Syrien droht kurzer, gezielter Bombenkrieg

Syrien droht kurzer, gezielter Bombenkrieg
Die "Koalition der Willigen" für einen Militärschlag gegen das Assad-Regime formiert sich – die UNO mahnt zur Ruhe.

Eine Strafaktion in begrenztem Umfang: Das ist es, was die "Koalition der Willigen" - mit den USA an vorderster Front - in Syrien plant. Keine Großoffensive auf Syrien; auch nicht die Errichtung einer Flugverbots- oder Pufferzone, sondern ein Einsatz mit Marschflugkörpern und Bombern, der ein bis zwei Tage dauern könnte, sei geplant, berichtet die Washington Post.

Und zwar möglicherweise schon, wie NBC unter Berufung auf ranghohe Regierungsbeamte berichtet, ab Donnerstag: Die USA haben klargestellt, dass sie Assad für den Einsatz von Chemiewaffen vor einer Woche nahe Damaskus verantwortlich machen - nun ist es nur mehr eine Frage der Zeit. Präsident Obama habe noch keine Entscheidung über einen Angriff getroffen, „wenn er eine Ankündigung zu machen hat, wird er sie machen“. Es gehe jedenfalls nicht darum, das Assad-Regime zu stürzen, sondern „um eine Antwort auf eine klare Verletzung internationaler Standards, die den Einsatz chemischer Waffen verbieten.“

Koalition steht

Mit Frankreich und Großbritannien hat Obama bereits Verbündete gefunden: Kommenden Donnerstag soll das Unterhaus über einen Einsatz beraten. Auch Frankreichs Präsident Hollande sagte, man sei bereit, die Verantwortlichen zu bestrafen. Auch die Arabische Liga beschuldigte direkt die syrische Führung für den Chemiewaffeneinsatz vergangene Woche; Australien hat ebenfalls eingewilligt, auch ohne UN-Mandat an einem Einsatz teilnehmen zu wollen, Dänemark erwägt eine Beteiligung.

Israel hat indes sein Sicherheitskabinett zu einer Dringlichkeitssitzung versammelt. Premier Netanyahu hatte mit einer harten Reaktion gedroht, sollte Israel angegriffen werden - man sei "auf alle Szenarien vorbereitet".

Kein UN-Mandat

UNO-Mandat für einen Syrien-Einsatz wird es durch die Ablehnung Russlands und Chinas vorerst keines geben. Und: „Ein Einsatz von Gewalt ohne Mandat des Weltsicherheitsrates ist die gröbste Verletzung internationalen Rechts“, so Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Ein Militärschlag würde „katastrophale“ Folgen für den gesamten Nahen Osten sowie Nordafrika haben.

London drängt in dieser Causa nun: Premier Cameron wird dem Sicherheitsrat am Mittwoch den Entwurf für eine Syrien-Resolution vorlegen. Damit soll das Gremium nach dem Wunsch Großbritanniens "notwendige Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten" autorisieren sowie die Giftgasangriffe des syrischen Regimes verurteilen.

Experten noch vor Ort

Jene UN-Experten, die den Giftgaseinsatz in Syrien untersuchen, sind nach wie vor im Land. Es gilt als ausgeschlossen, dass ein Bombardement durchgeführt werden würde, während sie noch in Syrien sind. Wegen der Sicherheitslage war eine Fahrt zu dem Ort des möglichen Giftgasangriffs unmöglich. Laut syrischer Regierung liegt die Schuld dafür bei den Rebellen, die sich nicht darauf hätten einigen können, welche ihrer Gruppen den Schutz des Teams gewährleiste.

Darauf wies auch der UNO-Generalsekretär hin: Ban Ki-moon hat vor einem schnellen militärischen Eingreifen ohne UN-Mandat gewarnt. Die UNO-Inspektoren, die im Land gegenwärtig Giftgasvorwürfe untersuchen, bräuchten "Zeit um ihren Job zu machen", erklärte Ban in Den Haag. "Der UN-Sicherheitsrat muss seine politische Verantwortung behalten", betonte der UNO-Generalsekretär.

