Trumps Inszenierung: „Bedenkliche Nähe zu totalitären Regimes“

Medienwissenschaftler Bernhard Debatin erklärt, warum die "politische Geräuschmaschine" Trump keine Lügen, sondern Bullshit verbreitet und die Medien ihn zum Präsidenten gemacht haben.

Es ist ein befremdlicher Gedanke: Wohl nie zuvor in der Menschheitsgeschichte war eine Person so prominent wie es Donald Trump gerade ist. Und dann ist der Mann, der das geschafft hat, auch noch ein Narzisst und ein notorischer Lügner – sowie der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Die Medien stellt das vor eine nie dagewesene Herausforderung – vor allem deshalb, weil sie das Phänomen Trump erst geschaffen haben, sagt der deutsche Medienwissenschaftler und Ethiker Bernhard Debatin, der an der Universität in Ohio lehrt.

Trumps Inszenierung: „Bedenkliche Nähe zu totalitären Regimes“

Die Medien sind für Trump „very fake“, „dishonest“ und „failing“; sie seien „ein Feind des amerikanischen Volkes“ – können Sie sich daran erinnern, wann sich zuletzt ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt so abfällig gegenüber Medien geäußert hat?

Mir wäre niemand bekannt. Ich bin ziemlich erschüttert, dass ein Präsident eines Land, das sich als die Wiege der Demokratie versteht, derartige Kampagnen gegen die Medien fährt. Speziell unter dem Blickwinkel, dass Medien in der Demokratie eine wichtige Rolle haben – sie werden ja auch oft als vierte Säule der Macht neben Legislative, Judikative und Exekutive bezeichnet.

Für die Gewaltentrennung hat Trump auch nicht viel übrig, er kritisiert Richter fast genauso heftig wie Medien.

Das ist auch die Besorgnis, die sich im Land verbreitet: Wir haben es mit einem Präsidenten zu tun, der grundlegende Dinge wie die Gewaltenteilung nicht versteht oder nicht akzeptiert – oder beides. Er hat wohl die Idee, dass die Exekutive die Zentralgewalt ist und sich dem alle anderen unterstellen sollen. Das hat man neulich sehr gut gesehen, als einer seiner engen Berater, Stephen Miller, öffentlich verkündet hat, dass die Macht des Präsidenten uneingeschränkt sein sollte. Und dass man dem Volk, den Medien und fremden Nationen schon zeigen werde, wo der Hammer hängt.

Sind sie erstaunt, dass das so offen gesagt wird? Viele hatten gehofft, dass der Präsident Trump sich vom Kandidaten Trump emanzipiert. Jetzt ist es im Gegenteil so, dass selbst der Präsident noch Veranstaltungen wie im Wahlkampf abhält, etwa vergangenes Wochenende in Florida.

Auch das ist sehr besorgniserregend. Diese nicht enden wollende Kampagne: Das ist eine Dauermobilisierung der Unterstützer und die hat historisch betrachtet eine bedenkliche Nähe zur Machtinszenierung von Diktatoren und totalitären Regimes.

Trumps Inszenierung: „Bedenkliche Nähe zu totalitären Regimes“
Supporters of US President Donald Trump listen during a rally in Melbourne, Florida, on February 18, 2017 in Melbourne, Florida. / AFP PHOTO / NICHOLAS KAMM

Selbst auf Fox News, Trumps Lieblingssender, werden nun die Stimmen lauter, die sagen: So kann man mit der Presse nicht umspringen – ist das eine Emanzipation des Journalismus, wenn so etwas vom bekanntlich eher republikanisch eingestellten Sender Fox kommt? Also: Ist Trump auch eine Chance für den Journalismus?

Durchaus. Bei Fox News mehren sich die Stimmen, wo sogar sehr konservative Reporter sagen: So geht das nicht, der Präsident sagt nicht die Wahrheit, er antwortet nicht auf Fragen. Das wird sicher zu einer Stärkung der journalistischen Seite führen, weil klar wird: Hier wird seitens des Präsidenten nicht mehr nach den Spielregeln gespielt.

