Gewalt in Syrien: Eiszeit zwischen Russland und USA

Wladimir Putin und Barack Obama
Vor zwei Wochen war eine Waffenruhe in Syrien gescheitert. Seitdem eskaliert die Gewalt. Die Schuld geben sich die Großmächte gegenseitig.

"Unsere Geduld mit Russland ist zu Ende.“ US-Regierungssprecher Josh Earnest fand Montagabend deutliche Worte gegen Russland. Das US-Außenministerium warf den russischen Verbänden und syrischen Regierungstruppen vor, zuletzt verstärkt auch zivile Ziele angegriffen zu haben - beispielsweise Krankenhäuser in der besonders umkämpften Stadt Aleppo. Rund 275.000 Menschen sollen im Osten der Stadt eingeschlossen sein, darunter 100.000 Kinder.

Das Resultat: Jetzt wird nicht einmal mehr geredet. Die USA haben die direkten Gespräche mit Russland über eine Waffenruhe in Syrien vorübergehend auf Eis gelegt.

Wer ist schuld?

Die USA hätten sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Die Verhandlungen standen bereits auf der Kippe, heißt es aus dem US-Außenministerium. Erst am Donnerstag hatten die USA Russland mit dem Abbruch der diplomatischen Zusammenarbeit in Syrien gedroht.

Die Regierung in Moskau gab dagegen den USA die Schuld am Scheitern der Verhandlungen. Washington habe das Abkommen vom September nicht erfüllt, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Montagabend im Staatsfernsehen. Nun versuchten die USA, Russland die Verantwortung zuzuschieben: "Washingtons Tatenlosigkeit hat dazu geführt, dass sich die Kämpfer neu formieren konnten, Waffen erhalten haben und ihre Ressourcen mobilisiert haben.“

Wer ist Freund, wer ist Feind?

Die Streitigkeiten zwischen beiden Ländern gehen tief. Unter anderem können sich beide Länder nicht darauf einigen, welche Gruppierungen im Land als Terroristen eingestuft werden sollten und wer nicht. Russland wirft den USA demnach vor, absichtlich zu wenig im Kampf gegen Terroristen in Syrien zu tun. Die USA hätten niemals ernsthaften Druck auf die Fatah-al-Sham-Front (früher: Al-Nusra-Front) gemacht, hieß es aus dem russischen Außenministeriums. "Bei uns festigt sich der Eindruck, dass Washington in seinem Streben nach einem Machtwechsel in Syrien einen 'Pakt mit dem Teufel' eingeht." Bisherige Waffenruhen hätten die Terroristen zuletzt gestärkt. Sie hätten sich neu aufgestellt und Waffen erhalten, kritisierte das Ministerium.

Auch Machthaber Bashar al-Assad steht im Mittelpunkt des Konflikts. Die USA unterstellen Russland ihren Verbündeten Assad unbedingt halten zu wollen, die Russen den Amerikanern genau das Gegenteil.

Die USA erwarteten sich außerdem von Russland, dass die Führung ihre guten Beziehungen zu Assad nutzen würde, um die Angriffe auf Aleppo zu stoppen. Aber Fehlanzeige.

Andrew S. Weiss, früherer Berater des Weißen Hauses, sagte zur New York Times, die Zusammenarbeit mit Russland in Syrien sei Obamas bester Versuch gewesen, die Beziehungen mit Russland zu kitten. Weiss ist pessimistisch, wenn er sagt: "Das Misstrauen und die Feindseligkeit der russischen Führung gegenüber den USA sind real und werden größer."

Zuletzt hat Putin auch noch ein Abrüstungsabkommen mit den USA platzen lassen.

Waffenruhe von nicht langer Dauer

Vor rund zwei Wochen war eine Waffenruhe in Syrien gescheitert. Die Kämpfe flammten wieder auf, nachdem die US-geführte Koalition versehentlich Stellungen der syrischen Armee aus der Luft angegriffen hatte. Einige Tage später wurde ein Hilfskonvoi bombardiert. Die USA werfen Russland und der syrischen Führung vor, den Angriff auf die unbewaffneten Helfer angeordnet zu haben. Russland weist die Vorwürfe zurück.

Nach der Feuerpause leiteten die syrischen Einheiten außerdem eine Großoffensive auf Aleppo ein, die von Russland unterstützt wird. Seitdem wird die syrische Stadt im Norden heftiger denn je bombardiert.

UN-Sicherheitsrat will beraten

Der UN-Sicherheitsrat will laut Diplomaten Beratungen über einen Resolutionsentwurf aufnehmen. Darin sollen Russland und die USA aufgerufen werden, eine sofortige Waffenruhe in Aleppo sicherzustellen und alle Kämpfe dort zu beenden. Die Erfolgsaussichten für ein solches Unterfangen sind derzeit schlecht.

