Syrien-Konflikt: Showdown in St. Petersburg

USA wollen monatelange Militärschläge - der G-20-Gipfel ist die letzte Chance, das abzuwenden. Der Papst äußert große Bedenken.

Offiziell steht das Thema Syrien nicht einmal auf der Tagesordnung, und doch wird es das Treffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer dominieren. Militärschlag gegen das Damaszener Regime unter Machthaber Bashar al-Assad – ja oder nein? Diese Frage wird ab Donnerstag in der russischen Hafenstadt St. Petersburg entschieden.

Einen Tag vor Beginn des „Kriegsrates“ hatte der Gastgeber, Russlands Präsident Wladimir Putin, erstmals vage Andeutungen gemacht, von seinem syrischen Verbündeten abzurücken. Wenn „überzeugende Beweise“ vorgelegt werden könnten, dass das Assad-Regime für den Giftgas-Angriff vom 21. August verantwortlich zu machen sei, schließe Moskau nicht einmal eine Militär-Intervention aus. Allerdings ist bei vielen die Skepsis groß, dass der russische Vertreter im UN-Sicherheitsrat einer derartigen Resolution zustimmen wird. Bisher hatte Moskau im mächtigsten UN-Gremium alle schärferen Syrien-Initiativen per Veto blockiert.

Auch der Papst hat große Skepsis signalisiert: In einem Brief an Kremlchef Putin - er hat derzeit den Vorsitz der G-20 inne - warnte der Pontifex vor einem militärischen Eingreifen in Syrien. Es sei ein "aussichtsloses Unterfangen", eine militärische Lösung des Syrien-Konflikts zu versuchen, heißt es in dem zu Beginn des Gipfels veröffentlichten Schreiben.

Vorentscheidung in den USA

Syrien-Konflikt: Showdown in St. Petersburg
U.S. President Barack Obama waves upon his arrival at Arlanda Airport with the Swedish flag and the guard of honour in the background in Stockholm September 4, 2013. REUTERS/Erik Martensson/Scanpix Sweden (SWEDEN - Tags: POLITICS) SWEDEN OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN SWEDEN. THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS
Indes zeigen die Bemühungen von US-Präsident Barack Obama, die Kongress-Abgeordneten zu einer Autorisierung des von ihm am vergangenen Wochenende angepeilten Militärschlages gegen Syrien Wirkung. „Ich unterstütze diese Aktion“, sagte der Vorsitzende des Repräsentantenhauses John Boehner von den oppositionellen Republikanern, „und ich glaube, dass meine Kollegen das auch tun sollten.“ Damit scheint eine Vorentscheidung gefallen zu sei. Zumal sich auch der Außenpolitische Ausschuss im Senat, wo Obamas Demokraten die Mehrheit stellen, am Mittwoch mit knapper Mehrheit für eine auf 60 Tage befristete Militär-Intervention in Syrien aussprach.

„Erkauft“ wurde diese sich abzeichnende Billigung einerseits durch das intensive Engagement von Regierungsvertretern. So standen Außenminister John Kerry, seine Kabinettskollege Chuck Hagel (Verteidigung) und Generalstabschef Martin Dempsey dem Senatsausschuss dreieinhalb Stunde lang gemeinsam Rede und Antwort: „Das ist nicht die Zeit, um Zaungast bei einem Massaker zu sein“, argumentierte Kerry. Wenn die USA den Einsatz von Chemiewaffen nicht ahndeten, „würden wir die Büchse der Pandora öffnen“ und an Staaten wie den Iran oder Nordkorea ein fatales Signal senden.

Andererseits kam das Weiße Haus den republikanischen Abgeordneten entgegen: Hatte Obama ursprünglich von zwei- bis dreitägigen Operationen gesprochen, ist jetzt von zwei, eventuell drei Monaten die Rede. Also keine kurze Strafaktion mehr gegen Assad, sondern ein massiver Eingriff in den Bürgerkrieg, letztlich mit dem Ziel, das Regime zu stürzen. Dies hatte die Opposition schon länger gefordert.

Grünes Licht

Damit werden die Teilnehmer des G-20-Gipfels, darunter alle fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat, auf einen gestärkten und selbstbewusst auftretenden US-Präsidenten treffen. Gelingt es ihm vor dem Hintergrund der politisch wie militärisch aufgebauten Drohkulisse, Putin von seiner „Njet“-Haltung vis-á-vis Syrien doch noch abzubringen, wofür wenig spricht, könnte ein Militärschlag abgewendet werden. Andernfalls wird der US-Kongress kommende Woche grünes Licht für den Angriff geben.

