Große Koalition? Ja, aber...

Olaf Scholz von der SPD hält eine Rede.
Zwei Drittel der SPD-Mitglieder haben sich für die Große Koalition entschieden, doch Jubel blieb aus.

Da gibt es einmal gute Nachrichten zu verkünden – und dann das: kühle Stimmung im Willy-Brandt-Haus. Nur die freiwilligen Helfer, die nächtens die Briefe der Mitgliederbefragung auszählten, klatschen von der Galerie aus, als sich der SPD-Schatzmeister bei ihnen bedankt. Dann verkündet er das Ergebnis: Die SPD wird in eine Große Koalition eintreten, mehr als 66 Prozent, also 239.604 Mitglieder, haben sich dafür entschieden. Das Ergebnis ist zwar nicht so eindeutig wie vor vier Jahren (76 Prozent), aber besser als erwartet. Und ein Erfolg für die SPD-Spitze, den sie – fünf Monate nach ihrer größten Wahlniederlage – hier in der Parteizentrale feiern hätte können.

Doch Olaf Scholz, interimistischer Parteichef, betritt mit ernstem Gesicht die Bühne, verzieht keine Miene: Die Zustimmung von rund zwei Drittel der Mitglieder gebe Kraft für den anstehenden Prozess der Erneuerung, referiert er in sachlich-nüchternem Ton. Und bringt damit auch zum Ausdruck, wie schwer der Weg zum Bündnis mit CDU/CSU eigentlich war.

Debatten und Chaos

Die vergangenen Monate waren geprägt von Enttäuschung, Misstrauen und Zweifel. Nur äußerst knapp stimmten die Delegierten beim Sonderparteitag im Jänner den Koalitionsverhandlungen zu. Zuvor hatte Martin Schulz mit seinen widersprüchlichen Haltungen zur Koalition das Vertrauen vieler Genossen verspielt. Als er dann den Vorsitz zurücklegte, Andrea Nahles zur SPD-Chefin vorschlug und - entgegen seiner Ankündigung, nicht in Merkels Kabinett einzutreten - nach dem Außenministerposten griff, war er nicht mehr zu halten. Kurz vor Start der Mitgliederbefragung trat er von allen Ämtern zurück. Zu dieser Zeit hatten die Gegner der Koalition bereits tausende neue Mitglieder mobilisiert, die der Partei nur beitraten, um dagegen zu stimmen.

Olaf Scholz müht sich gestern darum, den kontroversen Debatten Positives abzugewinnen: Mit der Diskussion über den Eintritt in eine neue Große Koalition sei die Partei weiter zusammengewachsen, erklärt er. Eine kühne These, finden Beobachter. Denn jene, die sich gegen die Koalition aussprachen, klagten über die wachsende Distanz zwischen Parteispitze und Basis.

Diese Kluft muss die neue Führung jetzt überwinden - und vielleicht ist ihr zurückhaltendes Verhalten bereits einer neuen Strategie geschuldet: nämlich zu zeigen, dass es im internen Ringen um die Regierungsbeteiligung keine Sieger und Verlierer gibt.

"Aufs Dach steigen"

Einer der hart gekämpft hat, ist Kevin Kühnert, Chef der Jusos. Drei Wochen tourte er durchs Land, um die Genossen von einem Ja zur Koalition abzubringen, ihnen die Angst vor Neuwahlen zu nehmen. Er kündigt gestern an: Seine Jungsozialisten werden weiter massiv auf eine grundlegende Erneuerung der Partei drängen. "Wir werden dieser Partei auch so lange aufs Dach steigen, bis wir das Gefühl haben, das passiert jetzt in einem ausreichenden Rahmen." Und: Er werde sich nicht durch ein Amt oder eine Beförderung ruhig stellen zu lassen.

Über Personalien und Ministerposten verliert Scholz am gestrigen Vormittag kein Wort. Die Frage der Reporter, ob er Finanzminister werde, ignoriert er und lässt nur wissen: Die SPD werde sich in den kommenden Tagen wie geplant Zeit für die Aufstellung ihrer Ministerliste nehmen. Darauf sollen neue und bekannte Namen stehen.

Nahles' Aufgaben

Was bereits bekannt ist: Andrea Nahles, die im April als erste Frau in der Parteigeschichte zur SPD-Vorsitzenden gewählt werden soll, wird ganz bewusst nicht in die Regierung gehen. Sie bleibt zudem Fraktionschefin und soll ein Kraftzentrum außerhalb der Regierung bilden. Dort muss sie künftig Antworten liefern und Ideen finden, was die neuen großen Aufgaben der SPD sind und wofür die Sozialdemokraten eigentlich noch stehen.

Nahles, die sonst um keinen Spruch verlegen ist, gibt sich ungewohnt demütig: "Ich habe in den letzten Tagen mit gar nichts mehr gerechnet. Ich bin froh, dass es jetzt so gekommen ist."

Erleichtert ist vermutlich auch die Kanzlerin – denn das Ja der SPD sichert auch ihre vierte Kanzlerschaft. Via Twitter gratuliert sie den Sozialdemokraten, die ihren Erfolg gestern nicht recht genießen können oder wollen.

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