Streit in Bosnien nach Völkermord-Klage gegen Serbien

Das Massaker in Srebrenica lässt die bosnische Politik nicht los.
Eigenmächtige Entscheidung von Izetbegovic sorgt für Konflikt. Außenminister interveniert gegen Widerstand der eigenen Botschafterin beim Internationalen Gerichtshof.

Die bosnische Politik bleibt in den ethnischen Konflikten der 1990er Jahre verfangen. Jüngster Anlass ist ein vom bosniakischen Mitglied im Staatspräsidium, Bakir Izetbegovic, beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag eingebrachter Antrag zur Revision eines zehn Jahre alten Urteils, wonach Serbien nicht direkt am Völkermord in Srebrenica beteiligt gewesen sei.

Bosnien wünschte damals eine Verurteilung Serbiens. Der IGH stellte aber nur fest, dass Belgrad nicht alles in seiner Macht stehende unternommen habe, um die Tötung von 8.000 männlichen Einwohnern der von bosnisch-serbischen Truppen überrannten Muslimen-Enklave Srebrenica zu verhindern. Izetbegovic will nun eine Änderung des Urteils erreichen.

Alleingang

Izetbegovic verfasste den Antrag jedoch, ohne zuvor ein Einvernehmen mit dem kroatischen und serbischen Mitglied im Staatspräsidium herzustellen. Für den nach der Sezession seines Landesteils strebenden bosnisch-serbischen Präsidenten Milorad Dodik war dies ein willkommener Anlass, den Boykott sämtlicher gesamtstaatlicher Institutionen zu fordern. Das serbische Mitglied im bosnischen Staatspräsidium, Mladen Ivanic, stellte sich jedoch gegen den Vorstoß, weil er einem Selbstausschluss der bosnischen Serben aus dem politischen Entscheidungsprozess in Sarajevo gleichkäme.

Der bosnische Außenminister Igor Crnadak teilte indes dem IGH mit, dass Izetbegovic' Entscheidung nicht von allen Institutionen gefasst worden sei und daher nicht rechtskräftig sei. Medienberichten zufolge weigerte sich die bosnische Botschafterin in Den Haag, Mirsada Colakovic, jedoch, das Schreiben Crnadaks an den IGH weiterzuleiten. Der Außenminister schickte den Brief daraufhin auf eigene Faust an den Gerichtshof.

Signal für Staatszerfall?

Der bosnische Serbe kritisierte, dass eine Fortsetzung der Angriffe auf die Institutionen oder ihr Einsatz für Privatinteressen zu noch größeren Problemen führen werde als bisher. Tatsächlich hatte bisher vor allem die bosnische Serbenrepublik die Autorität der gesamtstaatlichen Institutionen infrage gestellt und ihre Entscheidungen negiert, etwa ein mehrmaliges Verbot des Verfassungsgerichts, den 9. Jänner als offiziellen Feiertag in der Republika Srpska zu begehen.

Beobachter sehen in dem Schritt Izetbegovic' ein weiteres Zeichen für den Zerfall der bosnischen Staatsstrukturen. Bisher hatten die Bosniaken (Muslime) nämlich immer auf einen Erhalt des Gesamtstaates und seiner Entscheidungen gepocht. Bosnien-Herzegowina war mit dem Friedensvertrag von Dayton im Jahr 1995 als kompliziertes Gebilde mit weitgehenden Vetorechten der drei Volksgruppen und einer großen Autonomie für die beiden Landesteile, die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska, geschaffen worden.

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