Was sich unter anderem daran äußert, dass Trump ständig lügt. Die Washington Post hat vor kurzem 133 falsche oder irreführende Statements von Trump gezählt – in seinen 35 Tagen im Amt. Wie geht man damit um, wenn man dem Präsidenten nicht trauen kann?

Es gibt ein sehr gutes Buch des Philosophen Harry Frankfurt mit dem schönen Titel „Bullshit“. Dessen These: Das Problem ist nicht, dass jemand lügt. Der Lügner ist an der Wahrheit orientiert und versucht einen zu täuschen – da ist die Wahrheit immerhin noch negativ enthalten. Während das dem Bullshiter völlig egal ist, der sagt heute das und morgen was anderes. Er ersetzt den Diskurs über Wahrheit und Lüge durch einen Machtdiskurs. Das ist das Entscheidende bei Trump: Ihm ist Inkonsistenz völlig egal, er ist an der Unterscheidung zwischen Lüge und Wahrheit nicht interessiert. Das kratzt ihn und seine Unterstützer nicht. Da muss man als Journalist sehr vorsichtig sein, weil man davon ausgehen muss, dass jede Äußerung strategischer Natur ist. Wenn sie falsch ist, zuckt er mit den Schultern und sagt: Aber ihr berichtet nicht über all die anderen positiven Dinge, die wir machen.

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US President Donald Trump addresses a rally at the Orlando Melbourne International Airport on February 18, 2017 in Melbourne, Florida. / AFP PHOTO / NICHOLAS KAMM

Wie kommt man an gegen diesen Bullshit?

Der Kognitionswissenschaftler George Lakoff hat sich dazu oft geäußert. Er sagt, dass es zwar wichtig ist zu korrigieren, dass man aber auch auf die „Frames“ achten muss, also auf die Art, wie Informationen und Statements gerahmt sind. Dass man darauf nicht reinfällt, nur hinterher rennt und wiederholt, was schon gesagt wurde. Es gibt da folgendes Problem: Wenn man etwas Falsches richtigstellt, muss man die Lüge wiederholen. Und psychologische Untersuchungen zeigen, dass sich diese Lüge in den Köpfen derer, die sie glauben, durch die Wiederholung noch mehr festsetzt. Man muss also vorsichtig sein, dass man nicht in einen Kreislauf hineingerät und nur Korrekturen macht.

Was kann man sonst tun?

Lakoff schlägt vor, „Gegenframes“ zu entwickeln. Aufhören, dieselbe Sprache zu benutzen wie die Lügner. Als Trump noch nicht Präsident war, hat er behauptet, in Indiana Arbeitsplätze gerettet zu haben. Wenn man als Journalist recherchiert, findet man heraus, dass zehntausend Arbeitsplätze vor der Vernichtung standen und durch eine gut angelegte Steuergeldverschwendungskampagne tausend davon nicht vernichtet wurden. Die Meldung wäre: 9000 Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Trumps „frame“ ist der Erfolg, aber Journalisten müssten es anders rahmen und sagen: Da ist etwas ganz anderes passiert.

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U.S. President Donald Trump takes questions during a news conference at the White House in Washington, U.S., February 16, 2017. REUTERS/Carlos Barria

Gerade nach Trumps erster Pressekonferenz als Präsident, in der er sehr aggressiv auftrat und die Medien beschimpfte, kochte einmal mehr die Frage hoch, ob er psychisch krank sei. Sie sagen: Im Gegenteil, es ist volle Absicht, dass er so auftritt.

Ja, ich bin der Ansicht, dass er schon sehr lange und sehr gezielt an dieser Präsidentschaftskampagne gearbeitet hat. Und dass er seine Emotionalität und seine Art des Außersichgeratens gezielt einsetzt. Vieles ist sicher geplant; jedes Mal, wenn irgendwas aus dem Ruder läuft, setzt er irgendeinen Tweet ab, der auf einer ganz anderen Ebene stattfindet und die Journalisten ablenkt. Der Tweet, dass Ivanka Trumps Modelinie von einer Kette aus den Regalen genommen wurde, war ein gutes Beispiel: Plötzlich ging es nur noch darum. Zur selben Zeit war die Russland-Debatte sehr intensiv, sie wurde durch die Modelinie in den Hintergrund gedrängt. Das macht Trump sehr gezielt und sehr gut.

