Syrien: Die Flüchtlinge haben Angst

Syrien: Die Flüchtlinge haben Angst
Zehntausende Regimegegner haben sich in den Libanon gerettet. Doch auch dort fürchten sie den langen Arm des Assad-Regimes

Nur das Telefon unterbricht für einen Augenblick die Erinnerung an das Grauen. Bomben, Scharfschützen, Verletzte ohne medizinische Hilfe: Atemlos schildert Mahmoud, was er vor einigen Tagen in seinem Heimatdorf zurückgelassen hat. Dann presst er das Handy ans Ohr, überschreit die schlechte Verbindung, teilt endlich seltsam teilnahmslos den umsitzenden Verwandten die neuesten Schreckensnachrichten von zu Hause mit: Eine Nachbarin, Mutter von vier Kindern, sei heute Früh erschossen worden.

Nur ein paar Stunden sind es von ihrem Heimatdorf unweit von Homs bis hierher ins libanesische Bekaa-Tal. Wie Hunderte andere Familien haben es auch Mahmoud und sein Bruder über die Berge geschafft, mit ihnen unzählige Frauen und Kinder, die ihnen die anderen Männer des Dorfes anvertraut haben. Die sind geblieben, um zu kämpfen, und auch Mahmoud will bald zurück.

 

Keine frische Kleidung

Syrien: Die Flüchtlinge haben Angst

Vorerst aber sitzen sie im Rohbau einer Moschee, in der sie notdürftig Unterschlupf gefunden haben. Der Bergwind pfeift durch den Gebetsraum, ohne Türen, ohne Heizung, ohne Licht. Die paar Decken einer Hilfsorganisation sind der einzige Schutz gegen die Kälte. Die Kleidung, die sie beim Aufbruch im Morgengrauen hastig eingepackt hatten, haben ihnen die libanesischen Grenzsoldaten abgenommen. Seit zehn Tagen dasselbe Gewand, kein warmes Wasser, keine Toiletten. Einer der Männer versucht seine Scham hinter Beteuerungen zu verstecken: „Wir sind keine Beduinen, wir haben ein Haus im Dorf, Kleider, ein gutes Auto."

Geschätzte 10.000 Flüchtlinge aus Syrien gibt es im Bekaa-Tal, bis zu 50.000 sollen es im gesamten Libanon sein – und der Zustrom, das bestätigen alle Hilfsorganisationen, wird täglich stärker. Doch es gibt keine Flüchtlingslager, keine Zeltstädte, keine vollen Turnhallen: Die Syrer haben sich auf die Dörfer verteilt, sind bei Verwandten aus der Großfamilie untergekommen, die oft seit Jahren im Libanon leben, oder bei einer der Tausenden libanesischen Familien, die für die Flüchtlinge noch enger zusammengerückt sind. Gastfreundschaft ist den Arabern heilig, und schließlich sind viele Libanesen vor ein paar Jahren, als in ihrer Heimat Krieg herrschte, jenseits der Grenze untergekommen.

Doch je mehr Syrer im Libanon Zuflucht suchen, desto rascher droht der Zusammenbruch dieses Systems. In den Gastfamilien fehlt es längst am Nötigsten, in den Schulen ist kein Platz mehr für die neuen Kinder und die medizinischen Zentren sind mit Kriegsverletzten und traumatisierten Kindern überfordert. Die libanesische Hilfsorganisation Amel betreibt fünf Zentren allein im Bekaa-Tal. Eigentlich für mittellose Landsleute in dieser armen Gegend eingerichtet, werden sie jetzt von Flüchtlingen überschwemmt.

 

Psychologische Hilfe

Medikamente, Medizintechnik, Hygieneartikel, all das soll jetzt rasch mithilfe internationaler Organisationen wie dem österreichischen Hilfswerk Austria International geliefert werden. Doch ärztliche Hilfe allein reicht nicht. „Die meisten brauchen vor allem einen Psychologen", erzählt ein Arzt über Kinder, die das Gehen verlernt haben, alte Männer, die auf einmal nichts mehr sehen können: „Die stehen unter Schock nach dem, was sie erlebt haben – und sie haben einfach Angst."

Und die werden viele auch im Libanon nicht los. Denn das strauchelnde Assad-Regime hat seit Jahrzehnten überall im Nachbarland seine Finger drin, Syriens Geheimdienste hören auch im kleinsten Dorf mit. Darum will kaum einer der Flüchtlinge auch nur ein Wort über seine Herkunft, seine politische Meinung verlieren. Oft fürchtet man sich sogar vor anderen Flüchtlingen aus dem Nachbarort. „Die Angst ist der wichtigste Faktor in diesem schrecklichen Spiel", schildert die Amel-Mitarbeiterin Nasrine ihren Umgang mit den Neuankömmlingen: „Die wollen einfach Hilfe – und nur ja keine Fragen."

Doch so werden Probleme totgeschwiegen, und die werden im Bekaa-Tal Tag für Tag drückender. Längst sorgt die Hilfe für die Flüchtlinge für Neid unter den ärmeren Einheimischen. Was an die Syrer verschenkt werde, müssten sie sich umso härter erarbeiten. Um die raren Jobs muss man sich auf einmal mit Neuankömmlingen streiten – und die stellen sich auch für den halben Stundenlohn in den örtlichen Steinbruch.

Labile Solidarität

Noch hält die Solidarität mit dem Land hinter den schneebedeckten Bergen – und denen, die sich von dort durchgekämpft haben: Vorbei an syrischen Grenzposten, die Schießbefehl haben und libanesischen, die Papiere sehen wollen, von Menschen, die alles zurückgelassen haben. Noch drängt man sich in überfüllten Häusern um stinkende Benzinöfen, um die nächtliche Kälte draußen zu halten. Doch wenn der Sommer und die drückende Hitze kommt, wird die Krise noch nicht vorbei sein. „Eines Tages", zeigt ein Arzt auf die Straße, die sich durch die Berge windet, „kommen hier täglich zehn Mal so viele herunter. Wir müssen uns vorbereiten."

Hilfswerk Austria: "Jetzt muss es vor allem schnell gehen"

Ein erster Koffer mit Kinderkleidung ist schon auf dem Weg nach Syrien. Mit rascher unbürokratischer Hilfe hat Heidi Burkhart vom „Hilfswerk Austria International" Jahrzehnte Erfahrung. „Jetzt muss es vor allem schnell gehen", sagt sie beim ersten Lokalaugenschein im Libanon. Die Flüchtlinge brauchen dringend Essen, medizinische Versorgung, Kleider, psychologische Betreuung. Dafür setzt das Hilfswerk auf lokale Hilfsorganisationen wie Amel, aber auch auf Exilsyrer, die Hilfe nach Syrien einschleusen können. Eine mobile Klinik soll medizinische Hilfe zu verwundeten und kranken Syrern in entlegene Grenzdörfer bringen.

Spenden an: Hilfswerk Austria
„Nothilfe Syrien", PSK 90.001.002

 

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