Sicherheitsrat in Wien

Aus Sicht der USA ist das Verzögerungstaktik. Viel zu spät sei den UNO-Experten Zugang gewährt worden, Beweise seien vernichtet worden. Syriens Außenminister Walid Muallim wies diesen Vorwurf zurück. „Es gibt keine Verzögerung“, sagte er bei einer Pressekonferenz in Damaskus. Außerdem werde Syrien einen Militärschlag nicht einfach hinnehmen: „Wir werden uns verteidigen.“ Ein Militärschlag des Westens würde nur den Interessen der El Kaida dienen.

Über einen Militärschlag und seine Folgen macht man sich auch in Österreich Gedanken. Demnächst soll der Nationale Sicherheitsrat zusammentreten, verlautete am Dienstag aus Regierungskreisen. Ihm gehören unter anderem Kanzler, Außen-, Verteidigungs-, Innen- und Justizminister und der Chef des Generalstabes an.

NYT: Von Syrern gehackt

Die US-Tageszeitung New York Times ist unterdessen nach eigenen Angaben Opfer einer Hackerattacke geworden. Der Internet-Auftritt des renommierten Blattes sei offenbar wegen einer "bösartigen Attacke von außen" nicht mehr aufzurufen, meldete eine Sprecherin. Dahinter stecken dürfte die Hacker-Gruppe "Syrian Electronic Army", die aus Unterstützern des syrischen Staatschefs Assad bestehen soll.

Video: UNO-Inspektoren vor Ort

Die Bilder von Leichenbergen mit Gastoten aus Syrien lösen in Israel keine Alarmsirenen aus, versetzen viele Israelis aber in eine innere Alarmstimmung. Vor Israels Ausgabestellen für Gasmasken sind die Warteschlangen länger geworden. Von Andrang aber kann keine Rede sein. Israel sieht sich als Randbeobachter: „Wir bemühen uns demonstrativ um Distanz“, so ein Radio-Kommentator, „spüren dabei aber die Hitze des Schlachtfeldes.“

Schlagzeilen-Vorrang hat das neue Schuljahr. Auch die Unruhen vom Vortag im Westjordanland mit drei Toten bereiten in Israel Sorgen. Internationaler Militäreinsatz gegen Syrien? Israels Regierung bemüht sich um Distanz. Den Ministern wurde Funkstille verordnet.

Sollten Syrien oder seine Verbündeten nach einem Angriff aber zurückschießen, würde Israel mit in den Strudel gerissen werden. Syriens Außenminister Walid Mualam: „Jede ausländische Militäraktion gegen Syrien dient Israels Interessen.“ Was das heißt, hatte Syriens Vize-Propagandaminister Hilaf al-Muftach erklärt: „Unsere Waffen werden sich vor allem auf Israel richten.“

Drohungen

Auch die mit Assad verbündete libanesische Schiitenmiliz Hisbollah drohte. Und aus dem Iran tönt Parlamentssprecher Schechalaslam: „Nimmt die Entwicklung kriegerische Formen an, wird das zionistische Regime deren erstes Opfer sein.“

Darum sitzt in Washington bei den Beratungen im Weißen Haus auch eine israelische Delegation am Tisch. Der US-Politik in Syrien fällt für Israel eine Vorläuferrolle zu: „An ihr lässt sich die US-Bereitschaft ablesen, auch im Iran Waffen zur Massenvernichtung zu verhindern“, schreibt die Zeitung Yedioth.

Israels Armee ist auf alles gefasst. Rechnet aber, die Rolle als Beobachter behalten zu können. Bislang wurde keine weitere Luftabwehrrampe der „Eisernen Kuppel“ in den Norden verlegt.

Soll heißen: Jede Anheizung ist zu vermeiden. Die zu erwartenden Aktionen gegen Syrien werden ohnehin „auf den Punkt“ beschränkt sein, heißt es in Israel, wo keine breite kriegerische Entwicklung erwartet wird. Zu einer solchen wäre Syriens Armee in Wahrheit wohl auch nicht fähig.

