Merkel-Spähaffäre: Snowden will in Deutschland aussagen

Merkel-Spähaffäre: Snowden will in Deutschland aussagen
Berlin hofft, dass der Whistleblower mit der Regierung spricht - wie er von Russland nach Deutschland kommt, wird eine diplomatische Gratwanderung. John Kerry übt sich indes in Selbstkritik.

Edward Snowden deckte die Machenschaften der NSA auf - und bleibt im Fokus der Weltöffentlichkeit: Der frühere US-Geheimdienstexperte will in der US-Spähaffäre um die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Aussagen machen - und dafür unter Umständen auch nach Berlin reisen. Eine zweite Variante: Vertreter der deutschen Bundesanwaltschaft könnten entweder schriftlich Fragen stellen oder den 30-Jährigen auch persönlich in Russland treffen. Deutschland hofft darauf, dass der Whistleblower bei einem U-Ausschuss in der deutschen Hauptstadt aussagen könnte.

Der Grund für diese Hoffnung: Der deutsche Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hat am Donnerstag als erster deutscher Politiker Snowden in Moskau getroffen, um mit ihm über die NSA-Affäre zu sprechen. Laut Ströbele habe der Whistleblower prinzipielles Interesse, Deutschland bei der Aufklärung der NSA-Affäre zu helfen. Snowden habe Ströbele auch einen Brief an die Bundesregierung übergeben (siehe unten). Darin schreibt er: "Ich freue mich auf ein Gespräch mit Ihnen in Ihrem Land, sobald die Situation geklärt ist, und danke Ihnen für Ihre Bemühungen, das internationale Recht zu wahren, das uns alle beschützt."

Ausreise oder nicht?

Ströbele: "Snowden ist gesund und munter, machte einen guten Eindruck. Er hat klar zu erkennen gegeben, dass er sehr viel weiß." Snowden habe "eine Mission, einen Mitteilungsdrang. Er will rechtmäßige Zustände wieder herstellen." Das dreistündige Treffen des Grünen-Politikers mit dem sogenannten Whistleblower fand am Nachmittag unter größter Geheimhaltung statt.

Merkel-Spähaffäre: Snowden will in Deutschland aussagen
German Greens lawmaker Hans-Christian Stroebele poses for a picture with fugitive former U.S. spy agency contractor Edward Snowden (L) in an undisclosed location in Moscow, October 31, 2013. Stroebele met Snowden in Moscow on Thursday, Stroebele's office said in a statement, and would give details of the meeting on Friday. Snowden passed on an envelope with a letter addressed to the German government, Germany's lower house of parliament, the Bundestag, and to the Federal Public Prosecutor (Generalbundesanwalt). The letter is to be disclosed during a news conference on Friday in Berlin. REUTERS/Handout (RUSSIA - Tags: POLITICS TPX IMAGES OF THE DAY) ATTENTION EDITORS – THIS IMAGE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. NO SALES. NO ARCHIVES. FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. THIS PICTURE IS DISTRIBUTED EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS
Snowden will laut Ströbele möglichst nicht vor deutschen Vertretern auf russischem Boden aussagen. "Da hat er bisher erhebliche Vorbehalte, die ich nicht näher erklären darf oder will", sagte Ströbele, der Snowden am Donnerstag überraschend in Russland getroffen hatte, am Freitag in Berlin. Ob Snowden sein Asyl in Moskau verlassen kann, ist allerdings unsicher. "Eine Ausreise Snowdens aus Russland ist praktisch ausgeschlossen. In diesem Fall verliert er seinen Flüchtlingsstatus", zitierte die Agentur ihre Quelle. Weil Deutschland Verbündeter der USA sei, drohe Snowden dort die Auslieferung, hieß es weiter.

Ströbele, der Held der Überwachten

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Stroebele of German Green party makes point during
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German green party member Stroebele cycles past a
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Ströbele im Rettungsboot
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RUSSIA GERMANY SNOWDEN STROEBELE MEETING

Kerrys Kniefall: "Wir gehen manchmal zu weit"

US-AußenministerJohn Kerryhat währenddessen einen eingestanden, dass die amerikanischen Überwachungsaktivitäten manchmal zu weit gegangen sind: Kerry sagte am Donnerstag per Videozuschaltung bei einer Konferenz in London, gewisse Praktiken seien automatisch gelaufen und hohe Beamte der US-Regierung hätten nichts davon gewusst. "Der Präsident und ich haben von einigen Dingen erfahren, die in vielerlei Hinsicht per Autopilot geschehen sind, weil die Technologie und Fähigkeit da sind", sagte Kerry laut einer vom US-Außenministerium verbreiteten Mitschrift.

Kerry versprach, dass die Überwachungspraxis gründlich überprüft werde und einige Aktivitäten ganz eingestellt würden. "In einigen Fällen sind diese Aktionen zu weit gegangen und wir sind dabei zu versuchen sicherzustellen, dass es künftig nicht mehr passiert." Das Vertrauen müsse wiederhergestellt werden, meinte der US-Chefdiplomat. In einigen Fällen sei versucht worden, Informationen auf unangebrachte Weise zu sammeln. "Der Präsident unternehme jetzt eine gründliche Überprüfung, damit niemand das Gefühl von Missbrauch haben wird."

Zugleich betonte Kerry aber, dass es bei den Berichten über den Geheimdienst NSA eine riesige Menge an Übertreibung und falschen Berichten über das Ausmaß der Überwachungsprogramme gegeben habe. Ferner rechtfertigte er die Geheimdienstarbeit als Notwendigkeit zur Terrorismusbekämpfung. "Wir haben tatsächlich verhindert, dass Flugzeuge runterkommen, Gebäude in die Luft gesprengt und Menschen ermordet werden, weil wir in der Lage waren, frühzeitig über die Pläne Bescheid zu wissen", sagte er.

