Freeman: "Die Zukunft der Jugend wurde weggewählt"

Freeman: "Die Zukunft der Jugend wurde weggewählt"
Der britische FM4-Moderator Stuart Freeman lebt seit mehr als 20 Jahren in Österreich und kann es nicht fassen, dass die Mehrheit seiner Landsleute für den Austritt aus der EU gestimmt hat.

Die nordenglische Küstenstadt Blackpool galt seit Anfang des 20. Jahrhunderts als beliebtes Badeziel für Briten. Das änderte sich jedoch, als immer mehr Billigflieger und Themenparks den Tourismusmarkt eroberten. Die Arbeitslosigkeit in Nordengland stieg, die Unzufriedenheit mit der Regierung im weit entfernten London ebenfalls.

Heute gehört Blackpool zu den EU-kritischsten Städten auf der Insel. 67,5 Prozent der Wähler stimmten beim Brexit-Referendum für den EU-Austritt Großbritanniens.

Stuart Freeman, britischer Moderator beim ORF-Radiosender FM4, stammt aus der Küstenstadt. Im KURIER-Gespräch erzählt Freeman, wie er das Votum seiner Landsleute miterlebt hat.


KURIER: Herr Freeman, Sie sind ein Auslandsbrite in Österreich. Wie haben Sie das Votum ihrer Landsleute miterlebt?

Stuart Freeman: Eine Woche vor dem Referendum wurde ich öfters gefragt, was ich glaube, wie sich die Briten entscheiden werden. Meine Antwort: Sie bleiben natürlich in der EU. Das war zumindest die Hoffnung, die ich hatte. Als ich am Freitagmorgen aufwachte, sah ich in den News: "Great Britain Leaving The European Community".

Was war Ihr erster Gedanke?

Ich dachte nur: Oh no! Ich konnte es nicht fassen. Nein, niemand konnte es fassen. Selbst diejenigen, die für den Austritt gestimmt haben. Weder Nigel Farage [trat als UKIP-Chef zurück, Anm.] noch Boris Johnson haben mit dem Brexit gerechnet.

Wie kommen Sie darauf?

EU-Gegner wie Farage hatten laut britischen Medien bereits einen Notfallplan vorbereitet, mit dem sie das Ergebnis anfechten wollten - ähnlich wie es die FPÖ und Norbert Hofer in Österreich gemacht haben. Neuauszählung, eine Wiederholung des Referendums und so weiter. Oder nehmen Sie Johnson: Normalerweise redet er ja immer, egal wo und egal mit wem. An diesem Freitag verließ er sein Haus wortlos, ließ sich sogar auf offener Straße beschimpfen.

Farage und Boris triumphierten jedoch als Brexit-Befürworter, egal ob sie es erwarteten oder nicht. David Cameron, der bekanntlich gegen den Austritt geworben hat, tritt als Premierminister zurück.

Haben Sie seinen Auftritt gesehen? Zuerst hat seine Frau geweint, dann er. Ich kann Ihnen sagen, nicht einmal für eine Sekunde hat Cameron daran gedacht, in der Downing Street zu stehen und seinen Rücktritt wegen des Referendums bekannt zu geben. Sowas kann in der Politik aber passieren, er hätte sich nicht auf die Spielchen von Farage und Johnson einlassen sollen.

Sie wohnen seit gut 20 Jahren in Österreich. Haben Sie gewählt?

Ich hätte, wenn ich dürfte. Aber in Großbritannien gibt es die 15-Jahre-Frist. Bedeutet: Wenn Sie länger als 15 Jahre im Ausland leben, sind Sie vom Referendum ausgeschlossen. Das ist schade, aber Fakt. Ich weiß, dass ein Brite, der seit Jahrzehnten in Italien wohnt, gegen diese Regelung Klage erhoben hat. Daraus wurde aber nichts.

Glauben Sie, das Ergebnis hätte sich durch die Stimmen der Expats [Auswanderer, Anm.] geändert?

Wenn Auswanderer, die länger als 15 Jahre im Ausland leben, wählen dürften, hätte es womöglich ein überwältigendes Ja für die EU gegeben.

Die Mehrheit der Briten hat sich trotzdem für den Ausstieg entschieden. Wie können Sie sich das erklären?

Eigentlich gar nicht. Ich sprach mit einigen Freunden in England und Wales vor dem Referendum. Im Gegensatz zu Österreich machen die Briten ja kein Geheimnis daraus, wen oder was sie wählen. Viele sagten mir, sie werden sich für den Brexit entscheiden, weil es ihnen dann besser gehen würde. Ich habe sie dann gefragt, warum sie das glauben.

Welche Antworten bekamen Sie?