Und schon sehr lange.

Ja, er hat sowieso den Stil des medialen Dauerfeuers und der Skandalisierung perfektioniert, bindet ständig die Aufmerksamkeit. Hier muss man als Journalist sehr vorsichtig sein, nicht in die Falle zu tappen – es ist nämlich ziemlich irrelevant, was mit Ivanka Trumps Modelinie passiert. Das ist wirklich problematisch: Die Republikaner bringen gerade im Repräsentantenhaus eine kaum enden wollende Flut von Gesetzesvorlagen ein; Dinge, bei denen es einem die Haare aufstellt. Aber die politische Geräuschmaschine, die Trump ist, dient da auch als Vernebelungsmaschine. Was wirklich politisch beschlossen wird, rückt in den Hintergrund. Es wird gerade grundlegende umweltpolitische Gesetzgebung, die seit den Siebzigern gilt, umgeworfen, etwa dass man im Tagebau den Schutt nicht einfach in den Fluss kippen darf. Diese Dinge geraten aus dem Sichtfeld durch die Skandalmaschine Trump.

Gleichzeitig ist Trump aber auch ein Glücksfall für die Medien: Er prahlt selbst damit, wie gut er für die Quoten ist, die Abonnentenzahlen von New York Times oder Washington Post gehen in die Höhe.

Es hat eine für Amerika erstaunliche Entwicklung gegeben: Menschen, die sich sehr lange nicht für Politik interessiert haben, tun das jetzt doch wieder. Zwischen der Washington Post und der New York Times herrscht gerade fast ein Rüstungswettkampf – das ist erfreulich. Aber durch diese Polarisierung und die Verteufelung der Medien bewegen wir uns in eine sehr gefährliche Richtung: Wenn das so weitergeht, sehe ich den Tag kommen, wo das Presserecht eingeschränkt wird.

Glauben Sie wirklich, dass es so weit kommen wird?

Wenn es einen Konflikt gibt und der eskaliert, muss man entweder den Konflikt entschärfen oder noch eins drauflegen. Die Trump-Regierung kann sich durchaus in eine Position bringen, wo sie mehr machen muss. Und eine Stimmung erzeugt, wo das vielleicht von der Bevölkerung mitgetragen wird. Das ist in Amerika sicher schwieriger als in Erdogans Türkei oder Putins Russland, aber ich finde, man muss schon sehen, dass es hier Parallelen gibt. Solche Dinge gehen manchmal schneller als man denkt. Es wurde in diesem einen Monat Trump schon so viel außer Kraft gesetzt, das man für unantastbar gehalten hat.

Skurril ist, dass Trump umgekehrt ein Medienjunkie ist. Am Wochenende sprach Trump von einer Terrorattacke in Schweden, die nie passiert ist – offenbar hat er Fox News geschaut und nicht genau hingehört. Viele seiner Tweets sind auf das zurückzuführen, was er gerade in den Morning-Shows sieht. Die USA haben also einen Präsidenten, der unhinterfragt weitergibt, was er in den Medien sieht, und gleichzeitig fängt er einen Krieg mit den Medien an – wie ist das zu erklären?

Das ist ein interessantes Paradox. Das kann man vielleicht am besten dadurch erklären, dass Trump ein sehr narzisstischer Mensch ist. Deshalb reagiert er auch so allergisch auf Kritik. Die Außenwelt wird nur dazu benutzt, um die eigene Größe gespiegelt zu sehen. So lange die Medien das tun, sind sie gut, wenn sie es nicht tun, sind sie böse. Insofern ist es logisch, dass er ein Medienjunkie ist und jede Kritik als unfairen persönlichen Angriff sieht. Es gab aktuell einen Vorfall, den ich für sehr bezeichnend halte, da hat er einen jüdischen Reporter abgekanzelt, der gefragt hat, was Trump angesichts der zunehmenden antisemitischen Vorfälle zu tun gedenkt. Trump hat es sofort so gedeutet, dass er des Antisemitismus beschuldigt wäre, was überhaupt nicht Thema war.

