Konflikt IS-Türkei: PKK kündigt Waffenstillstand auf

Erstmals ließ Ankara die Terrormiliz bombardieren. PKK kündigt Waffenstillstand mit der Türkei auf.

Es ist 3.12 Uhr morgens, als die Ruhe der Nacht in der Stadt Diyarbakir, im Südosten der Türkei, jäh unterbrochen wird. Drei F-16-Kampfjets steigen Freitagfrüh von der örtlichen Luftwaffenbasis auf. Der Auftrag der Piloten: Die Zerstörung von Stellungen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Nordsyrien. Die Operation "Yalcin" beginnt und damit auch eine neue Ära in der türkischen Syrien-Politik.

Denn bisher hatte sich der NATO-Staat strikt geweigert, sich in die US-geführte Anti-IS-Allianz einzureihen. Mehr noch: Mit dem erklärten Ziel, den syrischen Machthaber Bashar al-Assad zu stürzen und die Autonomie-Bestrebungen der Kurden jenseits der Grenze einzudämmen, hatte Ankara den IS gewähren lassen, manche sagen sogar, direkt unterstützt. Damit ist offenbar Schluss.

Konflikt IS-Türkei: PKK kündigt Waffenstillstand auf
Den letzten Anstoß für die Kehrtwende gab wohl das IS-Selbstmord-Attentat vom vergangenen Montag, bei dem in der türkischen Grenzstadt Suruc 32 Menschen, vor allem Kurden, getötet worden waren. "Wer uns Schaden zufügt, muss den zehnfachen Preis zahlen", sagte der türkische Premier Ahmet Davutoglu martialisch. Bei dem ersten nächtlichen Schlag sollen 35 IS-Kämpfer ums Leben gekommen sein. Bereits am Vortag war es in der Region Kilis (siehe Grafik) zu einem Feuergefecht zwischen türkischen Einheiten und den selbst ernannten Gotteskriegern gekommen. Dabei starb der Regierungssoldat Yalcin Nane, nach dem nun die Luft-Operation benannt wurde.

PKK kündigt Waffenstillstand auf

Die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat ihren Waffenstillstand mit der türkischen Regierung aufgekündigt. Nach dem Luftangriff auf PKK-Lager im Nordirak in der Nacht auf Samstag sei er bedeutungslos geworden, erklärte die PKK auf ihrer Internetseite. Das Büro des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu bestätigte die Luftangriffe. Die beiden Seiten hatten 2012 Friedensgespräche begonnen. Dabei wurde auch ein Waffenstillstand und ein Abzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei in den Nordirak vereinbart. Der Friedensprozess liegt vor dem Hintergrund gegenseitigen Misstrauens derzeit aber auf Eis.

Obama-Erdogan-Deal

Ihr vorangegangen war ein Telefonat zwischen US-Präsidenten Barack Obama und seinem türkischen Amtskollegen Tayyip Erdogan. Darin gab der Staatschef in Ankara dem beständigen Drängen Washingtons nach, die Luftwaffenbasis Incirlik nutzen zu dürfen. Dem Vernehmen nach gilt Selbiges jetzt auch für den Stützpunkt Diyarbakir. Das bedeutet, dass das Anti-IS-Bündnis die Dschihadisten viel schneller und effizienter ins Visier nehmen kann als bisher von Jordanien, dem Irak oder den Golfstaaten aus. Zudem können wegen der geringen Entfernung jetzt auch Kampfhubschrauber zum Einsatz gelangen.

Pufferzone an Grenze?

Politische Beobachter spekulieren darüber, ob die USA als Gegenleistung für die Nutzungsrechte der Basen der Türkei in der Frage einer Sicherheits- und Flugverbotszone entgegengekommen sind. Ankara fordert dies seit Langem. Die Rede ist von einem 40 bis 50 km breiten Puffer. Eine Flugverbotszone würde sich primär gegen die Führung in Damaskus richten, weniger gegen den IS, der ja über keine Luftstreitkräfte verfügt. Eine Sicherheitszone würde sich aber gezielt gegen die Kurden in Nordsyrien richten. Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten IS-Verbände vertrieben (siehe Grafik) und in der Region in drei Kantonen ihre Selbstverwaltung gefestigt. Diese weitgehende Autonomie wollen sie keinesfalls wieder aufgeben. Mehrmals haben die Kurden Ankara vor einer Intervention gewarnt.

Sollten die syrischen Kurden derart unter Druck geraten, würde wohl die türkische Kurden-Guerilla PKK nicht untätig zusehen. Bereits nach dem Suruc-Blutbad hatte sie die Verantwortung für die Ermordung von zwei Polizisten in der Türkei übernommen. Begründung: Ankara habe mit dem IS kollaboriert.

Verhaftungswelle

In der Zwischenzeit gehen die türkischen Behörden aber auch im Land gegen Anhänger und Sympathisanten der Terrormiliz vor. In der Nacht zum Freitag wurden bei landesweiten Razzien, bei denen 5000 Sicherheitskräfte beteiligt waren, knapp 300 Personen festgenommen – darunter auch linke und kurdische Extremisten, wie es hieß.

Kein NATO-Bündnisfall

Die Ausweitung des Konflikts zwischen der Türkei und der Extremistengruppe "Islamischer Staat" (IS) löst nach Angaben aus der deutschen Regierung derzeit nicht den NATO-Bündnisfall aus. "Dazu hat die Türkei weder einen Antrag gestellt noch ist dazu eine Sitzung des NATO-Rates geplant", sagte ein Regierungsvertreter am Samstag in Berlin.

Es gebe keine automatische Auslösung eines Bündnisfalls mit Hilfeleistung für einen NATO-Partner. Dafür brauche es eine politische Entscheidung aller 28 Partner. Nach den NATO-Statuten kann ein Angriff auf ein NATO-Land als Attacke auf alle Partner gewertet werden, was eine entsprechende Pflicht zur Unterstützung nach sich zieht.

Kommentare