Tschechien: Vergessene Nazi-Opfer

Errichtung einer Roma-Gedenkstätte rührt an wundem Punkt.

Kurz vor seinem Abgang hat Tschechiens scheidender Kulturminister Daniel Herman einen wichtigen Schritt der Vergangenheitsbewältigung getätigt: vergangenen Donnerstag hat der Staat eine Schweinemast aufgekauft, die seit den 1970er Jahren auf dem Gelände des ehemaligen "Zigeunerlagers" Lety in Südböhmen steht. Knapp 20 Mio. Euro hat Tschechien dem Betreiber der Mastanlage, der Aktiengesellschaft AGPI Písek, für die sieben Hektar große Anlage bezahlt.

"Meiner Meinung nach ist die ausgehandelte Summe korrekt", erklärte der Christdemokrat Herman.

Besonders im Ausland war jahrelang kritisiert worden, dass die Schweinemast das Gedenken an den Völkermord an den Roma beschmutze. Das EU-Parlament hatte die Tschechische Republik in zwei Resolutionen dazu aufgerufen, die Schweinemast zu entfernen.

Immer wieder scheiterte das Anliegen aber an Forderungen der AGPI Písek. Die anhaltenden Proteste von Roma-Aktivisten scheinen die Schweinefarmer aber mürbe gemacht zu haben. Ende Juli gaben sie grünes Licht für den Verkauf der Anlage.

Anstelle der Schweinemast soll nun eine Gedenkstätte entstehen, die laut Kulturminister Herman vom Museum für Roma-Kultur und dem Komitee für die Entschädigung der Opfer des Völkermords an den Roma betrieben werden soll. Die Sanierung des Areals und die Errichtung einer Gedenkstätte will der Staat mit weiteren fünf Mio Euro, finanzieren.

Den Roma in Tschechien, die der latente Antiziganismus der Mehrheitsbevölkerung in Ghettos treibt, ist der Bau einer Gedenkstätte in Lety egal. Sie haben andere Probleme: Armut, Bildungsferne, Diskriminierung.

Viele von ihnen meinen, der Staat solle lieber Geld in die Schulbildung der Roma oder eine Verbesserung ihrer Lebensumstände stecken. Besonders unpopulär ist die Entscheidung, die Schweinemast zu kaufen, in der Mehrheitsbevölkerung. Nicht nur, weil die Roma eine verhasste Minderheit sind – über 80 Prozent der Tschechen würden laut Umfragen keine Roma als Nachbarn wollen. Sondern auch, weil Lety das eigene Geschichtsbild stört.

Lety wurde noch vor dem Einmarsch der Deutschen und vor Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren geplant – als Sammellager für Arbeitsscheue. Zwischen August 1942 und Mai 1943 waren 1.308 Roma in Lety interniert. Katastrophale Bedingungen führten zum Ausbruch einer Typhusepidemie, an der die meisten der 327 Todesopfer des Lagers starben. Der Rest wurde nach Auschwitz deportiert. Es heißt, die aus Lety dort hin kommenden Roma seien in einem solch erbärmlichen Zustand gewesen, dass selbst die Wärter so etwas wie Mitleid empfanden.

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