Trump ist besessen von Quoten, er hat sich zum Beispiel mehrfach über Arnold Schwarzenegger lustig gemacht, weil der bei „The Celebrity Apprentice“ schlechtere Quoten hat als er. Im Vorwahlkampf hat es immer wieder geheißen, man müsse ihm die Aufmerksamkeit entziehen – geht das jetzt überhaupt noch, wo er Präsident ist?

Es ist schwierig. Aber es geht schon darum, Aufmerksamkeiten umzulenken. Es ist für Medien wichtig, nicht zur bloßen Verbreitungsmaschine der Geräuschmaschine Trump zu werden. Aber Trump hat eben die Autorität des Amtes und er nimmt sich heraus, seine Twitter-Besessenheit weiter zu verfolgen und die Welt mit seinem Ärger zu beglücken. Es ist also kompliziert. Wenn in einer Kommunikationsbeziehung eine Seite gestört ist, wird die andere Seite in der Regel da mithineingezogen. Es gibt also die Gefahr, davon angesteckt zu werden. Die Medien müssten immer wieder einen Schritt zurückgehen und sich fragen: Inwieweit spiele ich gerade das Spiel mit, das da vorgegeben wird? Sich Zeit für Reflexion nehmen. Das ist heute wichtiger denn je.

Trumps Inszenierung: „Bedenkliche Nähe zu totalitären Regimes“
NEW YORK, NY - FEBRUARY 17: A clip of President Donald Trump's Thursday press conference is played on 'Fox And Friends', seen on a monitor outside of the Fox News studios, on February 17, 2017 in New York City. President Trump, a frequent consumer and critic of cable news, recently tweeted that Fox and Friends is 'great'. Drew Angerer/Getty Images/AFP ++ KEINE NUTZUNG IN TAGESZEITUNGS-BEILAGEN! NUR REDAKTIONELLE NUTZUNG IN TAGESZEITUNGEN, TAGESAKTUELLER TV-BERICHTERSTATTUNG (AKTUELLER DIENST) UND DIGITALEN AUSSPIELKAN€LEN (WEBSITES/APPS) IM UMFANG DER NUTZUNGSVEREINBARUNG. S€MTLICHE ANDERE NUTZUNGEN SIND NICHT GESTATTET.++

Sich zurücknehmen, das ist ein Ratschlag, den sich vor allem die „cable news“-Sender Fox, CNN und MSNBC zu Herzen nehmen sollten, die eben 24 Stunden pro Tag News liefern müssen. Wird Trump da auch zu mehr Selbstreflexion führen?

Das hoffe ich. Es wird ja auch ganz offen diskutiert, dass uns diese Sender Trump gebracht haben. Weil er dauernd provoziert hat, hat er kostenlos Berichterstattung bekommen – unter anderen Umständen wäre er als Kandidat nie in Frage gekommen, das ist ja absurd. Die Republikaner konnten das ja selbst nicht glauben. Durch diese 24-Stunden-News wurde Trump mitproduziert. Weil deren Aufmerksamkeitsregeln genau dem entsprechen, was Trump als Strategie hat. Und weil sich diese Sender genau dadurch finanzieren, besteht hier ein echtes Abhängigkeitsverhältnis.

Trump konnte sie am besten bespielen, weil er sie ständig schaut.

Genau, der kennt das, das ist sein Territorium. Seit fast zwei Jahrzehnten wird dort Infotainment geboten und es ist oft schwierig zu unterscheiden, sind das Nachrichten oder ist das Unterhaltung? Das ist für Trump ein Heimspiel.

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