Risiko raus und das Geld zwischenparken. Mit dieser Devise zogen sich am Dienstag praktisch weltweit Anleger aus Aktien und Währungen von Schwellenländern zurück. Das löste mancherorts heftige Kursstürze aus. Ein krasses Beispiel dafür war die Börse in Dubai, an der die Kurse gleich um sieben Prozent einbrachen. Für die Investoren dort dürfte die Syrien-Krise allerdings nur als Vorwand für den Rückzug gedient haben. Das Kursniveau in Dubai ist seit Jahresbeginn immerhin um fast 64 Prozent gestiegen.

Stark unter Druck waren vor allem die Börsen von Ländern, die nahe zum Krisenherd liegen. In Istanbul (Türkei) ging es am Dienstag um fast 3,5 Prozent nach unten. In Tel Aviv (Israel) gab das Kursniveau um rund zwei Prozent nach.

Europa konnte sich diesem Abwärtssog nicht entziehen, auch hier warfen Anleger Aktien auf den Markt. Am schlimmsten erwischte es wieder einmal die Athener Börse (minus vier Prozent). Der Wiener Leitindex ATX verlor 1,9 Prozent. Die heftigsten Verluste unter den großen Titeln in Wien erlitt die Erste Group (minus fünf Prozent).

Auf Talfahrt befanden sich am Dienstag auch eine Reihe von Währungen. Die türkische Lira etwa, die in den vergangenen Wochen schon einen Schwächeanfall nach dem anderen hatte, fiel auf ein neuerliches Rekordtief. Für einen Euro musste man bereits 2,71 Lira zahlen. In die Knie ging auch der russische Rubel. Mit mehr als 44,4 Rubel je Euro war die russische Währung so schwach wie schon seit knapp vier Jahren nicht mehr.

Öl wird teurer

Wenn Ängste und Verunsicherung die Finanzmärkte beherrschen, profitiert in der Regel Gold davon, weil es von vielen als sicherer Hafen betrachtet wird. Im Handelsverlauf erreichte der Preis für eine Feinunze Gold bis zu 1421,30 US-Dollar. Das war der höchste Stand seit rund elf Wochen.

Als sichere Häfen gelten auch Staatsanleihen stabiler Länder wie Deutschland und Österreich. Durch die vermehrte Nachfrage kletterten die Anleihenkurse, im Gegenzug gaben die Renditen (Fixzins im Verhältnis zum Kurs) nach.

Die Sorge vor einer Eskalation im Nahen Osten trieb auch den Ölpreis nach oben. Ein Fass der Sorte Brent verteuerte sich um mehr als zwei Dollar auf gut 113 Dollar.

Syrien droht kurzer, gezielter Bombenkrieg
Zweite Wahl

Im Jahr 2000 wird die Führung des von Korruption und Machtkämpfen gerüttelten Regimes unter Hafis al-Assad auf dessen Sohn Bashar übertragen. Erst sollte dessen Bruder Basil die Regierungsführung übernehmen, dieser starb jedoch 1994 bei einem Autounfall.

Arabischer Frühling

Im Jahr 2011 zwingt der Arabische Frühling Regierungen in Tunesien, Libyen und Ägypten zum Rücktritt. Im selben Jahr kommt es auch in Syrien zu den ersten Protesten gegen das repressive Regime in Damaskus. Ende März nehmen Umfang und Intensität der Proteste zu, nachdem in der Provinzstadt Deraa fünf Demonstranten erschossen werden. Landesweit gehen Menschen auf die Straße, um gegen das Regime zu demonstrieren. Tausende werden getötet und inhaftiert. Im Sommer 2011 fordern auch US-Regierung und EU den Rücktritt des Präsidenten.

Die Wende

Eine Gruppe von Deserteuren gründet Ende Juli 2011 im türkischen Exil die Freie Syrische Armee (FSA), der sich rasch weitere Überläufer und Zivilisten anschließen. In der Folge eskaliert der Konflikt zu einem offenen Bürgerkrieg.

Aktuell

Der Westen ringt um eine gemeinsame Position gegenüber Syrien, prallt in der UNO jedoch auf den Widerstand Russlands und Chinas. Währenddessen wird der Iran aktiv und eilt Syrien mit Finanzspritzen, technischem Know-how und dem Einsatz der Schiitenmiliz Hisbollah zu Hilfe.

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