Londons Eiserne Lady schwenkt auf "sanften und ordentlichen Brexit" um

Gut gerüstet für die Verhandlungen: Theresa May
London präsentiert sich zum Auftakt der Brexit-Verhandlungen überraschend kompromissbereit.

Nur kein weiteres Porzellan zerschlagen: Großbritanniens Premierministerin Theresa May ist zum Auftakt des Scheidungsverfahrens mit der EU um versöhnliche Töne bemüht. Sie, so erklärte die Konservative vor dem Londoner Unterhaus, wünsche sich einen "sanften und ordentlichen Brexit mit so wenig Brüchen wie möglich."

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Ein bemerkenswerter Kurswechsel, der nicht unverdient – frei nach Margaret Thatcher – als "Eiserne Lady" gehandelten May. Hatte sie doch noch vor Wochen gedroht, notfalls alle Brücken zur EU abzubrechen, den "hard Brexit" durchzuziehen: Ganz im Sinne der Vorkämpfer für den EU-Austritt, Außenminister Boris Johnson, Brexit-Minister David Davies und Handelsminister Liam Fox. Doch diese drei "Brexiteers", die offen mit dem Abbruch aller Brücken nach Europa gedroht haben, sind in der May-Regierung an die kurze Leine genommen worden. Das Wort haben Pro-Europäer und Brexit-Skeptiker wie Finanzminister Philip Hammond. Der gab vor der Übergabe des Austritts-Antrags die Leitlinien vor. Er sei "überzeugt, dass es einen Deal geben wird".

Das Ziel dieses Deals macht die Premierministerin deutlich: "Eine tiefgreifende und einzigartige Partnerschaft mit Europa, dem wir dabei helfen wollen zu wachsen und erfolgreich zu sein".

May sprach auch gleich die größte Sorge vieler Europäer an: Die Zukunft von drei Millionen EU-Bürgern, die auf der Insel leben. Man werde die Rechte dieser Menschen bei den Verhandlungen als allererstes sichern. Die Sorge, man werde die EU-Bürger als Faustpfand einsetzen, scheint vorerst vom Tisch.

Hoffen auf Kompromiss

London erhofft sich im Gegenzug nicht nur ähnliche Garantien für die Briten in Europa, sondern vor allem mehr Verständnis beim absehbar mühsamen Streit ums Geld. Die EU will ja von Großbritannien auch nach dem Austritt Dutzende Milliarden an Beiträgen, etwa für Pensionen für EU-Beamte oder wissenschaftliche Projekte. Die trotzigen Töne, etwa von Boris Johnson, man denke nicht daran, weiterhin große Summen in Brüssel abzuliefern, sind verklungen. Finanzminister Hammond hat in Gesprächen mit EU-Politikern inzwischen klar gemacht, dass man mit weiteren Zahlungen rechnet. Nur sollten diese eben, so die Bitte der Briten, für zukunftsorientierte Projekte offiziell verbucht werden und nicht für alte Schulden.

Theresa May will regelmäßig persönlich am Brexit Verhandlungstisch in Brüssel Platz nehmen. Eine Besetzung, die ihren EU-Partnern einiges abverlangen wird. Galt sie doch schon als Innenministerin als eisenhart in der Sache. Von dort hat sie ihre engsten Vertrauten in die Downing Street mitgenommen. Fiona Hill und Nick Timothy, kurz "Fi and Nick", sollen May in der Brexit-Frage auf den neuen sanften Kurs gesteuert haben. Und die Premierministerin, so wissen Insider in London, "hört immer nur auf eine Handvoll Leute".

Für Michel Barnier hat die heikelste Arbeit, die einem europäischen Spitzenverhandler in den vergangenen Jahren aufgetragen wurde, schon längst begonnen. Seit Oktober besuchte der 66-jährige Franzose im Auftrag der EU-Kommission alle 27 EU-Regierungen, um deren Wünsche und Befindlichkeiten angesichts des bevorstehenden Ausstiegs der Briten aus der EU auszuloten. Kaum war das sechsseitige, britische Abschiedsgesuch gestern in Brüssel bei Ratspräsident Donald Tusk angekommen, legte Barnier los: "Heute ist Tag Eins einer sehr schwierigen Wegstrecke."

Von Ton, Stil, Geschick und Methode des EU-Chefverhandlers wird viel abhängen, wie Briten und Europäische Union nach zweijährigen Marathongesprächen auseinander gehen werden. "Er ist absolut der Richtige für diesen harten Job", lobt Österreichs Umweltminister Andrä Rupprechter . "Mit seiner langjährigen Erfahrung als Minister und Kommissar kennt Barnier die Institutionen der EU in- und auswendig." Und, so führt Rupprechter gegenüber dem KURIER aus, "Michel Barnier ist ein sehr effizienter Politiker, der zuhören kann und weiß, wie man etwas bewegt."

Der Anti-Star

Ohne Allüren und Stargehabe legte der dreifache Familienvater in der an Skandalen nicht geraden armen französischen Spitzenpolitik eine Traumkarriere hin. Mehrfach war er Minister, in verschiedenen konservativen Regierungen. Ein wenig zu "weich", wie sein hyperaktiver damaliger Chef, Ex-Präsident Sarkozy, bemäkelte.

Doch dass der studierte Ökonom Ziele zu erreichen weiß, bewies er nicht zuletzt gegenüber britischen Bankern: Als EU-Binnenmarktkommissar setzte er gegen den Widerstand der empörten Investmentbanker eine Deckelung der Boni durch. Als Provokation gegenüber London aber will Barnier seine Ernennung zum EU-Chefverhandler nicht verstehen, im Gegenteil.

Von Anfang an bemühten sich der Franzose, der erst in Brüssel richtig Englisch gelernt hat, und sein rund zwanzigköpfiges Spitzenteam darum, den Briten Zeichen der ruhigen und offenen Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren. Sein Ziel: Ein für alle Seiten zufriedenstellendes Abkommen. "Wir wollen erfolgreich sein. Nicht erfolgreich gegen die Briten, sondern mit ihnen", wiederholt Barnier immer wieder.

Ein erstes Etappenziel legte der Franzose auch gleich fest: Noch heuer sollen in einem Abkommen die Rechte und Regeln der rund drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien sowie einer Million Briten in der EU geregelt werden.

Barniers vermutlich letzter Großauftrag seiner politischen Karriere dürfte ihn auch schmerzen. Hatte doch seine erste politische Kampagne genau das gegenteilige Ziel: Als 21-jähriger Student engagierte sich Michel Barnier – für den Beitritt Großbritanniens zur EU.

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