Merkel: Besser Neuwahlen als Minderheitsregierung

Bundeskanzlerin Merkel nach ihrem Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier
Kanzlerin Merkel sieht nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen keinen Anlass für einen Rückzug. Die SPD scheue allfällige Neuwahlen nicht, erklärt Parteichef Schulz. Bundespräsident Steinmeier erinnerte die Parteien an ihre Verantwortung zur Regierungsbildung.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sieht nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen keinen Anlass für einen Rückzug. Falls es zu Neuwahlen kommen sollte, sei sie bereit, ihre Partei erneut in den Wahlkampf zu führen, sagte die geschäftsführende Bundeskanzlerin am Montag in einem ARD-"Brennpunkt" in Berlin. Sie sei "eine Frau, die Verantwortung hat und auch bereit ist, weiter Verantwortung zu übernehmen".
In der ZDF-Sendung "Was nun, Frau Merkel?" erklärte die Kanzlerin, sie habe nach dem Abbruch der Gespräche nicht an Rücktritt gedacht. "Nein, das stand nicht im Raum. Ich glaube, Deutschland braucht nun Stabilität."

Die Kanzlerin bekräftigte in der ARD-Sendung ihre Ablehnung einer Minderheitsregierung: "Ich glaube, dass dann Neuwahlen der bessere Weg wären", fügte sie hinzu. Zur Begründung sagte sie, dass Deutschland ein Land sei, "das so viele Aufgaben auch zu bewältigen hat". Sie wolle keine Regierung, die von der rechtspopulistischen AfD abhängig sei, sagte Merkel.

Die CDU-Chefin erläuterte in der ARD, sie sei im Wahlkampf oft gefragt worden, ob sie für eine weitere Legislaturperiode zur Verfügung stehen werde. Sie habe dies damals mit "Ja" beantwortet. Wenn sie jetzt nach zwei Monaten einen Rückzieher machen würde, wäre das dann schon sehr "komisch".
Auf die Frage, ob sie persönlich in den Gesprächen mit CSU, FDP und Grünen Fehler gemacht habe, antwortete sie: "Nein". Merkel erklärte weiter: "Ich habe das getan, was ich konnte, und wie gesagt, wir waren auch wirklich vorangekommen"

Große Koalition für Merkel nicht abgehakt

Sie ließ erkennen, dass das Thema große Koalition für sie noch nicht ganz abgehakt ist. Sie sagte, ob sie auf die SPD noch einmal zugehen werde, hänge von dem Ergebnis der geplanten Gespräche zwischen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der SPD ab. "Ich bin zu Gesprächen natürlich bereit", fügte sie hinzu. Merkel sagte, sie habe mit Steinmeier nach dem Ende der Sondierungen ein sehr gutes Gespräch geführt. Er habe jetzt das Heft des Handelns in der Hand.

CSU-Chef Horst Seehofer hat die Ankündigung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel begrüßt, die Union im Falle von Neuwahlen erneut in den Wahlkampf zu führen. Merkel habe in den vergangenen Wochen die Positionen der CSU zuverlässig unterstützt, auch in der Zuwanderungsfrage, sagte Seehofer am Montagabend der Deutschen Presse-Agentur in München. "Daher hat sie meine und unsere Unterstützung."

SPD scheut Neuwahlen nicht

Die SPD steht auch nach dem Aus der Jamaika-Sondierungsgespräche nicht für eine Regierungsbildung mit CDU und CSU zur Verfügung, sagte Parteichef Martin Schulz am Montag in Berlin. Die Wähler sollten die Lage nach dem Scheitern der Sondierungen neu bewerten können, sagte Schulz und fügte hinzu: "Wir scheuen Neuwahlen nicht."

Damit bliebe für die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nur noch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung der Union
entweder mit den Grünen oder mit der FDP. Dies aber gilt als sehr unwahrscheinlich.

Nach seinem Treffen mit Merkel erinnerte Bundespräsident Steinmeier (SPD) in einer Presseerklärung die Parteien an ihre Verantwortung zur Regierungsbildung. Diese könne nicht einfach an die Wähler zurückgegeben werden. Die Parteien dürften sich nicht vor der Verantwortung drücken, mahnte Steinmeier. "Ich erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen", sagte er. Auch in Europa wäre das Unverständnis groß, wenn die politischen Kräfte ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Der Präsident werde sich mit Parteien und anderen Verfassungsorganen austauschen.

