Im Lazarett der Bärtigen
Für die vier bärtigen Männer in dem Krankenzimmer ist klar: Diktator Bashar al-Assad muss weg, dafür soll die „islamische Fahne in ihrer Heimat Syrien wehen“. Dafür kämpfen sie, dafür wollen sie auch als „Märtyrer“ sterben. Doch momentan haben sie Auszeit von ihrem Dschihad. Nach Verletzungen werden sie in einer Rehab-Klinik im türkischen Reyhanli, nur sieben Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, behandelt. Und hier in dem umfunktionierten ehemaligen Studentenwohnheim begegnet man überall einem sehr strengen Islam.
In Zimmer drei liegt der 24-jährige Raed (Name geändert). Sein Bart reicht fast bis zum Ende des Brustbeines. Ein Granatsplitter ist ins Rückenmark eingetreten. Der junge Mann, der laut eigener Aussage Teil der Freien Syrischen Armee (FSA) ist, wird nie wieder gehen können. Doch er ist stolz auf seinen Einsatz: „Es war es wert, und ich würde es jederzeit wieder machen.“
Hilfe aus Saudi-Arabien
Moralische Unterstützung erhält er von zwei Männern, die neben seinem Bett stehen. Nein, sie seien keine Verwandten, aber sie kämen aus Saudi-Arabien, „um unsere Brüder zu sehen“, wie einer in perfektem Englisch dem Reporter sagt. Mit im Gepäck: Medikamente, Decken und Geld – die Klinik wird zur Gänze durch Spenden aus der islamischen Welt finanziert.
Im Stockbett, oberhalb von Raed, hat es sich ein anderer syrischer Kämpfer bequem gemacht und spielt auf seinem Handy. Er, ebenfalls mit mächtigem Rauschebart, ist nicht verletzt und nur zu Besuch hier. Schon morgen wolle er wieder über die Grenze gehen und zu seiner Einheit stoßen. Deren bezeichnender Name: „Sahel Eagles“ – in der afrikanischen Sahelzone haben sich muslimische Extremisten unterschiedlichster Provenienz breit gemacht, die drauf und dran waren, ganz Mali an sich zu reißen. Dann bereitete Frankreich mit einer Militär-Intervention dem Spuk vorerst ein Ende.
Islamisten-Einfluss
Faktum ist, dass die Islamisten unter den syrischen Aufständischen immer größeren Einfluss gewinnen. Faktum ist auch, dass in dieser Rehab-Station kaum ein Mann ohne langen Bart anzutreffen ist. Der behandelnde Mediziner versucht zu beschwichtigen: „Auch die kubanischen Revolutionäre ließen sich die Bärte stehen“, so Housam al-Mustafa. Der 26-Jährige, der mit seinem westlichen Auftreten so gar nicht in das sonstige Umfeld hier passt, war Arzt in einem staatlichen Spital in Aleppo. Er wurde gefeuert und floh dann in die Türkei.
Auf dem kahlen Gang humpelt ein Zwölfjähriger auf Krücken vorbei. Er erlitt bei einem Granatangriff der syrischen Streitkräfte Ober- und Unterschenkelbrüche, wird aber bald wieder ohne Gehhilfe auskommen – und er würde gerne gegen Assad kämpfen: „Der glaubt nämlich, dass er Gott ist, aber es gibt nur einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet“, sagt er. Der letzte Teil des Satzes prangt auch als Leitspruch auf einem Sticker. Diesen trägt der Bub auf einem Tuch, das er sich um den Kopf gewickelt hat.
Der kleine Nachwuchs-Rebell führt den Berichterstatter in das Zimmer, wo ein Gleichaltriger liegt. Behutsam versucht dessen Bruder, die Beine des Verwundeten durch Massagen zu mobilisieren. Allein – die Mühe wird vergeblich sein. Ein syrischer Heckenschütze hat dem Buben in die Wirbelsäule geschossen, seine Zukunft ist der Rollstuhl, die Ärzte können nichts mehr machen.
Deswegen ist seine Mutter angereist, sie holt ihren Sohn wieder zur Familie nach Syrien: „Wir müssen weiter gegen Assad kämpfen“, sagt sie. Die Hand wollte die streng gläubige Muslimin dem Reporter weder zur Begrüßung noch zur Verabschiedung reichen. Das verbiete ihre Religion. Die spielt in dieser Rehab-Klinik in der Türkei und jenseits der Grenze eine immer bedeutendere Rolle – so sehr, dass manche die islamische Flagge in Syrien hissen wollen.
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