SPD: Widerstand gegen Trumps Politik gefordert

Merkel ist vorweg gegangen, die SPD zieht nach. Europa muss sich Trump in den Weg stellen, fordern die Genossen. Doch es gibt in der aufgeheizten Debatte nach dem G7-Jammer von Sizilien auch Stimmen, die zur Vorsicht raten. Plus: Internationale Pressestimmen.

Führende SPD-Politiker rufen zum Widerstand Europas gegen die Politik von US-Präsident Donald Trump auf. Es sei „das Gebot der Stunde, sich diesem Mann mit allem, was wir vertreten, in den Weg zu stellen“, sagte der SPD-Vorsitzende Martin Schulz am Montagabend bei einer SPD-Veranstaltung in Berlin. Europa sei der beste Schutz für die Demokratie, für die Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt.

„Wer dieser US-Politik nicht entgegentritt, macht sich mitschuldig“, sagte Außenminister Sigmar Gabriel der Rheinischen Post (Dienstag). Mit Blick auf den Trump-Kurs ergänzte er: „Wer den Klimawandel durch weniger Umweltschutz beschleunigt, wer mehr Waffen in Krisengebiete verkauft und wer religiöse Konflikte nicht politisch lösen möchte, der bringt den Frieden in Europa in Gefahr.“ Die kurzsichtige Politik der amerikanischen Regierung stehe gegen die Interessen der Europäischen Union.

Dagegen warnte FDP-Chef Christian Lindner nach dem weitgehend gescheiterten G7-Gipfel davor, den Dialog mit den USA zu vernachlässigen. „Aus Irritation darf keine dauerhafte Entfremdung werden“, sagte er am Montagabend während einer Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Berlin. „Der Dialog muss gerade dann, wenn es große Meinungsunterschiede gibt, besonders intensiv geführt werden.“

Mehr Eigenständigkeit

Zuvor war Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem G7-Gipfel in Taormina, bei dem Trump die Partner brüskiert hatte, auf Distanz zu den USA gegangen. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei“, sagte sie.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen rief die Europäer ebenfalls zu mehr Eigenständigkeit auf. „Donald Trump hat durch seine Äußerungen, seine Nichtaussagen und sein Verhalten die Grundlagen der transatlantischen Gemeinschaft in Frage gestellt“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Zugleich mahnte er: „Wir sollten nicht den Fehler machen, Trump mit den USA zu verwechseln. Er ist der gegenwärtige Präsident, aber nicht die USA.“

Schulterschluss zwischen Berlin und Paris

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann setzt auf einen Schulterschluss zwischen Berlin und Paris: „Wir müssen schnell eine gemeinsame Initiative von Deutschland und Frankreich für einen Neustart von Europa starten. Deutschland hat mit Frankreichs neuem Präsidenten Emmanuel Macron einen großen Verbündeten für ein neues Europa“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ (Dienstag).

Der Vorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, forderte in der Nordwest-Zeitung (Dienstag) eine Neuordnung der internationalen Beziehungen: „Es ist lange überfällig, eine eigenständige Politik gegenüber der Administration von Donald Trump durchzusetzen. Das G7-Format ist endgültig gescheitert.“

Der Deutsche Industrie-und Handelskammertag (DIHK) warnte vor überzogenen Reaktionen und verwies auf die engen wirtschaftlichen Verbindungen: „Die USA sind unser größter Exportkunde. Wir kaufen und verkaufen für mehr als 150 Milliarden Euro pro Jahr Produkte und Dienstleistungen im US-Geschäft“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der Neuen Osnabrücker Zeitung (Dienstag).

"Times" (London):

"Indem sie nahelegt, dass die USA kein zuverlässiger Verbündeter mehr sind, verschärft sie temporäre Differenzen und ignoriert zugleich die reale und seit langem bestehende Kritik der USA (die auch Barack Obama äußerte), dass Europa nicht genug zur Finanzierung der NATO beiträgt. Und sie erscheint außerordentlich unsensibel gegenüber Amerikas seit langem anhaltendem Eintreten für die Verteidigung Europas und der Hilfe, die es ihrem eigenen Land beim Wiederauferstehen aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs leistete.

Zudem enthalten Merkels Anmerkungen einen weiteren Fehler. Indem sie Großbritannien in Verbindung bringt mit den USA als einem Verbündeten, mit dem Europa nicht länger rechnen kann, verfehlt sie den Kontext. Großbritannien hat nicht die Absicht, die NATO zu verlassen. Tatsächlich haben Premierministerin Theresa May und ihre Minister wiederholt erklärt, dass sie sich der Verteidigung Europas umso mehr verpflichtet fühlen, während sie den Austritt aus der EU anstreben. (...) Merkels Äußerungen sorgen - selbst wenn das nicht beabsichtigt ist - für Risse in der NATO-Struktur. Der einzige Politiker, der darüber glücklich ist, wird Wladimir Putin sein.