Gar keine. Sie konnten ihre Entscheidung nicht rational begründen. Sensationell, oder? Viele haben sich mit den Konsequenzen ihrer Wahl nie richtig auseinandergesetzt, sondern vertrauten den Lügen in sozialen Netzwerken und von bestimmten Politikern. Brexit-Werber sagten zum Beispiel, dass die 350 Millionen Pfund, die man wöchentlich der EU überweist, künftig in das nationale Gesundheitssystem investiert werden. Und dann plötzlich hieß es, es war alles nur ein Missverständnis, man kann dieses Vorhaben nicht mehr garantieren.

Freeman: "Die Zukunft der Jugend wurde weggewählt"
Supporters of the 'Stronger In' Campaign react as results of the EU referendum are announced at a results party at the Royal Festival Hall in London early in the morning of June 24, 2016. Bookmakers dramatically reversed the odds on Britain leaving the European Union on Friday as early results from a historic referendum pointed to strong support for a Brexit. / AFP PHOTO / POOL / ROB STOTHARD

Laut Wähleranalyse waren junge Briten, die zur Wahl gingen, mehrheitlich für den Verbleib in der Union, ältere stimmten für den Austritt. Mit den Konsequenzen leben müssen aber die Jüngeren. Ist das fair?

Ist das fair? Gute Frage. Nein, ist es nicht. Viele haben abgestimmt, ohne sich über die Zukunft der Jugend Gedanken zu machen. Diese sind jetzt geschockt, traurig und enttäuscht. Die Älteren, die womöglich die Folgen des Brexit gar nicht mehr so zu spüren bekommen werden, haben die Zukunft der Jungen weggewählt.

Mit Verlaub, ist das nicht bloße Schwarzmalerei? David Cameron hat das Votum zwar als bindend bezeichnet, allerdings scheint ein Austritt noch nicht fix zu sein.

Es geht jetzt aber schon darum, sich um die Kleinigkeiten Gedanken zu machen. Was tu' ich nun mit meinem europäischen Führerschein? Durch welchen Ausgang am Flughafen gehe ich, den europäischen oder den "others"? Was passiert mit britischen Pensionisten, die im Ausland leben? Wird der Pfund weiter an Wert verlieren? Genau das ist ja das, was uns alle ängstigt, dass nämlich niemand weiß, wie es weitergehen wird.

Erwarten Sie als britischer Auswanderer in Österreich Einschränkungen?

Dieses Land hier ist mein Zuhause, ich bin quasi Österreicher und ich denke nicht, dass mich wer rauswerfen wird. Ich rechne aber auf alle Fälle mit ein paar mehr bürokratischen Hürden. Ich werde es österreichisch machen: Schau ma mal.

Freeman: "Die Zukunft der Jugend wurde weggewählt"
People hold up pro-Europe placards as thousands of protesters take part in a March for Europe, through the centre of London on July 2, 2016, to protest against Britain's vote to leave the EU, which has plunged the government into political turmoil and left the country deeply polarised. Protesters from a variety of movements march from Park Lane to Parliament Square to show solidarity with those looking to create a more positive, inclusive kinder Britain in Europe. / AFP PHOTO / Niklas HALLE'N

Obwohl Sie hier leben und arbeiten, Österreich als Ihrer Heimat bezeichnen, stellt sich mir die Frage: Wie fühlt sich ein Auswanderer, wenn sein Geburtsland vor solch gravierenden Herausforderungen steht?

Ich bin stolz darauf, Engländer zu sein, aber ich mag nicht, was gerade in Großbritannien passiert. Als ich die Insel verließ, gab es auch Probleme, aber nicht diese Unsicherheit. Es besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass die große Einheit zerfällt. Die Schotten sind enttäuscht, wollen die Unabhängigkeit, damit sie in der EU bleiben können. Familien im ganzen Land sind gespalten, weil ein Teil für den Verbleib stimmte, der andere für den Austritt. Nicht mal diejenigen, die das Land lenken sollten, wissen, was sie eigentlich angerichtet haben.

Millionen Menschen haben eine Petition für ein zweites Referendum unterschrieben. Soll es Ihrer Meinung nach stattfinden?

Das ist interessant. Wenn das Ergebnis demokratisch legitimiert ist, was es ja ist, sollte es so bleiben. Es ist vergleichbar mit dem Unabhängigkeitsreferendum von Schottland, die danach ein zweites Mal abstimmen wollten. Damals hieß es: No, that’s it.

Also sollen die Briten mit der Entscheidung nun leben?

Es ist wirklich ein kompliziertes Thema, das uns alle betrifft. Demokratie bedeutet auch, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Allerdings hoffe ich, dass uns ein Austritt erspart bleibt.


Zur Person: Stuart Freeman stammt aus der nordenglischen Stadt Blackpool. Nach Aufenthalten in Wales und Deutschland kam er vor 26 Jahren zum ersten Mal nach Österreich, wo er für den englischsprachigen Sender Blue Danube Radio arbeitete. Heute präsentiert er die "Morning Show" auf FM4. 2016 wurde Freeman beim Österreichischen Radiopreis als bester Moderator ausgezeichnet.

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