Schweiz stimmt ab: Kriminelle Ausländer ausweisen?

Gegner und Befürworter der Initiative werben um die Wählergunst der Eidgenossen
Die Eidgenossen stimmen am 28. Februar über das härteste Ausländergesetz Europas ab.

Selten ist in der Schweiz so heftig gestritten worden: Wird sich das Land das härteste Ausländergesetz Europas zulegen? Sollen straffällig gewordene Nichtschweizer automatisch ausgewiesen werden? . Die rund fünf Millionen wahlberechtigten Eidgenossen sollen darüber in einer Volksabstimmung entscheiden.

Die Forderung der Schweizerischen Volkspartei (SVP) wurde simpel auf den Punkt gebracht: Ein weißes Schaf auf der roten Fahne mit dem Schweizer Kreuz befördert ein schwarzes Schaf mit einem kräftigen Hinterteil-Tritt nach draußen. "JA zur Ausschaffung krimineller Ausländer", steht auf Postern neben den beiden Schafen. Mit der "Durchsetzungsinitiative" der SVP soll eine konsequente Anwendung einer 2010 vom Wahlvolk angenommenen Initiative zur Ausweisung straffälliger Ausländer durch alle Behörden und Gerichte erzwungen werden.

Schwere Verbrechen

Ausländer sollen bei schweren Verbrechen sofort nach Verbüßung der Strafe das Land verlassen. Bei weniger schweren Taten soll dies geschehen, wenn die Person vorbestraft war. Zur ersten Kategorie werden unter anderem Mord und Totschlag, schwere Körperverletzung, Raub, gewerbsmäßiger Betrug, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Kriegsverbrechen sowie auch Betrug im Bereich der Sozialhilfe gezählt. Zur zweiten unter anderem einfache Körperverletzung, sexuelle Handlungen mit Kindern sowie Geldfälschung.

Schweiz stimmt ab: Kriminelle Ausländer ausweisen?
Posters of Swiss People's Party (SVP) demanding to deport criminal foreigners are displayed beside a road in Adliswil, Switzerland February 11, 2016. Switzerland will hold a binding referendum later this month on whether to subject any foreign resident to automatic deportation if convicted of offences running the gamut from murder to breaking the speed limit. The posters read, "At last make things safer! Say yes to deportation of criminal foreigners". REUTERS/Arnd Wiegmann
Des Landes verwiesene Personen sollen unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz verlieren. Es muss eine konkrete Ausreisefrist angeordnet sowie ein Einreiseverbot von 5 bis 15 Jahren verhängt werden, im Wiederholungsfall von 20 Jahren. Grundsätzlich dürfen Ausweisungen in alle von der Regierung in Bern als sicher eingestuften Länder erfolgen. Unangetastet bleibt die Schweizer Verfassungsbestimmung, wonach niemand in einen Staat ausgewiesen werden darf, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer Behandlung oder Bestrafung droht.

Auch für zweite Generation

Gelten soll das auch für in der Schweiz geborene und aufgewachsene Nachkommen von Einwanderern, die nicht die Schweizer Staatsbürgerschaft haben, sogenannte Secondos. Bisher können Richter in Härtefällen von Ausweisungen absehen. Mit der SVP-Initiative würden jedoch Einzelfallprüfungen und die Abwägung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung weitgehend entfallen. Gegner der Initiative machen geltend, dass dies gegen europäische Rechtsgrundsätze verstoße, zu denen sich die Schweiz im Rahmen bilateraler Verträge mit der EU bekannt habe.

Die Forderung kommt von der schon seit Jahren stärksten Partei des Landes. "Endlich Sicherheit schaffen!", fordert die rechtsnationale SVP. Erst im vergangenen Oktober hat sie erneut Parlamentswahlen gewonnen. In der Berner Koalitionsregierung stellt sie zwei der sieben Minister. Beim Volksentscheid über ihre sogenannte "Durchsetzungsinitiative" zur automatischen Ausweisung krimineller Ausländer könnte die SVP nun laut Meinungsumfragen erneut eine Mehrheit bekommen - wenngleich wohl nur eine sehr knappe.