"El Pais" (Madrid):

"Die Worte Angela Merkels nach den Gipfeln der NATO und der G-7 (...) dürfen weder als einfacher Ausdruck der Frustration bezüglich der ausgebliebenen Ergebnisse bei den Treffen in Brüssel und Taormina noch als politischer Wutanfall (...) betrachtet werden. Sie sind stattdessen eine ernsthafte Warnung vor den Rissen in den transatlantischen Beziehungen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Fundament des Fortschritts und der Sicherheit in Europa bildeten. Die deutsche Kanzlerin hat gut daran getan, Klartext zu sprechen. Es ist notwendig, sich der Realität zu stellen: Europa ist heute weit weniger wichtig als noch vor fünf Monaten."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Abgesehen vom Wahlkampf hat Merkels Satz ('Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei') aber noch einen zweiten, ernsteren Hintergrund. Es gehört zum Standardrepertoire europäischer Politik, Krisen zur Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses zu nutzen. Dieser ist mit der Finanzkrise und der Flüchtlingskrise ins Stocken geraten. Mit der Wahl des unbeliebten, isolationistischen, nie mit EU-feindlichen Sprüchen geizenden Provokateurs Trump zum amerikanischen Präsidenten sieht Europas Politikerelite nun eine neue Chance gekommen. Sie stellt Trump als Herausforderung dar, auf welche die Europäische Union entschlossen reagieren muss. Natürlich hat dies nach dem gewohnten Muster auszufallen - indem die Mitglieder ihre nationalen Differenzen überbrücken und näher zusammenrücken.(...) Ob sich die Wähler vom gekünstelten Ausspielen von transatlantischen Beziehungen gegen europäische Integration überzeugen lassen, ist aber keineswegs gewiss."

"De Telegraaf" (Amsterdam):

"Angela Merkels Äußerung, wonach es nicht mehr selbstverständlich sei, dass Europa sich auf die USA verlassen kann, sollte nicht unterschätzt werden. Man muss zwar noch ihre Wiederwahl im September abwarten, aber danach dürfte bei der Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit Vollgas gegeben werden. Was die Wiederbelebung der Achse Frankreich-Deutschland vor allem so interessant macht, ist das Abhaken der USA unter Donald Trump als wichtigem Bündnispartner und Großbritanniens als EU-Mitglied. Der abnehmende angelsächsische Einfluss treibt Kontinentaleuropa enger zusammen. Nun dürfte die Debatte über eine stärkere Zusammenarbeit bei der Verteidigung entbrennen. Das ist etwas, was Frankreich und Deutschland gern wollen, wovon sie aber stets durch die Briten abgehalten wurden. Jetzt, wo London sich (aus der EU) zurückzieht, dürfte das kein Hindernis mehr sein. Die Bedeutung der NATO, in der Trump das Zepter schwingt, wird durch mehr europäisches Zusammenwirken beschnitten. Mit der Abkoppelung von den USA und Großbritannien wird Deutschland zur Übernahme der moralischen Führung Europas gedrängt."

"Bergens Tidende" (Bergen):

"Merkel hat offenbar eigene Interessen, wenn sie düster in die Zukunft schaut. Im September tritt sie für eine vierte Amtszeit als Bundeskanzlerin an, und in der Rhetorik liegt das Verständnis, dass sie eine sichere Wahl für Deutschland und Europa in einer turbulenten Zeit ist. (...) Es herrscht die unterschwellige Forderung im NATO-Bündnis, dass auch der amerikanische Präsident gegen die russische Kriegsführung in Osteuropa ist, dass er dieselben liberalen und demokratischen Werte wie die europäischen Länder vertritt und dass er sich verpflichtet, für seine Verbündeten einzustehen. Der jetzige Präsident macht keines dieser Dinge. Deshalb hat Merkel Recht, Alarm zu schlagen."

"Nepszava" (Budapest):

"Die Kanzlerin wartete nicht bis zur Bundestagswahl im September. Die äußerst ermutigenden Umfragewerte für die CDU ließen es ihr angebracht erscheinen, das Ruder in die Hand zu nehmen. Europa ist nämlich zu schwach, um in der Weltpolitik als Rivale der USA aufzutreten. Doch wenn es gelingt, die Europäische Union in Ordnung zu bringen, und wenn auch die Eurozone wieder zu sich findet, dann wäre das gemeinsame Europa zu mehr fähig, als es heute ist."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Mit ihrer Analyse bricht Merkel noch nicht mit den USA. Aber sie fällt ein vernichtendes und schmerzhaftes Urteil: Amerika ist nicht mehr verlässlich. Dieses Urteil ist wuchtig, und es kostet einen Preis, den weder Deutsche noch Europäer kennen. Die Kanzlerin nutzt dafür gerne den Begriff Schicksal. Auch der ist bewusst gewählt."

"Die Welt" (Berlin):

"Merkel studiert den Pfauentanz der vermeintlich mächtigen Männer um sie herum in Seelenruhe, wie eine Ornithologin. Sie hat sie alle erlebt: Bush, Sarkozy, Berlusconi, Hollande, Putin. Sie röntgt deren Schwächen und lässt sie kommen. Bei Schulz hat sie auch gewartet. Der steht nun da und hat seine von ihm oft virtuos genutzte Bühne in Straßburg verloren. Er kann motzen und sentimentalisch mehr Gerechtigkeit fordern. Aber das wirkt lahm. Wer Merkel in der vergangenen Woche als inoffizielle Führerin der freien Welt studiert hat, kann sich schwer vorstellen, dass die Mehrheit der Deutschen etwas wie Wechselstimmung spürt. Anders als vor drei Landtagswahlen gedacht, tritt die SPD nicht gegen eine 'lame duck' an, sondern gegen eine Ikone des Westens.

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