Türkei: Österreicher zwischen Fronten

Türkei: Österreicher zwischen Fronten
Etwa 10.000 Österreicher halten sich derzeit in der Türkei auf. Die Verunsicherung ist groß. Ihr Urlaub ist vom Putschversuch, Waffengewalt und der Ausgangssperre überschattet.

Trotz der Terroranschläge und Unruhen in den vergangenen Monaten ist die Türkei immer noch eines der beliebtesten Reiseziele der Österreicher. Schätzungen des Außenministeriums zufolge halten sich derzeit etwa 10.000 in der krisengebeutelten Region auf, 3300 davon haben ihren Aufenthalt beim Außenamt registrieren lassen. Oft geht das über die Reiseveranstalter.

"Das erleichtert gerade in Krisensituationen ungemein die Arbeit. Wir können leichter Kontakt aufnehmen und haben die Menschen über unseren SMS-Dienst informiert und gewarnt", erklärt Außenamts-Sprecher Thomas Schnöll. Urlauber und Geschäftsreisende bekamen die Information, einen sicheren Ort aufzusuchen und wenn möglich ihre Hotels oder Wohnungen nicht zu verlassen. Laut Schnöll gibt es keinerlei Hinweise, dass unter den Todesopfern der gewaltsamen Auseinandersetzungen auch Österreicher sind.

Schon in der Nacht auf Samstag wurde im Außenministerium ein Krisenstab eingerichtet, der nach Rücksprache mit der österreichischen Botschaft in Ankara die Lage stündlich neu bewertet. Da bereits in den Nachtstunden besorgte Türkei-Urlauber und -Reisende die Telefonleitungen im Außenministerium und der österreichischen Botschaft zusammenbrechen ließen, wurde der Bereitschaftsdienst aufgestockt, berichtet Schnöll.

Waffen statt Cocktails

Der KURIER hat einige österreichische Urlauber telefonisch in der Krisenregion erreicht. Anstatt Cocktails, Musik, Sand und Sonne waren Panzer, Flugzeuglärm und schwer bewaffnete Soldaten in den vergangenen Stunden tonangebend.

Türkei: Österreicher zwischen Fronten
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Hassan Mehmedali, ein niederösterreichischer Unternehmer mit türkischen Wurzeln, urlaubt mit seiner Familie und Freunden gerade im Urlauberparadies Side an der Mittelmeerküste. Die ausgelassene Stimmung im Clubhotel wurde Freitagabend vom Putschversuch überschattet. "Alle haben im Fernsehen die Bilder aus Ankara und Istanbul gesehen. Es wurde geschossen und es gab Explosionen. Natürlich waren alle beunruhigt", sagt Mehmedali. Ein paar Hundert Meter vom Hotel entfernt fuhr auch in der Stadt Side das Militär auf. "Die Leute wurden aufgefordert, die Häuser nicht zu verlassen. Bei uns im Hotel haben alle bis vier Uhr in der Früh ferngesehen", so der Unternehmer. Er berichtet von anscheinend gesteuerten Medienberichten.

Die Beiträge in den türkischen und ausländischen Medien klafften weit auseinander. Da er jedoch glaubt, dass sich die Lage schnell wieder beruhigt, will er seinen Urlaub nicht frühzeitig abbrechen und wie geplant am Dienstag nach Hause fliegen.

Der bei einem niederösterreichischen Logistikbetrieb beschäftigte Kadir Güzel erlebte am Freitag Schrecksekunden, als er mit seinem Wagen auf dem Weg in Richtung Ankara war. Vor Istanbul geriet er in eine Sperre des türkischen Militärs. "Es durfte niemand in die Stadt hinein noch hinaus. Die Menschen demonstrierten und Panzer fuhren auf. Wir mussten 24 Stunden auf einem Parkplatz bleiben, ehe wir weiter durften", so Güzel.

TV ohne Ende

Im Magic Life Club Waterworld, der außerhalb von Belek liegt, war nicht viel vom Putsch zu bemerken. Cluburlaub wie immer, nur dass dabei der Fernseher ohne Ende lief und die türkischen Gästebetreuer ziemlich aufgeregt wirkten. Gerade in der Gegend um Antalya ist die Stimmung nicht gut. Viele Hotels sind geschlossen, viele deshalb arbeitslos.

Man spricht nicht gerne laut darüber, aber "er", gemeint ist Erdogan, hätte die Touristen mit seiner Politik vertrieben. An der Mittelmeerküste hat Erdogan nicht so viele Fans wie in anderen Großstädten oder in Anatolien. "Wir sind Kemalisten", sagt ein Hoteldirektor, der in diesem Fall aber nicht namentlich genannt werden will. "Er ist gefährlich."

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Mit einer "Geistermaschine" der Turkish Airlines aus Istanbul landeten Samstagvormittag gerade einmal 15 Passagiere am Flughafen Wien-Schwechat. "Es gab kaum Möglichkeiten auf den Flughafen zu gelangen. Überall waren Panzer und Militär, die Straßen waren gesperrt". Der 21-jährige Yunus Ural aus Linz und seine Freundin waren zwei der Fluggäste, die es an Bord der Maschine nach Österreich geschafft hatten. Das Paar hatte 200 Kilometer östlich von Istanbul in der Stadt Sakarya Familienangehörige besucht, als sich Freitagabend die Lage drastisch zuspitze. "Die Menschen sind auf die Straße gegangen und haben demonstriert. Ich war auch dabei. Ich bin entschieden gegen diesen Putsch", sagt Ural.

Wegen der blockierten Straßen wusste das Paar nicht, ob es es Samstagfrüh auf den Flughafen nach Istanbul schaffen würde. "Letztlich haben wir es geschafft. Ich hoffe, dass jetzt wieder Ruhe einkehrt im Land und Erdogan an der Macht bleibt."

Odyssee

Eine Heimreise-Odyssee erlebten auch Ümit Erdogan und seine Lebensgefährtin Anna G. Die beiden hatten Familie und Freunde in Belek besucht und flogen am Freitag über Antalya nach Istanbul. Dort brach das Chaos aus. "Am Flughafen wurden Fernseher aufgestellt. Demonstranten sind schreiend durch das Flughafengebäude gelaufen. In den Medien haben wir gesehen, wie im Hintergrund vor laufender Kamera Menschen erschossen wurden. Es war schlimm", schildert das Paar.

Ihr Freund schildert, dass ein Passagier aus Wien mit seinem Taxi in eine Straßensperre geriet. "Es waren Panzer stationiert. Er musste drei Kilometer zum Flughafen laufen, weil das Taxi nicht durchgelassen wurde", erzählt Ümit Erdogan. Die Kommunikation mit den Familien, die sich Sorgen machten, war schwierig: "Facebook und alle anderen sozialen Medien wurden abgeschaltet". Ümit Erdogan hofft, dass sich die Lage möglichst schnell stabilisiert. Er muss schon am Montag wieder in die Türkei reisen. Hunderte Passagiere, die für Samstag einen Türkei-Flug gebucht hatten, mussten sich in Geduld üben. Sie warteten teils stundenlang am Flughafen. Von 39 Flugverbindungen wurden zwölf gestrichen. Samstagabend wurde bekannt, dass die AUA am Sonntag wieder nach Antalya fliegt. Istanbul wird etwa von der Lufthansa angeflogen.

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