Türkei: Ausnahmezustand verlängert

Menschen in der Türkei demonstrieren, indem sie Schilder halten und laut rufen, was ihnen nicht passt
Der Ausnahmezustand in der Türkei bleibt auch nach dem Referendum in Kraft.

Nach seinem umstrittenen Sieg beim Referendum in der Türkei hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan den landesweiten Ausnahmezustand erneut verlängern lassen. Das Parlament in Ankara - in dem Erdogans AKP über eine Mehrheit verfügt - stimmte am Dienstag der von der Regierung beschlossenen Verlängerung um drei Monate zu, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete.

Damit kann Erdogan mindestens bis zum 19. Juli weiter per Dekret regieren. Die Versammlungsrechte bleiben eingeschränkt. Der Nationale Sicherheitsrat hatte in der Nacht auf Dienstag unter Vorsitz von Erdogan eine Verlängerung empfohlen. Zur Begründung hieß es, die Maßnahme diene "dem Schutz unserer Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit sowie den Rechten und Freiheiten unserer Bürger". Das Kabinett hatte die Verlängerung anschließend ebenfalls unter dem Vorsitz des Staatspräsidenten beschlossen. Mit der neuerlichen Verlängerung wird der Notstand im Juli rund ein Jahr in Kraft sein.

Für Dienstagabend riefen Regierungsgegner zu neuen Protesten gegen Erdogan auf. In Istanbul und anderen Städten hatten am Montagabend einige Tausend Menschen in Istanbul und anderen Städten demonstriert. Anrainer brachten ihren Protest durch Schlagen auf Kochtöpfe zum Ausdruck. Nach Angaben der Zeitung "Hürriyet" wurden in Izmir, Antalya und Eskisehir insgesamt 43 Demonstranten festgenommen.

Die größte Oppositionspartei CHP beantragte am Dienstag bei der Wahlkommission offiziell die Annullierung des Referendums. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu zweifelte erneut die Legitimität des Referendums an und übte scharfe Kritik an der Wahlkommission. "Dieses Referendum ist suspekt", sagte er am Dienstag bei der Fraktionssitzung seiner Partei im Parlament in Ankara. Zudem habe die Wahlkommission "gegen das Gesetz verstoßen". Kilicdaroglu sagte, der Antrag auf Annullierung des Referendums werde für die "Ehre" von Millionen Bürgern eingebracht, die für "Nein" gestimmt hätten. Experten räumen dem Antrag kaum Aussichten auf Erfolg ein.

Das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem hatte nach vorläufigen Ergebnissen der Volksabstimmung vom Sonntag mit 51,4 Prozent nur eine knappe Zustimmung erhalten. Die Opposition kritisiert vor allem die Entscheidung der Wahlkommission, auch nicht von ihr gestempelte und verifizierte Stimmzettel als gültig zu werten. Kilicdaroglu unterstellte der Wahlkommission Nähe zu Erdogan.

Der nach dem Putschversuch im Juli 2016 ausgerufene und seither schon zweimal verlängerte Ausnahmezustand ermöglicht es Erdogan, Dekrete mit Gesetzeskraft zu erlassen, die auch ohne Zustimmung des Parlaments mit ihrer Veröffentlichung im Amtsanzeiger wirksam werden. Der CHP-Abgeordnete Baris Yarkadas warf der Regierung vor: "Sie können dieses Land nicht ohne Ausnahmezustand regieren. Sie sind eine Regierung geworden, die abhängig ist vom Ausnahmezustand."

Die Opposition hatte vor dem Referendum Einschränkungen ihres Wahlkampfs beklagt. Auch die internationalen Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates kritisierten, unter dem Ausnahmezustand seien Grundfreiheiten eingeschränkt gewesen, "die für einen demokratischen Prozess wesentlich sind". Erdogan wies die Kritik zurück.

Das mit dem Referendum angenommene neue Präsidialsystem verleiht dem Staatsoberhaupt deutlich mehr Macht, die Umsetzung erfolgt allerdings schrittweise. Vorerst bleiben der Ministerpräsident und die Regierung im Amt. Erst nach Wahlen, die für November 2019 geplant sind, wird der Präsident sowohl Staats- als auch Regierungschef. Die Opposition befürchtet eine Ein-Mann-Herrschaft.

Kommentare