüllt ihre Verpflichtungen zum Schutz ihrer Bürger. Und die Europäische Union steht an der Seite ihrer Nachbarn und Partner."
Das am Freitag in Kraft tretende Paket enthält neben den wirtschaftlichen Maßnahmen auch eine Ausweitung der gegen einzelne Personen und Entitäten gerichteten Sanktionen, den Stopp von finanziellen Zuwendungen durch die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) sowie die Einschränkung von Investitionen und Handel mit der annektierten Halbinsel Krim. Außerdem wird eine Verringerung der bilateralen Kooperation zwischen Russland und der EU ins Auge genommen.
Lieferstopp nach Russland: Das ist eine Erfahrung, die 15 österreichische Lebensmittelbetriebe schon seit Anfang Mai machen. Damals beanstandeten russische Auditoren bei Überprüfungen, dass drei Molkereien und ein Dutzend Fleischerei-Betriebe russische Normen nicht erfüllen.
Die Liste liest sich wie ein Who’s who der Lebensmittelbranche: Handl Tyrol, Greisinger Fleischwaren, Berglandmilch, Alpenmilch Salzburg und Ennstal Milch sind darunter. Sind Europas und Österreichs Hygienestandards wirklich lockerer als die in Russland? Oder gibt es doch eine Verbindung zur Ukraine-Krise und den Sanktionen, wie Beobachter vermuten?
Test auf Radioaktivität
„Ich glaube nicht, dass das zusammenhängt“, sagt Maria Kitzler von Österreichs größtem Milchverarbeiter Berglandmilch, der in 55 Länder liefert. Zwei der Berglandmilch-Werke sind seit Mai für russische Kunden blockiert – das betrifft vor allem Schärdinger-Hartkäse und Käse mit Wachsüberzug (Geheimratskäse). Die Bedingungen der Kontrollore seien zwar längst erfüllt. Dennoch heiße es weiterhin, die Sache sei „in Bearbeitung“. Kitzler hofft, dass bis Ende 2014 wieder geliefert werden kann. Beziffern kann sie den Umsatzausfall zwar nicht, er sei aber durchaus schmerzhaft. Russland ist ein wichtiger Markt.
„Es gibt immer wieder Diskussionen über Auflagen“, sagt Oskar Wawschinek von der Sparte Lebensmittel der Wirtschaftskammer. Oft liege das an Sprachbarrieren – oder an Normen, die schwer auf österreichische Verhältnisse umlegbar sind.
So berichten Schlachthöfe, dass russische Prüfer verlangen, dass im Umkreis von drei Kilometern der Fleischverarbeitung keine Tierhaltung stattfinden dürfe. „Das ist bei unserer kleinteiligen Landwirtschaft ein bisserl schwierig. Wir können den Bauernhöfen in der Nachbarschaft wohl kaum die Schweinehaltung verbieten“, sagt ein Betroffener.
Andere russische Richtlinien sehen laufende Überprüfungen für die Produkte vor, die bei uns eher unüblich sind – etwa Tests auf radioaktive Verstrahlung oder auf Antibiotika, die EU-weit verboten und somit gar nicht erhältlich sind. Das stößt auf Unverständnis: „Aus Russland rückt die Schweinepest immer bedrohlicher an uns heran, aber uns sekkiert man mit solchen Absurditäten“, klagt ein Betroffener.
Äpfel essen gegen Putin
Polen, der weltgrößte Exporteur von Äpfeln, ist – wie berichtet – von einem russischen Embargo für Obst und Gemüse betroffen. Mit dem Slogan „Iss Äpfel gegen Putin!“ greifen die Polen nun zur Selbsthilfe: Immer mehr Prominente lassen sich mit Apfel in der Hand fotografieren. Polens Präsidentenberater Stanislaw Koziej rief zur Unterstützung der Kampagne auf: Die Polen sollten zeigen, dass sie sich durch das Embargo nicht einschüchtern lassen.
Als Reaktion auf die westlichen Wirtschaftssanktionen hat Russland seine Strafmaßnahmen gegen einzelne Staaten ausgeweitet. Offiziell hat die russische Regierung betont, sie wolle die Sanktionen der EU und der USA nicht direkt beantworten. Außenminister Sergej Lawrow hatte eine eher asymmetrische Antwort angedeutet.
Wie in der Vergangenheit greift die russische Führung nun zunächst zu einer Nadelstich-Politik gegen einzelne Länder - für die etwa Strafen im Agrarbereich durchaus schmerzhaft sein können. Ein Überblick über einige der verhängten Strafmaßnahmen:
POLEN
Am Mittwoch verhängte Russland ein sofortiges Einfuhrverbot für polnisches Obst und Gemüse. Offiziell begründet wurde dies mit nicht eingehaltenen Hygienevorschriften. Bereits im April hatte die russische Veterinär- und Pflanzenschutzbehörde VPSS gewarnt, dass bald keine Äpfel mehr aus dem weltgrößten Apfelexporteurland in die Zollunion eingeführt werden dürften.
UKRAINE
Seit sich das Land für das EU-Assoziierungsabkommen ausgesprochen hat, bekommt es russische Importbeschränkungen zu spüren. Am Donnerstag traf es Säfte, zuvor hatte Russland schon ein Embargo auf Milchprodukte verhängt. Für die Ukraine ist dies nichts Neues: Als der ukrainische "Schokoladen-Zar" Petro Poroschenko seine Präsidentschaftskandidatur verkündete, entdeckte Russland Gesundheitsrisiken in den Produkten seines Süßwaren-Imperiums und untersagte die Einfuhr.
SEKTORALE SANKTIONEN: GAS
Das russische Außenministerium reagierte auf die Verhängung der EU-Wirtschaftssanktionen mit der Drohung reagiert, dies werde unweigerlich zu höheren Energiepreisen in Europa führen.
SEKTORALE SANKTIONEN: SOFTWARE
Apple und SAP sollen nach den Vorstellungen der Regierung in Moskau den russischen Behörden Quellcodes ihrer Software offenlegen. Das Kommunikationsministerium begründete dies am Mittwoch mit dem Recht der Verbraucher und Firmen auf Datenschutz und Sorge vor Manipulationen. Die meisten Software-Anbieter hüten den Quellcode aber als wichtiges Firmengeheimnis.
SORGE VOR WEITEREN SCHRITTEN
Die meisten EU-Regierungen haben sich in den vergangenen Tagen entspannt über russische Gegensanktionen geäußert. Allerdings ist der Grad der Betroffenheit sehr unterschiedlich. Einige Staaten mit sehr großer Gas-Abhängigkeit fürchten, vor allem im Winter in den Bannstrahl russischer Strafmaßnahmen zu geraten. Besonders betroffen sein könnten zudem die baltischen Staaten wegen der direkten Grenze zu Russland und enger Handelsbeziehungen.
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