Ausgezeichnete Noten für Kurz' Auftritt bei "Anne Will"

Ausgezeichnete Noten für Kurz' Auftritt bei "Anne Will"
Der wahre "Schuljunge" sei der deutsche Justizminister gewesen, schreiben deutsche Medien. Der Außenminister war manchen Angriffen ausgesetzt, blieb aber ruhig.

"Ist Europa noch zu retten?" fragte Anne Will ihre Gäste am Sonntagabend vor dem EU-Sondergipfel. Wäre die Lösung dort eine Schließung der Grenzen, "dann hätte Deutschland mit seiner Haltung verloren und Österreich hätte, wenn man so will, alles richtig gemacht." Die ARD-Moderatorin rief also gleich zu Beginn eine Art Duell zwischen den beiden Nachbarländern aus. Eine Woche zuvor war die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gast bei "Anne Will" gewesen und kritisierte Österreich für Alleingänge in der Flüchtlingsfrage. Nun saß jener Politiker auf dem Sofa, der maßgeblich an der österreichischen Linie beteiligt ist: Sebastian Kurz. Deutsche Medien waren schon vorher auf den 29-Jährigen aufmerksam geworden, der Boulevard sprach gar vom "Bubi-Minister" (Express), der Merkel alt aussehen lasse. Nach seinem Auftritt in der Talkshow bekam Kurz auffallend gute Noten. Tenor: Er habe im Match mit dem deutschen Justizminister Heiko Maas (SPD) klar gewonnen.

Kurz brachte "Futter in die Debatte"

Die Welt sah eine "äußerst flotte, zum Teil scharf geführte Talksendung". Das Beisein internationaler Talkgäste habe der Diskussion gut getan, damit war neben Kurz der slowakische EU-Skeptiker Richard Sulík gemeint. "Vor allem ÖVP-Mann Kurz scheint wenig darum zu geben, mit Diskretion die vorab geplanten Verabredungen für den Gipfel nicht zu gefährden". Diese Vorwegnahme einer Schließung der Balkanroute nahm die Welt Kurz aber nicht weiter krumm, immerhin bringe das "Futter in die Debatte". "Es dürfte interessant werden, wie Merkel solch ein Ergebnis darstellen wird, wenn es denn tatsächlich so kommen sollte", heißt es weiter. Kurz habe offenbar einen "Nerv getroffen" - auch mit seinem Vorwurf an Deutschland, mit seiner Flüchtlingspolitik nur jenen Flüchtlingen zu helfen, die es mithilfe teurer Schlepper nach Mitteleuropa schaffen. "Viel starker Tobak, an dem sich die deutschen Talkgäste recht bemüht abzuarbeiten versuchten", resümiert der Welt-Redakteur.

Spiegel Online betrachtet die Runde als gut gemischtes Quintett - neben Kurz, Maas und Sulik saßen noch Katrin Göring-Eckardt von den deutschen Grünen und Linken-Vorsitzende Katja Kipping in der Runde. Der Spiegel schreibt: "Österreichs junger Außenminister argumentierte mit Nachdruck, aber ohne sonderliche Schärfe für den Kurs seiner Regierung, genau wie Maas für die Merkel-Linie, wobei er von der Grünen unterstützt wurde - und von seinem eigenen Pressesprecher, der die Redebeiträge seines Ministers überschwänglich beklatschte". Eine Peinlichkeit, die Moderatorin Will übrigens unbekümmert während der Sendung aufdeckte. Kurz sammelte beim Talk-Publikum mit seinen Aussagen Applaus ein, und auch beim Spiegel: "Die von Minister Kurz aufgeworfene interessante Frage, ob die Grenzsicherung durch die Türkei 'moralisch höherwertig' ist als jene durch Mazedonien, wurde indes nur gestreift."

Deutscher Minister als "Schuljunge"

Hart ins Gericht mit Heiko Maas (49) ging die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Der Justizminister wirkt neben dem österreichischen Außenminister wie ein Schuljunge". Dass Maas die Balkanrouten-Schließung nicht als Gipfelziel bekannt geben wollte, wird ihm in der TV-Kritik der F.A.Z. als Unwissenheit ausgelegt. Überhaupt habe Kurz als Einziger in der Runde klare Worte gefunden: "Hätte nicht der österreichische Außenminister in der Runde gesessen, wäre die Talkstunde mit dem üblichen Schall und Rauch vorübergegangen. Doch das ist zum Glück nicht so, auch wenn sich Katrin Göring-Eckardt und Katja Kipping bemühen, den Minister nieder zu brüllen. [...] Er sagt, dass Griechenland sich in Sachen Grenzsicherung erst bewegte, nachdem die Balkan-Länder Druck gemacht hatten".

Linke vergleicht Grenzschließung mit Schießbefehl

Für einen untergriffigen Tiefpunkt sorgte Linken-Chefin Katja Kipping, die Kurz vorhielt, eine Grenzschließung sei eine "Lösung mit Tränengas und Schießbefehl gegen Menschen in Not". Kurz ging auf die Attacke nicht ein. Minister Maas führte hingegen ins Feld, dass Österreich solche Instrumente nicht anwenden würde. Auch Bild.de rügte die Linkspolitikerin: "Und das von der Nachfolgepartei der SED! Das ist dreist hoch zwei".

Neben dem guten Zeugnis für Kurz waren sich die Kommentatoren auch in einem weiteren Punkt einig: Für die Tiefpunkte der Sendung hatte der Gast aus der Slowakei, Richard Sulík, gesorgt. Die Welt fasste zusammen: "Der slowakische EU-Parlamentarier forderte, Griechenland aus der EU und der Eurozone zu werfen, wollte sich den Begriff Wertegemeinschaft nicht zu eigen machen, sondern sprach lediglich von einer 'Vertragsgemeinschaft' und empfahl im Übrigen, den Strukturfonds abzuschaffen". Letzterer kommt eigentlich Ländern wie der Slowakei zu Gute, fördere aber lediglich die Korruption im Land, so Sulík.

Später Punkt für Maas gegen Sulík

Der Rechtspopulist verteidigte auch die Haltung der Visegrad-Staaten, keine Flüchtlinge aufzunehmen, "weil die Bürger es nicht wollen." Bemerkenswert dabei: Sulík, fand selbst als Zwölfjähriger 1980 mit seiner Familie in Deutschland Zuflucht, bevor er nach dem Ende des Kalten Krieges in seine Heimat zurückkehrte. Der deutsche Justizminister konnte in Hinblick auf die Slowakei dann doch noch punkten. Maas: "Heuchelei ist es, alle Vorteile anzunehmen und sich dann, wenn es um Solidarität geht, wegzuducken." Der Beifall darauf war echt, auch ohne Pressesprecher.

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