Stimmungswandel auch in den USA: Freihandel als Sündenbock

In den USA steigt der Frust gegen Freihandelsabkommen
Den Tiraden gegen den Freihandel verdanken Trump und Sanders einen Teil ihres Erfolges im US-Wahlkampf.

Die vielen österreichischen Skeptiker des geplanten Freihandelsabkommens TTIP zwischen den USA und der EU haben Schützenhilfe von unerwarteter Seite erhalten: Donald Trump. Dem polternden republikanischen Präsidentschaftskandidaten ist zu verdanken, was bis vor wenige Monate noch undenkbar schien: Ein Scheitern des Paktes ist möglich geworden, weil sich die Stimmung auch in den USA radikal gedreht hat.

"Freihandel" – dieses Wort wurde in den vergangenen Monaten des teils höchst untergriffig geführten Wahlkampfes nahezu zu einem Schimpfwort. Zu einem Synonym für alles, was aus der Sicht von Millionen Amerikanern schiefläuft: Jobs, die ins Ausland ausgelagert wurden, gesunkene Löhne, billige Produkte, die die heimischen Unternehmen niederkonkurrieren und ruinieren. "Amerika zuerst", lautet denn auch das Gegenrezept des New Yorker Baumilliardärs, das unzählige, von ihrem wirtschaftlichen Abstieg gefrustete Wähler in den Bann schlug.

"Größter Diebstahl der Welt"

Trumps simple Gleichung: Ausländer "killen uns beim Handel", sagt der konservative Präsidentschaftskandidat, weil Amerikaner viel mehr für Importe ausgäben als der Rest der Welt für amerikanische Exporte. Chinas gigantischer Handelsüberschuss gegenüber den USA sei überhaupt der "größte Diebstahl in der Geschichte der Welt". Mit seinen Tiraden gegen den Freihandel stellt der 69-jährige Tycoon ein fast 200-jähriges ökonomisches Glaubensbekenntnis der Welthandelsgroßmacht USA auf den Kopf: Dass nämlich der Handel zwischen Staaten gut sei – und noch mehr Handel noch viel besser.

Aber es ist nicht nur Donald Trump. Bernie Sanders, linksliberaler Präsidentschaftskandidat der Demokraten, macht die Billigimporte aus Übersee für den "Kollaps der amerikanischen Mittelklasse" verantwortlich. Und sogar Hillary Clinton, die von ihrem Kontrahenten Sanders eindeutig nach links getrieben wurde, gibt sich neuerdings erstaunlich Handelspakt-kritisch. Als Außenministerin von Präsident Obama hatte sie einst die Trans-Pacific-Partnership (TPP), die die USA mit elf Pazifikanrainerstaaten ausgehandelt hatten, vorangetrieben. Heute distanziert sie sich – und würde sogar, wie sie sagt, das 20 Jahre alte NAFTA-Abkommen der USA mit Mexiko und Kanada neu aushandeln.

Handelsbarrieren und Zölle

Die Diskussion um TTIP, den Handelspakt mit Europa, interessiert in den USA noch kaum jemanden. Alles dreht sich stattdessen um das noch zu ratifizierende Abkommen mit den Pazifikstaaten. "TPP bedroht Lebensmittel-, Umwelt- und Sozialstandards, den Datenschutz und den Zugang zu leistbaren Medikamenten", warnt die US-Bürgerrechtsorganisation Public Citizen, die aber auch TTIP als Bedrohung für Konsumentenschutz und Konsumentenrechte sieht. "Katastrophal" sei der Pakt für den "amerikanischen Arbeiter", gibt auch Bernie Sanders zu bedenken, während Trump schnaubt: China werde TPP zu seinem Vorteil ausnutzen – obwohl Peking am Abkommen gar nicht beteiligt ist. Aber um die schiefe Handelsbilanz mit China auszugleichen, hat Trump ohnehin so seine eigenen Ideen: "Alle chinesischen Einfuhren mit Zöllen von 45 Prozent belegen." Generell weist die amerikanische Vorwahldiskussion klar in die Richtung: Handelsbarrieren, Mauern errichten, Protektionismus.

Ärmer durch Freihandel

Wirtschaftswissenschaftler setzen der zunehmenden Antifreihandelsrhetorik entgegen: Nicht die offenen Grenzen für ausländische Waren hätten Millionen Jobs in den USA vernichtet, sondern der technologische Fortschritt. Fünf Millionen Arbeitsplätze gingen seit Beginn des chinesischen Importbooms in den USA verloren – fast genauso viele neue Jobs sind im selben Zeitraum entstanden.

Nur: Die Löhne lagen deutlich unter dem früheren Niveau. Ein guter Teil der amerikanischen Gesellschaft wurde also durch den freien Handel nicht reicher, sondern ärmer. Und an dieser Wut und Enttäuschung, die am Freihandel festgemacht wird, kann derzeit kein amerikanischer Präsidentschaftskandidat vorbei.

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