Türkei: AKP will nach Wahlsieg neue Verfassung

Mit dem Wahlergebnis hätten die Wähler ihren Wunsch nach "Stabilität" deutlich zum Ausdruck gebracht, sagte Erdogan.
Erdogan-Partei erlangt Absolute und will nun Vollmachten für Staatschef. OSZE kritisiert Gewalt im Wahlkampf.

Nach ihrem überraschenden Wahlsieg drängt die türkische AKP auf eine Verfassungsreform, für die ihr allerdings weiterhin die notwendige Zweidrittelmehrheit fehlt. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu rief die Opposition deshalb zur Zusammenarbeit für eine neue Verfassung mit mehr Vollmachten für Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf. OSZE sowie Europarat kritisierten die Gewalt im Wahlkampf.

Entgegen allen Meinungsumfragen war es der islamisch-konservativen Regierungspartei von Erdogan bei der Parlamentswahl am Sonntag gelungen, die absolute Mehrheit zurückzuerobern. Sie verfügt laut vorläufigem Endergebnis über 317 der 550 Sitze im Parlament (49,5 Prozent der Stimmen) und kann damit allein regieren. Für Verfassungsänderungen bräuchte sie allerdings die Stimmen von 330 Abgeordneten - und ist daher auf andere Parteien angewiesen.

Umstellung auf Präsidialsystem

Die AKP strebt die Umstellung auf ein Präsidialsystem an, das Erdogans Vollmachten beträchtlich ausweiten würde. Davutoglu warb in seiner Siegesrede für eine "zivile Verfassung, um die Putschverfassung zu überwinden". Die derzeitige Verfassung stammt noch aus der Zeit nach dem Militärputsch von 1980. Davutoglu sagte, die neue Verfassung solle "national" sein. Er stellte den Oppositionsparteien im Zuge der Verfassungsberatungen auch ein reformiertes Wahlsystem in Aussicht. Derzeit gilt in der Türkei eine im internationalen Vergleich sehr hohe Zehn-Prozent-Hürde für den Parlamentseinzug, die vor allem kleine Parteien und Minderheiten benachteiligt.

Erdogan hatte die Neuwahl angesetzt, weil nach der Wahl im Juni keine Koalition zustande gekommen war. Damals war die AKP zwar die mit Abstand stärkste Kraft geblieben, hatte aber erstmals seit 13 Jahren ihre absolute Mehrheit eingebüßt. Die prokurdische Partei HDP schaffte es damals zum ersten Mal ins Parlament und nahm der AKP entscheidende Sitze ab.

Kurden: Schlechteres Ergebnis

Am Sonntag schnitt die HDP deutlich schlechter ab als im Juni, schaffte es jedoch erneut knapp über die Zehn-Prozent-Hürde (59 Sitze). Die säkularistische Partei CHP erreichte als stärkste Oppositionskraft rund 25 Prozent (134 Sitze), die nationalistische MHP kam auf knapp zwölf Prozent (40 Sitze).

Auch die türkischen Wähler in Österreich stimmten mit überwältigender Mehrheit für die AKP (fast 70 Prozent).

Mit dem Wahlergebnis hätten die Wähler ihren Wunsch nach "Stabilität" deutlich zum Ausdruck gebracht, sagte Erdogan. HDP-Chef Selahattin Demirtas bezeichnete die Wahl als "unfair", weil seine Partei wegen Anschlägen und der Gewalt im kurdischen Südosten keinen richtigen Wahlkampf habe führen können.

Der Konflikt der Regierung mit den Kurdenrebellen war nach der Wahl im Juni blutig eskaliert, der vor drei Jahren eingeleitete Friedensprozess kam abrupt zum Erliegen. Erdogan warf der HDP während des Wahlkampfs immer wieder zu große Nähe zur in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor.

Dichter verlässt Land

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die gemeinsam mit den Beobachtern des Europarates und des Europaparlamentes einen Bericht über den Urnengang erstellte, kritisierte die Gewalt im Wahlkampf. Zudem sei durch das Präsidentenlager eine freie Medienberichterstattung behindert worden, erklärten die OSZE-Wahlbeobachter in Ankara.

Der kurdische Dichter und Journalist Yilmaz Odabasi verließ indes aus Protest das Land und floh in die Schweiz, wie er via Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte.

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