Wie sich SPÖ und SPD in ihren Rollen neu finden

Die Sozialdemokraten müssen sich neu finden: Die SPÖ in der Opposition und die SPD vermutlich in einer Großen Koalition – kann das gelingen?

Die rote Nelke im Knopfloch war das Symbol des Widerstands, als Sozialdemokraten für ihren Aufstieg kämpfen mussten. Heute kämpfen sie wieder, allerdings gegen ihren Abstieg: In ganz Europa fahren die Genossen Wahlverluste ein. In Frankreich wurden sie einstellig, die "Parti socialiste" musste gar ihr Parteigebäude verkaufen. So weit ist man im Berliner Willy-Brandt-Haus noch nicht, ebenso wenig in der Löwelstraße in Wien. Doch den Trend beobachtet man mit Schrecken.

Obwohl sich SPÖ und SPD voneinander und ihren anderen europäischen Schwesterparteien unterscheiden, eint sie ein Problem: ihr traditionelles Kernklientel, die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, sind weg, weiß Anton Pelinka von der Central European University: "Sie werden weniger und jene die es gibt, sind anfälliger für die Parolen der Rechtspopulisten." Diese versprechen einfache Lösungen, damit tut sich die Sozialdemokratie schwer: "Sie will alles allen immer sein und ist in Gefahr, zwischen allen übrig zu bleiben", sagt Pelinka.

Was also tun? Die Neufindung steht an. Während es die österreichischen Sozialdemokraten in der Opposition tun können, muss es die SPD aus der Regierung mit CDU/CSU schaffen – sofern sie zustande kommt. Darüber entscheiden mehr als 400.000 SPD-Mitglieder, die Auszählung der Befragung wird es morgen zeigen.

Ein Erneuerungsprozess ist jedenfalls auch in der Großen Koalition möglich, ist der deutsche Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der FU Berlin überzeugt – zumal die CDU stark mit der Zeit nach Merkel beschäftigt sein wird. "Die SPD muss Regierungsarbeit machen, kann nicht gleichzeitig opponieren, darf aber nicht Angst haben Politik für die Zeit danach vorzubereiten, selbst wenn man ihr vorwirft, sie stören den Koalitionsfrieden." Mit der designierten Parteichefin Andrea Nahles, die nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden ist, und weiteren neuen Gesichtern könne dies gelingen. Für sie gibt es jedenfalls viel aufzuarbeiten: "Die SPD hat keine langfristige Programmatik entwickelt und Themen wie Innovation und Gerechtigkeit so umgesetzt, dass sie als Modernisierungspartei gelten könnte".

Einfacher für SPÖ

Etwas einfacher hat es da die SPÖ, die zudem auch keine Konkurrenz von Linke und Grünen hat. Anton Pelinka ist überzeugt, dass die Partei gestärkt aus der Opposition hervorgeht. "Das hat Kreisky geschafft, Gusenbauer auch – Kern wird es ebenfalls schaffen. In der Opposition werden ihr die Früchte zufallen, denn die Regierung steckt voller Widersprüche. Allerdings darf sich die SPÖ nicht darauf ausruhen." Sie muss sich vor allem bei den Fragen zu Globalisierung und Migration entscheiden, welche Antworten sie für wen hat. Für Pelinka ist klar: Versucht sie die FPÖ zu kopieren, um Wähler zurückzuholen, ist sie unglaubwürdig.

Besser sie setzt darauf, proeuropäisch und internationalistisch zu sein, das ist ein sozialdemokratischer Kernpunkt, so Pelinka. Damit könne sie auch auf verängstigte Arbeiter reagieren: "Da heißt es, solidarisch sein, mit einem rumänischen Arbeiter in der Steiermark, der genauso viel Kinderbeihilfe bekommen darf, weil er auch Europa nützt. Genauso wie ein Student aus Graz, wenn er etwa nach Schweden geht zum Arbeiten."

Auf die Mitte setzen

Die Sozialdemokraten sollen sich auf die Mittelschichten fokussieren, fordert der Politologe. Also auf die besser Ausgebildeten, "die in der Lage sind, die Europäisierung und Globalisierung nicht als Bedrohung zu sehen." Denn: "Wahlen werden in der Mitte gewonnen. In einer stabilen Regierung entscheidet die Mitte, die müssen sie erobern und überzeugen."

In Deutschland ist dies 1998 Gerhard Schröder gelungen. Allerdings blicken die Genossen eher beschämt auf ihn zurück. Sie hadern mit seinem Image als Putin-Freund sowie seiner Arbeitsmarkt-Reformen, die zum Abbau der Sozialleistungen führten. Dennoch glaubt Pelinka: "Den Kapitalismus werden sie nicht bekämpfen können. Sie müssen ihn vielmehr reformieren und sozial gerecht machen."

