Verfassungsgericht untersagt Parlamentssitzung in Katalonien

Symbolbild
Bei der Sitzung sollte wahrscheinlich die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen werden. Man werde in der Katalonien-Krise nicht nachgeben, verlautbarte die Madrider Regierung.

Das spanische Verfassungsgericht hat die für Montag geplante Sitzung des katalanischen Regionalparlaments untersagt. Erwartet wurde, dass bei der Sitzung die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen werden würde.

Die spanische Regierung wird in der Katalonien-Krise nach Worten von Wirtschaftsminister Luis de Guindos nicht nachgeben. Man werde im weiteren Verlauf zwar vorsichtig, aber bestimmt agieren, sagte de Guindos in einem Reuters-Interview am Donnerstag in Madrid. Zugleich wies er darauf hin, dass die gegenwärtige Unsicherheit Investitionen in Katalonien hemme. "Wir sehen enorme Besorgnis wegen der Unverantwortlichkeiten der katalanischen Regierung", sagte de Guindos. Einen Einfluss auf das spanische Wirtschaftswachstum habe die Krise bisher aber nicht.

"Angst wächst"

Die Unabhängigkeitsbestrebungen in der spanischen Region, lange Zeit als exotische Provinzposse abgetan, beunruhigen immer mehr. "Die Angst wächst", schrieb am Donnerstag in der Zeitung El Periodico der angesehene Kolumnist Joan Tapia. Und wachsen tut auch der Druck auf die EU und die Zentralregierung in Madrid, die weiterhin Gespräche mit den Separatisten ablehnen.

Nur vier Tage vor einer Plenarsitzung des Regionalparlaments in Barcelona, bei der am Montag die Erklärung der Abspaltung von Spanien erwartet wurde, hätte Mariano Rajoy sich sicher eine bessere Nachricht gewünscht. Kein Geringerer als Ex-Regierungschef Jose Maria Aznar (1996-2004), ein "Schwergewicht" in Rajoys konservativer Volkspartei PP, rief den Ministerpräsidenten dazu auf, das Problem endlich zu lösen - oder aber seinen Platz im Palacio de la Moncloa zu räumen und Neuwahlen auszurufen.

Wer hätte das vor kurzem gedacht, dass der Erzkonservative Aznar und die linke Partei Podemos, die zur Konfliktlösung ebenfalls neue Wahlen fordert, fast auf einer Linie schwimmen würden? Klar, Aznar fordert ein hartes Durchgreifen gegen die Separatisten, Podemos-Chef Pablo Iglesias will dagegen Dialog. Ebenso wie die Sozialisten (PSOE), die zweitstärkste Kraft im Nationalparlament. PSOE-Chef Pedro Sanchez sagte vor einigen Tagen, er werde Rajoy "dazu zwingen", mit den Katalanen eine Vereinbarung auszuhandeln.

Aznar, Iglesias, Sanchez - sie alle gehen im Namen der besorgten spanischen Volksseele auf die Barrikaden. Nach einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Forschungsinstituts CIS wuchs der Anteil der Spanier, die sich wegen Katalonien große Sorgen machen, zwischen Mitte August und Mitte September um das Dreifache auf knapp acht Prozent. Und da wussten die Befragten noch nicht, dass die katalanische Regionalregierung von Carles Puigdemont gegen Vetos des Verfassungsgerichts und Madrids tatsächlich ihr "verbindliches Referendum" über eine Unabhängigkeit durchziehen würde.

Das "Ja"-Lager gewann am Sonntag klar. Die Gegner der Unabhängigkeit blieben den Urnen aber mehrheitlich fern.

Firmen siedeln ab

Grund zur Sorge gibt es. In Madrid blickten am Donnerstag viele besorgt gen Himmel, als Kampfflugzeuge mit großen Lärm über ihre Köpfe hinwegflogen. Die Zahl der Touristen geht in Katalonien, der von Ausländern meistbesuchten Region Spaniens, seit einigen Tagen zurück. Die vom Wirtschaftsminister Luis de Guindos lange abgestrittene Firmenflucht scheint in der Region doch einzusetzen.

Vor zwei Tagen gab mit dem Biopharma-Unternehmen Oryzon eine erste größere Firma eine Verlegung des Spanien-Sitzes von Barcelona nach Madrid bekannt. Laut Medien wollte die Großbank Sabadell noch am Donnerstag über einen Umzug der Zentrale nach Alicante entscheiden.

Viele befürchten in Spanien auch, dass die Aktionen der Katalanen den Unabhängigkeitsbewegungen in Regionen wie dem Baskenland und Galicien Auftrieb verschaffen könnte. Auf die Abgeordneten der im Baskenland regierenden Nationalistenpartei PNV - die einen unabhängigen Staat anstrebt, sich aber bisher weniger radikal als ihr katalanisches Pendant präsentiert - ist Rajoys Minderheitsregierung in Madrid unter anderem zur Durchsetzung des Haushalts von 2018 angewiesen. Der baskische Regierungschef Inigo Urkullu warnte Rajoy mehrfach vor einem harten Eingreifen in Katalonien. Am Mittwoch rief er den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zur Vermittlung auf.

EU unter Druck

Es ist nicht so, dass die Ereignisse in Spanien Brüssel kaltlassen. Oettinger gehört zu denen, die denken, dass es fünf vor zwölf ist. "Die Lage ist sehr, sehr besorgniserregend. Da ist ein Bürgerkrieg vorstellbar, mitten in Europa", konstatierte der EU-Kommissar. Die EU ist unter Druck, ihr sind aber die Hände gebunden. Nach Artikel 4 des EU-Vertrages dürfen sich die EU-Institutionen nicht in innere Angelegenheiten eines Staates einmischen.

Gegen den Willen Madrids könnten sie nur dann eingreifen, wenn diese gegen EU-Recht oder die eigene Verfassung verstoßen würde. Klar verfassungswidrig war jedoch das Referendum der Katalanen und nicht der Versuch der Zentralregierung, es mit Polizeigewalt zu verhindern. "Eine Moderation durch die EU wäre nur denkbar, wenn wir gefragt werden, aber nicht ungefragt", betont Oettinger.

Der EU bleibt es so derzeit nur, zum Dialog aufzurufen und Barcelona vor einer Abspaltung zu warnen. Klar ist nämlich in Brüssel, dass Katalonien nicht ohne Einverständnis Spaniens als eigenständiger Staat anerkannt werden würde. Folglich könnte es auch nicht EU-Mitglied werden. Und selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass Madrid die Unabhängigkeitserklärung doch irgendwann anerkennen sollte, würde Katalonien ein langwieriges Beitrittsverfahren drohen.

Wie schwer es ist, sich gegen Widerstände unabhängig zu erklären, zeigt bis heute der Fall Kosovo. Die frühere serbische Teilrepublik wird bis heute von Spanien und mehreren anderen EU-Ländern nicht anerkannt - auch weil diese fürchten, die Unabhängigkeitsbestrebungen im eigenen Land zu stärken.

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