Geheimdienste sollen reformiert werden

Der Geheimdienstausschuss im US-Senat setzte unterdessen am Donnerstag einen ersten Schritt zu einer begrenzten Geheimdienstreform. Das Gremium votierte mit elf zu vier Stimmen für einen Gesetzentwurf, der den Geheimdienst NSA zu etwas mehr Transparenz verpflichten soll. So müsste er etwa einen jährlichen Bericht über Ermittlungen vorlegen, die sich auf NSA-Daten stützen.

Der Gesetzentwurf ist die erste Reaktion des Senats auf die Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden über die massiven Spähaktivitäten der NSA im In- und Ausland. Kritiker sehen darin nur ein Feigenblatt, mit dem die eklatanten Eingriffe des Geheimdiensts in die Privatsphäre von Millionen Bürgern nicht korrigiert würden.

Auch in den USA ist die Aufregung weiterhin groß. Fix ist: Der Zugriff auf Telefondaten soll erschwert werden, wie der KURIER berichtete. Führende US-Technologieunternehmen fordern laut Washington Post angesichts immer neuer Berichte über das Ausmaß der NSA-Überwachung, dem Geheimdienst straffere Zügel anzulegen. Wie das Blatt am Freitag online schrieb, hätten sich Facebook, Google, Apple, Yahoo, Microsoft und AOL in einem Brief an US-Senatoren gewandt.

Die Überwachungspraxis der Regierung müsse reformiert werden. Es solle mehr Schutz der Privatsphäre sowie eine angemessene Kontrolle und Mechanismen für die Überprüfung solcher Programme geben, heiße es darin. Die NSA hat laut Washington Post wohl massenhaft Daten von Google und Yahoo abgeschöpft.

"Derzeit keine elektronischen Überwachungsmaßnahmen"

Indes versucht Barack Obama die Wogen zu glätten: Der US-Präsident hat offenbar den Geheimdienst NSA angewiesen, die Hauptquartiere von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) nicht mehr auszuspähen. Die USA hätten derzeit keine elekronischen Überwachungsmaßnahmen in den Zentralen beider Organisationen in Washington laufen, sagte ein mit der Angelegenheit vertrauter ranghoher US-Regierungsvertreter am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.

Er machte ausdrücklich keine Angaben darüber, ob die Geheimdienste in der Vergangenheit Weltbank und IWF ausspioniert hätten. Mit einer ähnlichen Sprachregelung hatte die US-Regierung jüngst auf Vorwürfe reagiert, wonach auch das Mobiltelefon der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ausspioniert worden sei.

Ihre Geduld ist zu Ende. Sauer über die Ausspähaktion des US-Geheimdienstes NSA verschob die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff einen für vorige Woche geplanten Staatsbesuch in Washington. Selbst ein persönliches Telefongespräch mit Obama half da nichts.

Rousseff stand wie auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Mexikos Ex-Präsident Felipe Calderon offenbar persönlich auf der NSA-Liste auszuspionierender Top-Politiker. Nicht nur zwischen Washington und Brasilia hängt der Haussegen wegen der Schnüffeleien schief.

Rousseff sparte vor der UNO-Vollversammlung im September nicht mit klaren Worten. Die Ausspähaktionen der USA seien ein inakzeptabler Verstoß gegen die Bürgerrechte und eine Verletzung der nationalen Souveränität, die nicht mit einem Krieg gegen den Terrorismus gerechtfertigt werden könnten. "Ohne Achtung der Souveränität gibt es keine Basis für Beziehungen zwischen Nationen", sagte die 65-Jährige, deren Telefonate und E-Mails die NSA ausspioniert haben soll.

US-Botschafter Thomas Shannon wurde ins Außenministerium zitiert und es ergingen offizielle Protestnoten an die US-Regierung mit der Forderung nach Entschuldigung und Erklärung. Doch der lange für den 23. Oktober geplante Staatsbesuch - auf der diplomatischen Rangliste immerhin das höchste Reiseformat - fiel ins Wasser. Die offiziellen Gründe: Keine zeitnahe Untersuchung der Vorwürfe, keine ausreichenden Erklärungen der USA und keine Zusage, die Abhöraktivitäten einzustellen. Klarer kann man seine Verstimmung nicht zum Ausdruck bringen.

Rousseff dringt bei der UNO auf eine internationale Regelung zum Schutz der Privatsphäre im Internet. "Das ist der Moment, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass der Cyberspace nicht durch Spionage, Sabotage und Attacken auf Systeme und Infrastruktur anderer Länder als Kriegswaffe instrumentalisiert wird", warnte Rousseff. Die Vereinten Nationen sollten dabei eine Führungsrolle übernehmen. Die gemeinsam mit Deutschland erarbeitete UNO-Resolution gegen das Ausspähen elektronischer Kommunikation ist da folgerichtig.

Die NSA-Praktiken machen aus Sicht der Präsidentin eine Debatte über einen effizienten Schutz der Internetdaten und die Schaffung eines entsprechenden multilateralen Regelwerkes notwendig, damit der "Kampf gegen den Terrorismus" nicht als "Alibi für den Cyberkrieg" genutzt werde.

Doch nicht nur Rousseff sowie einige ihrer Berater und Diplomaten sollen ausspioniert worden sein. Auch das Bergbau- und Energieministerium in Brasília stand offenbar auf der Liste und der Name des staatlich kontrollierten Ölkonzerns Petrobras tauchte in NSA-Unterlagen auf. "Von unserer Seite werden wir alles tun, um unsere Regierung und unsere Unternehmen zu schützen", versicherte Rousseff und schickte das nationale Datenverarbeitungszentrum Serpo mit entsprechenden Direktiven ans Werk.

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