Was vor mehr als fünf Jahren mit friedlichen Demonstrationen in einer Provinzstadt begann, hat sich mittlerweile zu einem komplexen Bürgerkrieg mit internationaler Dimension ausgeweitet. Der Konflikt wird auch von außen immer weiter angefacht. Er ist schwer lösbar, weil es viele Akteure mit vielen unterschiedlichen Interessen sowie ein kompliziertes Netz gegenseitiger Abhängigkeiten gibt.

REGIME: Anhänger von Präsident Bashar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen am Mittelmeer. Syriens Armee hat allerdings viele Soldaten verloren und wird vor allem durch russische Kampfjets, iranische Kämpfer und die Schiitenmiliz Hisbollah unterstützt. Auch Verbände aus Afghanistan und dem Irak sollen aufseiten des Regimes kämpfen.

ISLAMISCHER STAAT (IS): Die Terrormiliz hat in den vergangenen Monaten große Teile ihres Gebietes verloren, herrscht aber immer noch in vielen Städten entlang des Euphrats und in Zentralsyrien.

REBELLEN: Unzählige Rebellengruppen kämpfen in Syrien - von als moderat geltenden Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten, wie der früheren Al-Nusra-Front. Immer wieder gehen die verschiedenen Truppen zeitweise Zweckbündnisse ein.

KURDEN: Kurdische Streitkräfte beherrschen mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei. Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS. Sie kämpfen teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime in Damaskus.

USA UND DER WESTEN: Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt unter anderem sechs Tornados für Aufklärungsflüge.

RUSSLAND: Seit einem Jahr fliegt Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien und steht an der Seite von Machthaber Assad. Russland bekämpft offiziell den IS, greift aber den Angaben zufolge immer wieder auch moderatere Rebellengruppen an, die Seite an Seite mit Dschihadisten kämpfen.

IRAN: Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes. Nach Angaben Teherans sind Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden als militärische Berater der syrischen Armee im Einsatz.

SAUDI-ARABIEN UND DIE TÜRKEI: Riad und Ankara sind wichtige Unterstützer von Rebellen. Sie fordern den Sturz Assads. Saudi-Arabien geht es darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der Erzrivale der Saudis im Nahen Osten. Die Türkei will eine größere Selbstbestimmung der Kurden in Nordsyrien verhindern.

Gewalt in Syrien: Eiszeit zwischen Russland und USA
Karte Syrien mit von verschiedenen Partein kontrollierten Gebieten GRAFIK 0955-16, 88 x 108 mm

Vergleich: Aleppo, Sarajevo, Guernica

Angesichts der aussichtslosen Lage in der belagerten syrischen Stadt Aleppo hat der französische UN-Botschafter Francois Delattre einen historischen Vergleich mit Sarajevo und Guernica gezogen:

ALEPPO ist die am heftigsten umkämpfte Stadt in dem seit mehr als fünf Jahren tobenden Krieg in Syrien. Als neben Damaskus größte Stadt des Landes hat sie im Bürgerkrieg einen hohen strategischen und symbolischen Wert. Eine vollständige Eroberung könnte zu einem militärischen Wendepunkt werden. Die Altstadt mit ihrer Zitadelle gehört zum Unesco-Weltkulturerbe, ist aber durch Luftangriffe mittlerweile weitgehend zerstört. Vor dem Bürgerkrieg war Aleppo die Handelsmetropole im Norden Syriens. Einst lebten dort mehr als zwei Millionen Menschen.

SARAJEVO, Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas, steht für die längste Belagerung einer Stadt im 20. Jahrhundert. Der Bürgerkrieg war nach der Unabhängigkeitserklärung der früheren jugoslawischen Teilrepublik im März 1992 ausgebrochen. Serben riegelten Sarajevo fast vier Jahre lang von der Außenwelt ab und beschossen es von den umliegenden Bergen aus. Der Beschuss des Marktplatzes von Markale mit Dutzenden Toten im August 1995 löste schließlich Nato-Angriffe auf die serbischen Belagerer aus - der Anfang vom Ende der Blockade. Im Dezember 1995 wurde in Paris der in Dayton (Ohio/USA) ausgehandelte Friedensvertrag unterzeichnet.

GUERNICA ging als erste Stadt Europas in die Geschichte ein, deren Zivilbevölkerung die Schrecken des modernen Krieges durch ein systematisches Bombardement aus der Luft erleiden musste. Die Flugzeuge der deutschen "Legion Condor" legten die Kleinstadt am 26. April 1937 in Schutt und Asche. Die Zahl der Opfer konnte nie genau festgestellt werden, weil auch Tausende Flüchtlinge dort lebten. Das Nazi-Regime hatte die "Legion Condor" nach Spanien geschickt, um den späteren Diktator Francisco Franco im Bürgerkrieg (1936-1939) gegen die Truppen der republikanischen Regierung zu unterstützen.

Kommentare