"Spanien will doch nur unser Geld"

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In Katalonien lässt das Referendum über die Unabhängigkeit Wut, Angst und Nationalismus hochkochen.

Die Plaça de Catalunya in Barcelona ist das Epizentrum der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Am nationalen Feiertag, der jährlich am 11. September gefeierten "Diada", trifft man sich am Denkmal des Ex-Präsidenten der katalanischen Republik, Francesc Macià. In den Tagen vor dem heutigen Referendum säumten Marktstände den Platz, es gab republikanische Fahnen, Plakate und die "verbotenen" Stimmzettel gegen eine Spende zu kaufen.

Als die von den Initiatoren als "Prozess" bezeichnete Absetzbewegung von Spanien im Jahr 2010 mit bunten Aufmärschen begann, mündeten diese auf dem Platz im Zentrum. Er war auch in den folgenden Jahren Schauplatz flammender Appelle und dröhnender Sprechchöre für die "Independència": das Verlangen nach Unabhängigkeit war in Dezibel messbar.

Nach dem Attentat auf den Ramblas, die wenige Meter entfernt beginnen und Richtung Hafen führen, wurde an diesem Ort eine Trauerkundgebung für die 15 Todesopfer angesetzt. Was als Gedenkstunde geplant war, wurde für König Felipe und Ministerpräsident Rajoy zum Spießrutenlauf. Empört reagierten viele Zaungäste auf die Anwesenheit der höchsten Vertreter des spanischen Staates: Statt der Schweigeminute gab es ein Pfeifkonzert.

Die Stimmung hat sich seither noch verschärft: Eine Razzia der spanischen Guardia Civil sorgte in der Vorwoche für Kundgebungen. Auf der Suche nach Unterlagen, die die Finanzierung von Stimmzetteln für das vom Verfassungsgericht für illegal erklärte Referendum belegen sollten, wurden Büros durchsucht und 14 Beamte der katalanischen Regionalregierung festgenommen. Am Samstag stürmte eine Enheit der Guardia Civil dann das katalanische Kommunikations- und Technologiezentrum und legte die Software zur Auszählung der Stimmen lahm.

"Spanien will doch nur unser Geld"
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"Fehlen von Dialog"

Ganz in der Nähe der Plaça de Catalunya kümmert sich die 25-jährige Svetlana um Touristen. Sie interessierte sich schon während ihres Studiums in Belgrad für die Europa-Politik. Sie wollte in Spanien studieren, es reizte sie, den "Prozess" der Loslösung von Spanien mitzuerleben.

Spanisch hatte sie in der Heimat erlernt, mit Hilfe der Telenovelas. Als Svetlana in Barcelona landete, musste sie feststellen, dass hier zwei Sprachen verwendet werden. Also musste sie noch das Katalanisch erlernen, das nach der Unterdrückung durch die Franco-Diktatur heute den Alltag dominiert.

Zwei Jahre später wechselt die Serbin, die sich inzwischen für das Referendum engagiert, als Auskunftsperson für Gäste mühelos zwischen Katalanisch, Spanisch und Englisch. Ob die Katalanen durch Spanien unterdrückt werden? "Für mich ist das Fehlen von Dialog eine Form der Unterdrückung. Ich habe beobachtet", sagt Svetlana, "dass sich die Katalanen von der spanischen Regierung erniedrigt fühlen."

"Spanien will doch nur unser Geld", schimpft Viçens Plancher. Mit seiner Frau ist der Pensionist aus Hospitalet ins Zentrum gekommen, um an einer Kundgebung teilzunehmen. "Es geht ihnen nicht um die Einheit Spaniens oder patriotische Gefühle." Ehefrau Joana, die eine Flagge über den Schultern trägt, nickt. "Sie kassieren unsere Steuern und geben uns nur einen Bruchteil zurück."

Tatsächlich versucht Spaniens Finanzminister Motoro über den Finanzausgleich, die Regionalregierung zu disziplinieren. Er ordnete eine wöchentliche Prüfung der Ausgaben an, um mögliche Geldflüsse für das Referendum aufzuspüren. Auch die an Katalonien "transferierte" Auszahlung der Beamtengehälter wurde von der Zentralregierung wieder direkt übernommen.

