Shimon Peres, der unverbesserliche Optimist

Shimon Peres, der Träumer von einer neuen Wirklichkeit im Nahen Osten, verstarb im 94. Lebensjahr.

Shimon Peres starb mit 93 Jahren. 75 davon lebte der gebürtige Pole in der Politik Israels. Noch bevor es diesen Staat überhaupt gab. Kein anderer Politiker hat Zeit seines Lebens so entscheidend am Aufbau Israels mitgewirkt wie er. Und doch: Als Kandidat (für welches Amt auch immer) verlor er fast jede Wahl. Auch wenn er drei Mal Premier werden konnte.

Bei den Wählern war er die meiste Zeit seiner langen Karriere verpönt, wenn nicht sogar verhasst. Doch ihn verachten, ihm den Respekt verweigern, konnte niemand. Zu auffällig war sein Anteil am Aufbau Israels. Keine Region, kein Wirtschaftsbereich, kein Industriesektor, keine Wissenschaftssparte, in denen der Mann ohne Matura und Führerschein nicht Impulse setzte. Sehr oft sogar den Grundstein legte.

Staatsgründer David Ben Gurion erkannte in ihm die Ausnahme-Persönlichkeit noch vor Gründung des neuen Staates. So kam Peres gerade dort zum Einsatz, wo es galt, Neues zu schaffen. "Wo nichts ist, ist alles offen", sagte er noch kurz vor seinem Tod. Er liebte und sammelte Kalendersprüche.

Ausnahmeerscheinung

1941 rief ihn die zionistische Untergrundbewegung Hagana zum Kampf gegen die herrschenden Briten und gegen arabische Milizen. Alle drängten an die Front, Peres wurde in die wichtigste Logistik-Abteilung versetzt: zur illegalen Beschaffung von Waffen. Der "Drückeberger" blieb noch lange an ihm haften.

Ben Gurion sah die außerordentlichen Erfolge seiner Arbeit. Er schickte ihn nach New York. Zur intensiveren Waffenbeschaffung und zum Studium. Holte ihn aber schon bald in seinen engsten Beraterkreis zurück.

Mit 30 Jahren schon Staatssekretär

Mit 30 Jahren war Peres Staatssekretär im Ministerium für Verteidigung. Wo er abgeschirmt von Israels offizieller Diplomatie an einem strategischen Bündnis mit Frankreich webte. Paris rüstete das junge Israel auf. Gegen den Willen Washingtons. Peres schuf ein Netzwerk, das Israels Armee modernisierte und 1956 Frankreich, Großbritannien und Israel gemeinsam in den Suez-Krieg gegen Ägypten führte. Ein militärischer Sieg, der zum politischen Debakel wurde. Auf Druck der USA mussten die Eroberer des Suez-Kanals schon bald wieder abziehen.

Das Netzwerk hielt dem Druck stand. Mit seiner Hilfe entwickelte Peres auch noch die ersten Grundlagen israelischer Nuklearforschung. Der Kernreaktor in Dimona entstand mit französischer Hilfe. Offiziell war er nur als "Textilfabrik" bekannt.

Offiziell wird bis heute auch nicht die Herstellung von Atomwaffen bestätigt. Aber auch nicht dementiert. "Israel wird niemals als Erster in Nahost Atomwaffen zum Einsatz bringen", so Israels Standard-Mantra. Klingt sehr nach Peres.

Das Mantra ist unverändert. Doch als die persischen Mullahs offen die Vernichtung Israels zu ihrem Ziel erklärten und eine iranische Atombombe aus der Theorie der Praxis immer näher rückte, erwog Premier Benjamin Netanyahu laut einen Vorbeugeschlag. Präsident Peres warnte öffentlich davor.

Krieg und Frieden

Als Staatsoberhaupt durfte er sich nicht in die aktuelle Politik einmischen. Für Peres gehörte aber die Frage nach "Krieg oder Frieden" nicht zur aktuellen Politik, sondern zur existenziellen. Der Erbauer des Reaktors warnte vor einem Atomkrieg.

Der Mann ständiger und selbst ausgelöster Veränderung hatte tief im Inneren seinen steten Kern. Um ihn drehten sich die Verschiebungen der Umwelt wie im eigenen Leben. Oft drehten sie sich widersprüchlich. Doch ging es immer darum, Israels Existenz zu sichern.

Nicht Peres hatte sich verändert, sondern Israel. Der zerbrechliche Jungstaat konnte sich militärisch absichern. Der Sieg im Sechs-Tage-Krieg gegen Ägypten, Jordanien und Syrien 1967 hatte dies bewiesen. Aus Aufbau wurde Entwicklung. Auch Israels erste Siedlungen entstanden in den 1970er-Jahren infolge von Privatinitiativen.

Späte Reue

"Ich bereue auch einiges", sagte er 2007, "wie zum Beispiel die Errichtung von israelischen Siedlungen in den Gebieten, an denen leider auch ich beteiligt war." Er verhinderte nicht den Bau der ersten 21 Siedlungen. "Dann wurden es einfach zu viele."

Als 1973 Israel im Jom-Kippur-Krieg überrascht und einige Wochen von mehreren arabischen Staaten hart bedrängt wurde, war Peres nicht am militärischen Entscheidungsprozess beteiligt. Der Krieg, der viele Politiker-Karrieren beendete, wurde für ihn zum politischen Sprungbrett.

Dabei nahmen ihn die Wähler als Karrieristen wahr. Als "Politiker", der angesehene Ex-Militärs auf dem politischen Parkett ausrutschen ließ. Wie auch seinen langjährigen Rivalen Jitzhak Rabin. Der nannte ihn einen "unermüdlichen Intriganten". Erst spät, während der Friedensverhandlungen mit Palästinenserführer Jassir Arafat in Oslo, wurden Rabin und Peres zu einem Team. Als Strategen, die den Nahen Osten veränderten. Die beiden Männer wollten die Welt verändern. Fortschritt und Veränderung waren für Peres Teil der Sicherheitspolitik. Garanten der Existenz Israels. Darum wollte er sie auch für die arabischen Nachbarn. Rabins Ermordung zwei Jahre später, Anfang November 1995, beendete den Oslo-Prozess.

Nähe zu Bruno Kreisky

In einem seiner letzten Interviews vermisste Peres vor allem zwei ausländische Politiker, mit denen er gearbeitet hatte: neben Ex-US-Außenminister Henry Kissinger auch den österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky. Beide standen der israelischen Politik ausgesprochen kritisch gegenüber.

Für Peres war Streit der Weg zu sachlichem Handeln. Kurz vor seinem Tod zitierte er noch Kreisky, der ihm seine Ambivalenz erklärte: "Wie könnte ich euch anders helfen? Das geht nur, wenn ich euch angreife." Peres verstand ihn: "Er war es letztlich, der den jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa half, der uns mit Ägypten zusammenbrachte."

In den letzten Jahren sah Peres aber den Zusammenbruch weiter Teile der arabischen Welt. Auch die neuen Bündnismöglichkeiten mit alten Feindstaaten im Nahen Osten. Ohne jede klammheimliche Freude. Unfrieden in der arabischen Welt war für ihn nicht die Grundlage für Israels Frieden. Er wollte nicht Israels Bündnispolitik verändern, sondern den Nahen Osten. Eine schier unmögliche Mission. "Sisyphos" wurde er immer wieder genannt. Bei Albert Camus war der moderne Sisyphos "der Hoffnung auf ein gelobtes Land beraubt". Bei Peres war genau diese Hoffnung der Antrieb.

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