Brüder, die Kriege führen und Anschläge verüben

Familien und Freunde spielen eine Rolle bei der Radikalisierung.
Paris, Brüssel und Boston: Wenn Geschwister zu Terroristen werden.

Dschihadisten nennen sich "Brüder" und beziehen sich in ihren Bekennerschreiben oft auf ihre "Brüder" in Syrien, Afghanistan, Frankreich und im Irak. Es ist ein Ausdruck von Solidarität für das gemeinsame Unterfangen; aber zum Teil sind es auch wirklich blutsverwandte Brüder, die Kriege führen, Terroranschlägen verüben und Menschen töten.

Verwandtschaft in Syrien und im Irak

Laut einer Studie der nichtstaatlichen Denkfabrik "New America" haben mehr als ein Drittel der westlichen Kämpfer eine familiäre Verbindung zum Dschihad. Meistens seien es Angehörige, die bereits in den Krisengebieten wie Syrien kämpfen.

Deshalb würde auch die Rekrutierung sehr stark von sozialen Faktoren abhängen, schreibt der französische Politikwissenschaftler Olivier Roy. Vor allem Verwandte und Freunde würden dabei eine große Rolle spielen, mehr als Religion oder eine bestimmte Ideologie.

"Das Wissen über den Islam ist minimal, sie kümmern sich auch nicht darum", sagt der Politikwissenschaftler. Die "second-generation muslims", die die europäische Dschihadistenszene dominieren, seien zuvor in kleinen Gruppen radikalisiert worden. Dadurch entstehe eine "Familie der Bruderschaft", oft eben auch mit biologischen Wurzeln.

Von Boston, Paris und Brüssel

Zu den Attentätern von Brüssel gehören die Brüder Ibrahim und Khalid El Bakraoui, beide Belgier, in Brüssel geboren und bereits polizeibekannt. Der 30-Jährige Ibrahim sprengte sich in der Abflughalle des Brüsselers Flughafen in die Luft. Sein Bruder zündete in der Metro an der Station Maelbeek einen Sprengsatz. Bei den Anschlägen kommen mindestens 31 Menschen ums Leben, 270 werden verletzt.

Brüder, die Kriege führen und Anschläge verüben
Khalid und Ibrahim El Bakraoui

An den Anschlägen in Paris im vergangenen November waren ebenfalls Brüder beteiligt. Ibrahim, der sich vor dem Café Comptoir Voltaire in die Luft sprengte, und Salah Abdeslam. Er wurde vergangene Woche nach mehr als vier Monaten Fahnung in der als Islamistenhochburg bekannten Brüsseler Gemeinde Molenbeek festgenommen. Nun sitzt er in einem Hochsicherheitsgefängnis in Brügge, wo er auf seine Auslieferung nach Frankreich wartet. "Meine Eltern sind geschockt", sagte der dritte Abdeslam-Bruder, Mohammed, nach den Terrorattacken. "Meine Brüder waren immer normal, nie seltsam."

Abdelhamid Abaaoud gilt als Drahtzieher der Anschläge in Paris. Er hat seinen 13-jährigen Bruder Younes für die Terrormiliz "Islamischer Staat" rekrutiert. Auf mehreren Fotos posierten die Gebrüder mit Waffen in Syrien. Abdelhamid Abaaoud kam am 18. November des Vorjahres bei einer siebenstündigen Razzia in Pariser Vorort Saint Denis ums Leben.

Es gibt noch genügend andere Beispiele vom Geschwister-Terror: die zwei Kouachi-Brüder, Saïd und Chérif, die im Jänner 2015 in die Redaktionsräume der Satirezeitung "Charlie Hebdo" eingedrungen sind und zwölf Menschen getötet haben. Oder Tamerlan und Dschochar Zarnajew, die das Attentat auf den Boston-Marathon 2013 geplant und durchgeführt haben. Auch bei der Anschlagsserie im französischen Toulouse 2012 mit sieben Todesopfern waren Brüder involviert: Mohammed und Abdelkader Merah. Letzterer soll laut Ermittlern eine wichtige Rolle bei der Radikalisierung seines Bruders gespielt haben. Er sitzt nun im Gefängnis, Mohammed wurde von der Polizei getötet.

Familiäre Beziehungen bei der Radikalisierung

Brüderliche Beziehungen spielen auch für die Reise nach Syrien oder in den Irak eine Rolle. Wie im Fall drei britischer Brüder, 17 bis 21 Jahre alt, die sich 2014 in Syrien der al-Nusra Front angeschlossen haben. Zwei kamen bei Kämpfen ums Leben, der 21-jährige Amer Deghayes soll noch in Syrien sein.

Die Zwillinge Kevin und Mark K. aus dem deutschen Schwerin stammen aus gutem Hause, nichts deutete zunächst daraufhin, dass aus ihnen islamistische Gotteskrieger werden könnten. Kevin studierte Jus und sein Bruder Mark diente als Panzergrenadier in der deutschen Bundeswehr. Er war auch im Afghanistan. 2009, noch vor dem Studium, konvertierte Kevin zum Islam, 2012 tat es ihm Mark gleich. 2014 machten sie sich auf den Weg nach Syrien. 2015 tauchten von ihnen Fotos im Magazin der Terrormiliz "Islamischer Staat" Dabiq auf. Darin teilten die Dschihadisten mit, dass die deutschen Zwillinge als Selbstmordattentäter gestorben seien.

Ähnlich erging es den Gebrüdern Yassin und Mounir Chouka. 2015 wollten die beiden vom afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aus offenbar nach Syrien reisen, um im Bürgerkrieg zu kämpfen. Im Iran wurden sie jedoch von der Polizei gestoppt und leisteten Widerstand. Yassin wurde getötet, Mounir festgenommen. Seitdem sitzt er in einem iranischen Gefängnis.

"Peergroup-Phänomen"

Natürlich gebe es "einsame Wölfe", die den Prozess der Selbstradikalisierung über das Internet durchmachen, aber die Mehrheit der Menschen, die in Kriegsgebiete reisen oder Anschläge verüben, werden durch Brüder motiviert. "Es ist ein Peergroup-Phänomen", schreibt Politikwissenschaftler Roy.

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