Steinmeier sprach mit ernster Miene gewichtige Worte: "Wir stehen jetzt vor einer Situation, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, also seit immerhin fast siebzig Jahren, noch nicht gegeben hat".

Schulz werde am Mittwoch mit Steinmeier zusammentreffen, Merkel habe ihn bisher nicht kontaktiert, erklärte Schulz. Er werde auch nicht mit den Unionsparteien über die Bildung einer Großen Koalition reden.

CDU, CSU, FDP und Grüne hätten die Bundesrepublik Deutschland in eine schwierige Lage manövriert, heißt es laut der SPD-Beschlussvorlage. Diese Situation werde jetzt zwischen Verfassungsorganen und Parteien erörtert werden. Dafür gebe es genügend Zeit. Deutschland habe im Einklang mit der Verfassung eine geschäftsführende Regierung.

Zur Kandidatenfrage bei einer Allfälligen Neuwahl fügt Schulz hinzu, der SPD-Vorsitzende habe das Vorschlagsrecht. Von diesem werde er zu gegebener Zeit Gebrauch machen.

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Zuvor hatten einige SPD-Politiker auch ein neues Nachdenken über die Möglichkeit einer Großen Koalition nicht ausgeschlossen. "Alle Parteien müssen sich nun neu sortieren und überlegen, wie es weitergeht", sagte der Sprecher des rechten SPD-Parteiflügels, Johannes Kahrs, dem Düsseldorfer Handelsblatt. Er warnte vor zu schnellen Festlegungen: "In der Ruhe liegt die Kraft."

Vorsichtig äußerte sich auch der SPD-Politiker und Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels. "Sprechen muss man natürlich immer", sagte er zu Forderungen, die SPD solle sich auch Beratungen über eine Fortsetzung des Bündnisses mit der Union nicht länger verschließen.

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Die SPD hatte bei der Bundestagswahl unter ihrem Spitzenkandidaten und Parteivorsitzenden Martin Schulz mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegsgeschichte erzielt. Daraufhin hatte sie sich für den Weg in die Opposition entschieden.

Andreas Jölli (ORF): Zeichen stehen auf Neuwahl

"Acht Wochen nach der Bundestagswahl sind die Sondierungen zu einer Regierungsbildung bisher ohne Ergebnis geblieben. Wir stehen jetzt vor einer Situation, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, also seit immerhin seit 70 Jahren, noch nicht gegeben hat.

Die politischen Parteien sind nun mehr als zuvor gefordert. Die Bildung einer Regierung ist zwar immer ein schwieriger Prozess des Ringens und auch des Haderns. Aber der Auftrag zur Regierungsbildung ist auch ein hoher, vielleicht der höchste Auftrag des Wählers an die Parteien in einer Demokratie. Und dieser Auftrag bleibt.

Merkel: Besser Neuwahlen als Minderheitsregierung
German President Frank-Walter Steinmeier gives a statement after a meeting with Chancellor Angela Merkel, as coalition government talks collapsed in Berlin, Germany, November 20, 2017. REUTERS/Axel Schmidt
Die Parteien haben sich in der Wahl am 24. September um die Verantwortung für Deutschland beworben, eine Verantwortung, die man auch nach der Vorstellung des Grundgesetzes nicht einfach an die Wählerinnen und Wähler zurückgeben kann. Diese Verantwortung geht weit über die eigenen Interessen hinaus und gilt insbesondere nicht nur gegenüber den Wählern der jeweils eigenen Partei.

Das ist der Moment, in dem alle Beteiligten noch einmal innehalten und ihre Haltung überdenken sollten. Alle in den Bundestag gewählten politischen Parteien sind dem Gemeinwohl verpflichtet, sie dienen unserem Land. Ich erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen. Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.

Ich werde in den kommenden Tagen Gespräche mit den Vorsitzenden aller an den bisherigen Sondierungen beteiligten Parteien führen, aber auch Gespräche mit den Vorsitzenden von Parteien, bei denen programmatische Schnittmengen eine Regierungsbildung nicht ausschließen. Auch werde ich mich mit den Spitzen der anderen Verfassungsorgane austauschen, so mit dem Präsidenten des Bundestages und dem Präsidenten des Bundesrates. Mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts sind ebenfalls Gespräche vereinbart.

Für mich steht fest: Innerhalb, aber auch außerhalb unseres Landes und insbesondere in unserer europäischen Nachbarschaft wären Unverständnis und Sorge groß, wenn ausgerechnet im größten und wirtschaftlich stärksten Land Europas die politischen Kräfte ihrer Verantwortung nicht nachkämen."

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