Streit mit Ungarn: Deutschland gegen Mittelkürzung

Streit mit Ungarn: Deutschland gegen Mittelkürzung
Innenminister De Maiziere kritisiert Schulz-Ankündigung. Geld solle kein Druckmittel sein. Sonst "stünde es wirklich schlecht um die EU".

Im Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa lehnt der deutsche Innenminister Thomas de Maizière eine Reduzierung von EU-Mitteln als Druckmittel ab. "Wenn wir EU-Mittel kürzen müssten, um die Umsetzung von Urteilen zu erzwingen, stünde es wirklich schlecht um die EU", sagte der CDU-Politiker der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstag).

"Derzeit ringen wir um ein neues, solidarischeres EU-Asylsystem. Öffentliche Drohungen, wie die von Herrn Schulz, erschweren diese schwierigen Verhandlungen eher, als dass sie sie erleichtern", sagte De Maiziere mit Blick auf den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Flüchtlingskrise hatte Schulz gesagt, den Druck auf Länder wie Ungarn und die Slowakei erhöhen zu wollen. "Wer die europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage aufkündigt, kann nicht an anderer Stelle Solidarität einfordern", sagte Schulz der Deutschen Presse-Agentur. "Deshalb werde ich als Bundeskanzler keine EU-Finanzplanung mittragen, solange Länder wie Ungarn in Flüchtlingsfragen unsolidarisch bleiben." Ungarn und die Slowakei waren am Mittwoch mit ihrer Klage gegen die Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas gescheitert.

De Maiziere sagte, es stehe "im Ermessen der Europäischen Kommission, durch Vertragsverletzungsverfahren tätig zu werden", sollte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban nicht einlenken. Eine Gerichtsentscheidung müsse akzeptiert werden, auch wenn sie einem nicht passe.

Am Mittwoch wies der Europäische Gerichtshof (EuGH) Klagen von Ungarn und der Slowakei gegen den zwei Jahren alten EU-Beschluss zur Flüchtlingsumverteilung ab.

DER BESCHLUSS: Die EU-Innenminister hatten am 22. September 2015 gegen den Widerstand Ungarns, Tschechiens, der Slowakei und Rumäniens die Umverteilung von 120.000 Asylbewerbern beschlossen. Sie sollten bis September 2017 nach einem Quotensystem von Italien und Griechenland in andere Mitgliedstaaten gebracht werden. Die Aufnahmekontingente richten sich vor allem nach Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl. Bereits zuvor hatten sich eine Reihe von Mitgliedstaaten freiwillig verpflichtet, 40.000 Flüchtlinge aufzunehmen.

DIE KLAGE: Gegen den Ministerbeschluss reichten im Dezember 2015 zunächst die Slowakei und einige Tage später auch Ungarn Klage ein. Sie argumentierten, die Umverteilung sei keine geeignete Reaktion auf die Flüchtlingskrise. Zudem habe der Beschluss keine ausreichende Rechtsgrundlage, nötig sei ein formelles EU-Gesetz. Polen unterstützte die Klage.

DAS URTEIL: Der EuGH wies die Klagen der Slowakei und Ungarns jetzt ab und entschied, beide Länder müssten Flüchtlinge aus Griechenland und Italien aufnehmen. Der EU-Beschluss sei rechtmäßig und verbindlich, eine Umverteilung als vorübergehende Maßnahme sei zulässig und auch geeignet, um Griechenland und Italien zu entlasten.

Auch habe der EU-Rat dies beschließen dürfen, erklärte das Gericht. Ein formelles Gesetz unter Beteiligung der nationalen Parlamente sei nicht erforderlich gewesen. Der Vertrag von Lissabon ermächtige die EU-Organe in Notlagen zu entsprechenden vorläufigen Maßnahmen.

DER STAND: Aus dem Umverteilungsprogramm sind nach Angaben der EU-Kommission kurz vor Ende erst rund 27.600 Flüchtlinge auf andere Mitgliedstaaten umverteilt worden. 8.402 kamen dabei aus Italien und 19.243 aus Griechenland.

DIE VERWEIGERER: Bis heute haben weder Ungarn noch Polen einen einzigen Flüchtling aus dem Programm aufgenommen. Sie müssten nach den festgelegten Quoten Italien und Griechenland 1294 beziehungsweise 6.182 Asylbewerber abnehmen. Die Slowakei, deren Quote bei 902 Flüchtlingen liegt, hat bisher 16 Flüchtlinge aus Griechenland aufgenommen.

DIE ZÖGERLICHEN: Auch eine Reihe anderer EU-Staaten liegt noch weit hinter den festgelegten Aufnahmezielen zurück. Dazu gehören Österreich (15 bei einer Gesamtquote von 1.953 Asylbewerbern), Bulgarien (50 von 1.302), Kroatien (78 von 968) und Tschechien (zwölf von 2.691). Österreich hatte zunächst aufgrund der hohen Flüchtlingsankünfte über die Westbalkanroute einen Aufschub für die Umverteilung erwirkt.

Unter den großen EU-Ländern hinkt Frankreich noch weit hinterher. Es hat bisher 4.278 Flüchtlinge aus seiner Quote von 19.714 aufgenommen. Auch Deutschland hat die Quote noch nicht erfüllt: Es fehlen noch 19.684 Flüchtlinge, um das Kontingent von 27.536 Asylbewerbern zu erreichen.

DIE MUSTERSCHÜLER: Als einziges EU-Land hat bisher der Kleinstaat Malta seine Quote von 131 Flüchtlingen bereits erfüllt. Fast geschafft hat das auch Finnland mit 1.951 von 2.078 Flüchtlingen.

DIE SANKTIONEN: Im Juni hat die EU-Kommission wegen der verweigerten Aufnahme Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn und Polen eröffnet. Auch gegen Tschechien ging Brüssel damals bereits vor, weil das Land seit einem Jahr keine neuen Flüchtlinge mehr aufgenommen hatte. Die Verfahren können zu einer Klage der Kommission vor dem EuGH und zu hohen Geldstrafen für die betroffenen Staaten führen.

EIN ENDE DES VERTEILUNGSSTREITS ist trotz des offiziellen Auslaufens des Umverteilungsprogramms in diesem Monat nicht in Sicht. Bis zum Erreichen ihrer Quoten sind die Mitgliedstaaten auch nach September 2017 verpflichtet, Asylbewerber aufzunehmen, die davor in Europa angekommen sind. Brüssel dringt zudem auf einen dauerhaften Umverteilungsmechanismus für Krisensituationen.

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