Jesus Alonso ist 51, Finanzbeamter und – wie viele Menschen in Katalonien – aus einem anderen Teil Spaniens zugewandert. Er sieht hinter dem "Prozess" den Versuch der Mitte-links-Regierung unter Ministerpräsident Carles Puigdemont, von Problemen abzulenken. "Sie inszenieren den Aufstand und wünschen sich eine Eskalation, um keine Rechenschaft zu Korruptionsfällen und Defizit geben zu müssen."

Tatsächlich zeichnet der "Vater" der katalanischen Autonomie, Jordi Pujol, für einen der größten Korruptionsskandale Spaniens verantwortlich. 23 Jahre regierte der 87-Jährige das Land und die Steuerfahnder haben bisher 69 Millionen Euro Schwarzgeld in Andorra sichergestellt. Viel ist in diesen Tagen rund um die Plaça de Catalunya von Patriotismus die Rede. Der Innenhof der Universität wurde besetzt, Studenten im Vorlesungsstreik singen Lieder und kochen Paellas. Der republikanische Abgeordnete Joan Tardà hat ihnen einen Besuch abgestattet. Er ruft ihnen zu: "Ihr müsst euch mobilisieren, für die Unabhängigkeit kämpfen, alles andere wäre ein Verbrechen gegen euer Land!"

Studentin Svetlana hat sich entschieden: Nicht für die spanische Regierung, die auf die Verfassung pocht, in der das Referendum zur Loslösung von Spanien nicht vorgesehen ist. Sondern für die Regionalregierung, die "einfach so" Spaniens Grundgesetz missachtet und ihr eigenes beschließen will. "Wenn ich zwischen Legalität und Legitimität wählen muss", sagt die Serbin, "dann bin ich gefühlsmäßig für den legitimen Wunsch eines Volkes, seinen Weg selbst zu bestimmen."

Kataloniens Unabhängigkeitsbestrebungen können auf ein historisches Fundament verweisen, welches weit in die Vergangenheit zurück reicht. Eine von Spanien über weite Strecken unabhängige Geschichte zeichnet die Region aus. Nach dem Ende der Franco-Diktatur erhielt die Region 1978 ein Autonomiestatut, das seither mehrfach reformiert wurde.

Die Weichen zur Eigenständigkeit wurden bereits zu Zeiten der Völkerwanderung gestellt. Als das spanische Westgotenreich im achten Jahrhundert den islamisch-maurischen Eroberern erlag, erwies sich die westgotische Kultur am Südhang der Pyrenäen am beständigsten. Bis ins elfte Jahrhundert blieb dort westgotisches Recht in Gebrauch. Ende des 8. Jahrhunderts schloss sich nach der kurzzeitigen Eroberung durch die Mauren im nördlichen Teil des heutigen Kataloniens die zum Frankenreich gehörende Spanische Mark zusammen. Die Abhängigkeit von den Westfranken konnte Ende des 10. Jahrhundert überwunden werden, die katalanischen Grafschaften sagten sich von deren Herrschaft los. Im Mittelalter entwickelte sich das Prinzipat Katalonien als Teil der Krone von Aragonien zur führenden Macht des westlichen Mittelmeerraums.

Jahrhunderte unter spanischer Krone folgten, wobei Katalonien immer weitgehende Selbstständigkeit genoss. Im Rahmen des Spanischen Erbfolgekrieges (1700–1713) schlug sich Katalonien auf Seite der Habsburger. Als die Bourbonen – sie sind bis heute Spaniens Könige – siegten, wurde der Region die Selbstverwaltung genommen.

Bürgerkrieg

Als in Spanien 1931 die Republik ausgerufen wurde, bekam Katalonien wieder eine provisorische Autonomie samt einer Selbstverwaltung, der "Generalitat". In den Jahren des spanischen Bürgerkriegs war Katalonien Hochburg der linken Republik, die von Sozialisten aus ganz Europa unterstützt wurde. Nach deren Niederlage rief General Francisco Franco eine faschistische Diktatur aus und hob die Autonomierechte auf. Es folgten Jahrzehnte der brutalen Unterdrückung der katalanischen Kultur und Sprache.

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