Srebrenica: Serbiens Premier von Gedenkfeier vertrieben

Aleksandar Vucic musste unter Regenschirm Schutz suchen.
Geste der Versöhnung endete mit einem Eklat. Serbiens Regierungschef Vucic von Steinewerfern am Kopf getroffen.

Was als Geste der Versöhnung gedacht war, endete mit einem Eklat: Aufgebrachte Demonstranten haben den serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vucic am Samstag beim Gedenken zum 20. Jahrestag des Massakers von Srebrenica angegriffen und ihn vertrieben. Außenminister Ivica Dacic sprach von einem "Angriff auf Serbien".

Hintergrund: Gedenken an die Opfer von Srebrenica

Srebrenica: Serbiens Premier von Gedenkfeier vertrieben
Bodyguards use umbrella to protect Serbia's Prime Minister Aleksandar Vucic during unrest at a ceremony marking the 20th anniversary of the Srebrenica massacre in Potocari, near Srebenica, Bosnia and Herzegovina July 11, 2015. Serbian Prime Minister Aleksandar Vucic was chased out of a ceremony marking the 20th anniversary of the Srebrenica massacre on Saturday by a crowd throwing stones and bottles. It was not clear whether Vucic had left the site altogether, but his delegation was seen running for their cars on a hill above the cemetery. REUTERS/Antonio Bronic
Vucic legte gerade ein Blumengebinde am Mahnmal nieder, als Demonstranten unter "Allahu Akbar"-Rufen begannen, Steine nach ihm zu werfen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Tanjug traf ein Stein den serbischen Regierungschef am Kopf, seine Brille zersplitterte. Abgeschirmt von seinen Leibwächtern musste er vom Gedenkort fliehen. Die Organisatoren der Gedenkveranstaltung riefen die Demonstranten über Lautsprecher zur Ruhe auf. Ein muslimischer Geistlicher sprach ein Gebet, und die Gäste konzentrierten sich wieder auf die Gedenkfeier.

Schon bei seiner Ankunft in Srebrenica war der serbische Regierungschef von Demonstranten ausgebuht worden. Er setzte seinen Besuch jedoch zunächst fort, trug sich in das Kondolenzbuch ein und unterhielt sich mit einigen Opfer-Müttern. Eine der Frauen umarmte ihn lange.

Angriff auf "ganz Serbien"

Srebrenica: Serbiens Premier von Gedenkfeier vertrieben
epa04842023 Serbian Prime Minister Aleksandar Vucic at the Potocari Memorial Center in Srebrenica, Bosnia and Herzegovina, 11 July 2015, as 136 newly-identified Bosnian Muslims are buried as part of a memorial ceremony to mark the anniversary of the Srebrenica massacre. July 2015 marks the 20-year anniversary of the Srebrenica Massacre that saw more than 8,000 Bosnians men and boys killed by Bosnian Serb forces during the Bosnian war. EPA/VALDRIN XHEMAJ
In einer ersten Reaktion auf den Zwischenfall erklärte der serbische Außenminister Dacic, nicht nur Vucic sei angegriffen worden, "sondern ganz Serbien und seine Politik des Friedens und der regionalen Zusammenarbeit". In serbischen Medien war sogar von einem Attentat die Rede.

An der Gedenkzeremonie in der bosnischen Kleinstadt für die dort vor 20 Jahren von bosnisch-serbischen Soldaten ermordeten tausenden muslimischen Jungen und Männer nahmen zehntausende Menschen teil, darunter auch zahlreiche Politiker aus dem Ausland wie der damalige US-Präsident Bill Clinton.

8.000 Opfer

Das Massaker von Srebrenica im Jahr 1995 war das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg und wurde vom UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag als Völkermord eingestuft. Kurz vor dem Ende des Bosnienkriegs waren damals bosnisch-serbische Milizen in die damalige UN-Schutzzone einmarschiert und hatten an den leichtbewaffneten niederländischen UN-Blauhelmsoldaten vorbei rund 8.000 muslimische Burschen und Männer verschleppt und getötet.

Srebrenica: Serbiens Premier von Gedenkfeier vertrieben
An elderly woman is comforted as she cries at an open grave in Memorial Center Potocari, near Srebenica, Bosnia and Herzegovina July 11, 2015. The bodies of the 136 recently identified victims of Srebrenica massacre will be transported to the memorial centre in Potocari where they will be buried on July 11, the anniversary of the massacre when Bosnian Serb forces slaughtered 8,000 Muslim men and boys and buried them in mass graves in Europe's worst massacre since World War Two. REUTERS/Dado Ruvic
Mehr als 6200 der Opfer sind inzwischen in der Srebrenica-Gedenkstätte bestattet, am Samstag sollen dort 136 weitere, erst kürzlich identifizierte Opfer beigesetzt werden.

Vucic wollte als Geste der Aussöhnung an der Feier teilnehmen. Kurz vor seiner Teilnahme bezeichnete der serbische Regierungschef das Massaker als "monströses Verbrechen". "Serbien verurteilt dieses furchtbare Verbrechen klar und unzweideutig, es ist angewidert von allen, die sich daran beteiligten und wird sie weiter vor Gericht bringen", schrieb er in einem offenen Brief.

Es sei seine "Pflicht, sich vor den Opfern zu verneigen". Die serbische Regierung wünsche sich, mit den Bosniern gemeinsam zu leben und das Vertrauen wiederherzustellen.

Serbien will nicht von "Genozid" sprechen

Vucic ist ein früherer serbischer Nationalist, der sich zum überzeugten Europäer gewandelt hat. Das Massaker von Srebrenica hat er wiederholt verurteilt, es jedoch stets als Tat einzelner Verbrecher eingestuft. Auch in seinem offenen Brief vermied er den Begriff "Genozid".

In den vergangenen Jahren nahmen serbische Spitzenpolitiker wiederholt an Gedenkfeiern in Srebrenica teil, die Bezeichnung des Verbrechens als "Völkermord" lehnt Belgrad aber ab. Erst am Mittwoch hatte Russland als Verbündeter Belgrads eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zu dem Massaker abgelehnt, weil darin von "Völkermord" die Rede war.

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