Verschwörungstheorien um Ankara-Anschlag

Tränengas bei Demo gegen Gewalt in Ankara
Bluttat mit fast 100 Toten macht tiefe Spaltung der Gesellschaft sichtbar

Die Türkei trauerte am Montag um die Opfer des Anschlags von Ankara, bei dem am Wochenende fast 100 Menschen starben. Doch es war keine gemeinsame Trauer einer Nation, die den schlimmsten Terroranschlag ihrer Geschichte erlebt hat. Vielmehr wurde deutlich, dass die Risse in der Gesellschaft so tief sind wie nie zuvor. Rund drei Wochen vor der Parlamentswahl am 1. November zerfällt das Land immer mehr in zwei Lager: Anhänger und Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan und dessen Regierungspartei AKP. Eine Verständigung zwischen diesen Blöcken wird immer schwieriger. So weigert sich AKP-Premier Ahmet Davutoglu, mit der legalen Kurdenpartei HDP zu sprechen, die etliche Mitglieder bei dem Anschlag verlor. Kein Regierungsmitglied ließ sich bei den Beisetzungen der Anschlagsopfer blicken.

Einige regierungsnahe Medien schürten die Spannungen, indem sie die Theorie verbreiten, die PKK-Kurdenrebellen hätten den Anschlag im Auftrag des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ausgeführt. Die islamistische Zeitung Yeni Akit setzte noch eins drauf und machte die Geheimdienste Deutschlands, Großbritanniens und der USA für die Gewalt verantwortlich.

Umgekehrt sind die HDP-Führung und viele Kurden und Linke fest davon überzeugt, dass der Staat in die Gewalttat von Ankara verwickelt sei. Die Behörden hätten "Blut an den Händen", sagte HDP-Chef Selahettin Demirtas.

Indes kommen die Ermittlungen nur langsam voran. Davutoglu sagte, Anhänger des "Islamischen Staates" (IS) seien die Hauptverdächtigen. Einer der beiden Attentäter werde bald identifiziert sein.

IS-Zelle in Anatolien

Laut Presseberichten konzentriert sich die Tätersuche auf eine mutmaßliche IS-Zelle aus Ostanatolien. Einige Mitglieder dieser Zelle sind der Polizei bekannt – warum sie dennoch frei herumlaufen und Anschläge verüben konnten, gehört zu den vielen offenen Fragen.

Natürlich habe die Regierung den Anschlag nicht verübt, schrieb der Kolumnist Ahmet Hakan in der Zeitung Hürriyet. Doch die von der Regierung aus wahltaktischen Gründen in den vergangenen Jahren betriebene Polarisierung der Gesellschaft habe ein Klima geschaffen, in dem "der eine den anderen hasst". Hakan spricht aus Erfahrung – er war kürzlich von AKP-Schlägern verprügelt worden.

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