Russland, so Präsident Wladimir Putin, habe natürlich Pläne für den Tag danach. Gemeint ist ein Militärschlag der USA gegen Syrien, der schon am Montag im US-Kongress beschlossen werden könnte. Fragen zu Moskaus Reaktion darauf hält der Kremlherrscher dennoch für verfrüht.

Wenn es für die Vorwürfe eines Chemiewaffeneinsatzes durch die syrische Armee Belege gebe, müssten sie im UN-Sicherheitsrat vorgelegt werden, sagte Putin jedenfalls im Fernsehsender Perwy Kanal. „Uns würden eine detaillierte Prüfung dieser Frage sowie offenkundige Beweise überzeugen, die unmissverständlich belegen, wer welche Mittel eingesetzt hat. Erst dann wären wir bereit, entschlossen und ernsthaft durchzugreifen.“ Er wollte laut Agenturmeldungen nicht ausschließen, einen Militärschlag zu billigen, warnte aber, jedes Vorgehen ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats sei illegal und könne nur als „Aggression“ bezeichnet werden.

Syrien ist derzeit mehr denn je ein Reizwort für Moskau. Kreml und Außenamt fürchten, der Konflikt und die Gewaltbereitschaft mehrerer NATO-Staaten könnten den G-20-Gipfel überschatten, zu dem die Staats- und Regierungschefs der 20 weltweit größten Industrienationen und die am schnellsten wachsenden Schwellenländer sich am Donnerstag im russischen St. Petersburg versammeln. Moskau hat in das Treffen viel Geld und Mühe investiert und erhofft sich von dem Gipfel auch die Korrektur des international ramponierten Russland-Bildes.

Treffen mit Obama?

Auch wegen Russlands unnachgiebiger Haltung zu Syrien – der Kreml plädiert für eine gewaltfreie Lösung – sagte US-Präsident Barack Obama seinen vor dem Gipfel geplanten Moskau-Besuch ab. Auch das Treffen mit Gastgeber Putin am Rande des Summits cancelte das Weiße Haus. Ende August signalisierte Obama überraschend Bereitschaft, Putin in St. Petersburg doch zu treffen. Nach der Giftgas-Attacke, die Washington Diktator Bashar al-Assad, Moskau jedoch dessen Gegnern anlastet, geriet der Termin erneut ins Wanken.

Auch, um das ohnehin gespannte bilaterale Verhältnis nicht noch weiter zu strapazieren, was auch Konsequenzen für weitere Verhandlungen zu atomarer Abrüstung, Rüstungskontrolle und zur Kooperation beim Rückzug der Schutztruppe ISAF aus Afghanistan 2014 hätte, verständigten sich beide Seiten inzwischen offenbar auf einen Kompromiss, der das Treffen trotz allem ermöglicht: Die USA greifen in Syrien militärisch ein, Obama erteilt die entsprechenden Befehle aber erst, wenn der Gipfel vorbei ist. Chancen, dass die beiden Präsidenten bei dem geplanten Vier-Augen-Gespräch den jeweils anderen von der Richtigkeit der eigenen Position überzeugen können, tendieren allerdings gegen null.

Stellt sich heraus, dass die Untat auf Assads Konto geht, kann Russland es sich nicht länger leisten, im UNO-Sicherheitsrat per Veto eine Resolution zu verhindern, mit der die Weltorganisation wie 2001 in Afghanistan die Anwendung von militärischer Gewalt gegen einen souveränen Staat sanktioniert.

Zum achten Mal treffen sich Donnerstag und Freitag die Staats- und Regierungschefs aus 20 Industrie- und Schwellenländern. Die G 20 wurde gegründet, um sich in der Wirtschafts- und Finanzpolitik abzustimmen. Diesmal wird die Tagung vom Bürgerkrieg in Syrien und dem drohenden US-Militärschlag überschattet. Zum „Club“ zählen neben den großen Industrieländern (G 7) USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Japan Staaten wie China, Brasilien und Indien. Sie stehen zusammen für fast 90 Prozent der Wirtschaftsleistung weltweit und für rund zwei Drittel der Weltbevölkerung. Zurzeit hat Russland die Präsidentschaft inne.

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