Perspektive: Mitte-Links

Politologe Gero Neugebauer ist aber überzeugt, das Schröders Politik zig Genossen vergraulte und so zum SPD-Dilemma beitrug: "Alte Werte, wie soziale Gerechtigkeit zählen nicht mehr." Er glaubt, dass sich die Partei wieder mehr ihrer Wurzeln besinnen muss und sich etwa der sozialen Frage widmet. "Die Menschen sollen sagen können: Wir vertrauen euch weiter für die Zukunft, die uns ein sicheres und gerechteres Leben garantiert." Dazu muss die SPD auch Themen wie Migration ansprechen – aber "ohne auf die Behauptungen der Rechtspopulisten mit einer übersteigerten Version zu reagieren". Verschwinden werden die Rechten jedenfalls nicht. Neugebauer glaubt, sobald sie ihre internen Spannungen überwinden, der gemäßigte Flügel stark wird, könnten sie versuchen, in den Konservativen einen Partner zu finden. Sollten aber die rechten Rechten in der AfD die Nase vorne haben, dann werden sie wohl kaum akzeptiert werden und die Union den Versuch starten, ihre konservativen Anhänger "abzuwerben", erklärt der Politikwissenschaftler. "Das Parteiensystem ist in Bewegung, es gibt mehr Polarisierung als früher". Wo da die SPD ihren Platz finden kann? Neugebauer sieht künftig Machtperspektive mit den Grünen und Linken: "Sie könnte ihr Profil zu einer Partei Mitte-Links schärfen."

Kein halbes Jahr ist seit den Wahlen in Deutschland und Österreich vergangen, schon werden die Weichen für die nächsten gestellt. Wer der SPÖ dabei helfen soll: Georg Brockmeyer, gebürtiger Freiburger, der in Wien studierte und im Wahlkampfteam von Alfred Gusenbauer arbeitete. Zuletzt managte er die Wahlkampagne der SPD-Niedersachsen, wo Ministerpräsident Stephan Weil entgegen dem Trend gewonnen hat.

Wie sich SPÖ und SPD in ihren Rollen neu finden
Georg Brockmeyer, neuer Kommunikationschef der SPÖ

Warum es der Bundespartei im Herbst nicht gelungen ist? Brockmeyer ortet viele Ursachen, etwa die späte Entscheidung für den Spitzenkandidaten(Sigmar Gabriel ließ lange offen, ob er bereit ist, zu kandidieren, Anm.) und mangelnde Vorbereitung: "Es konnte keine Einheit zwischen Partei, Programm und Person hergestellt werden." Als Mitglied hätte er sich auch mehr Mut und Klarheit bei den Themen gewünscht: "Die Sozialdemokratie will immer die Welt retten, das ist gut, aber für eine Kampagne schwierig. Da geht es darum, das Thema zuzuspitzen. Wofür steht die Partei? Das war nicht erkennbar."

Was während des Wahlkampfs noch schadete: "Es gab an der Parteispitze kein gemeinsames Wollen und Vertrauen, das unsolidarische Verhalten Einzelner war nicht hilfreich", lässt Brockmeyer wissen. Durch die neue Parteispitze könnte dies besser werden. "Andrea Nahles ist als Vorsitzenden freigespielt und kann die Eigenständigkeit der Partei repräsentieren."

Neu kommunizieren

Was für die Zukunft wichtig wird: "Die SPD muss mehr über ihre Erfolge reden, das hat sie vernachlässigt", findet der 43-Jährige. Dabei dürfe sie nicht nur auf traditionelle Medien setzen: Nicht jeder Wähler liest täglich Zeitungen oder sieht fern. Die Botschaften müssen über die Funktionäre und Mitglieder weitergetragen werden: "Bis sie uns aus den Ohren qualmen."

Auch in der SPÖ setzt er auf die Aktivierung der Basis: Mitglieder können beim Programm mitbestimmen. "Sie sind unsere wichtigsten Botschafter nach außen, ihnen müssen wir den Rücken stärken", so der Experte. Im Wahlkampf in Niedersachsen ging es auf: Abschaffung der Studiengebühren, gebührenfreier Kindergarten – all das wurde immer wiederholt. Ob die Bundes-SPD demnächst von Erfolgen berichten kann? Brockmeyer sieht im Koalitionsvertrag viel Potenzial: "Für die 20 Prozent können wir sehr zufrieden sein."

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