Ängste angesprochen

In einer Informationsbroschüre argumentierte SVP-Präsident Toni Brunner so: "Viele Menschen, vor allem Frauen, aber auch ältere Menschen oder Jugendliche, haben Angst vor Gewalt und Verbrechen und trauen sich deshalb kaum mehr aus dem Haus oder meiden nach dem Eindunkeln bestimmte Straßenzüge oder ganze Quartiere!" Die Schuldigen stehen fest: "Die meisten der Gewaltverbrechen wie zum Beispiel Vergewaltigungen werden von Ausländern verübt!"

Sämtliche anderen Parteien des Landes, die Grünen, die Sozial- und Christdemokraten ebenso wie die Bürgerlich-Liberalen, weisen die Forderung strikt zurück. 120 Rechtsprofessoren und mehr als 270 amtierende sowie einstige Abgeordnete haben ein Gegen-Manifest unterzeichnet. In den Medien wurden die SVP-Argumente in "Faktenchecks" relativiert. Zum Beispiel die im Abstimmungskampf von der SVP vorgelegte Statistik, wonach die Zahl der verurteilten ausländischen Straftäter seit Mitte der 1980er Jahre von 14.000 auf inzwischen 57.000 pro Jahr gestiegen sei - im Vergleich zu 42.000 verurteilten Schweizern. Diese Zahlen seien zwar an sich richtig, befand der Zürcher Tages-Anzeiger. Jedoch hätten von den 2014 verurteilten 57.000 Ausländern lediglich 24.000 in der Schweiz gewohnt. "Die Mehrheit der Delikte wird von Ausländern begangen, die nicht zur Wohnbevölkerung gehören", konstatierte das Blatt.

Kriminaltouristen

"Ein Großteil der durch Ausländer begangenen Delikte wird durch Kriminaltouristen begangen", erklärt Stefan Egli vom "Komitee gegen die Durchsetzungsinitiative", dem 54 Nichtregierungsorganisationen angehören. "Einen Kriminaltouristen interessiert es nicht, ob er die Schweiz nicht mehr betreten darf, wenn er sowieso illegal und nur hier ist, um Einbrüche zu begehen."

Regierung und Parlament lehnen einen "Ausweisungsautomatismus" ab, da er rechtsstaatlichen Grundsätzen und dem Völkerrecht widerspreche. Die Gegner sehen ein Problem darin, dass die SVP-Initiative im Falle der Annahme unmittelbar anzuwendendes Recht wäre. Weder das Parlament, noch die Gerichte könnten dann noch etwas am Abschiebe-Automatismus ändern.

Zukunft der Demokratie

So erklärt der Bundesrichter Thomas Stadelmann, ein Volksentscheid, der Minderheits- und Individualrechte missachte oder gar beseitige, sei "nicht mit dem bisher geltenden Konzept der Schweizerischen Demokratie vereinbar". In einem viel beachteten Beitrag für die Schweiz am Sonntag erklärte der Richter am obersten Gericht der Eidgenossenschaft, am 28. Februar gehe es um weit mehr als um juristische Fragen der Verhältnismäßigkeit bei der Ausweisung krimineller Ausländer - nämlich um "nicht weniger als die Zukunft der Demokratie".

"In kaum einem souveränen Staat gibt es derart ausgebaute Mitbestimmungsrechte des Volkes wie in der Schweiz", heißt es bei der Schweizerischen Bundeskanzlei. Einmal pro Quartal werden die Eidgenossen an die Urnen gerufen, um Entscheidungen zu treffen, die anderswo allein Regierungen und Parlamenten vorbehalten bleiben.

Grundsätzlich hat das Volk bei allen wichtigen Gesetzen das letzte Wort (obligatorisches Referendum). Aber auch zu anderen Beschlüssen des Parlaments muss eine Volksabstimmung angesetzt werden, wenn mindestens 50.000 Stimmberechtigte oder 8 der 26 Kantone dies verlangen (fakultatives Referendum).

Zudem können die Schweizer mit Volksinitiativen Gesetze und Verfassungsänderungen durchsetzen, sofern eine einfach Mehrheit dafür stimmt. Für die Ansetzung solcher Referenden sind mindestens 100.000 Unterschriften erforderlich. Nach Schätzungen finden mehr als 50 Prozent aller Volksabstimmungen weltweit allein in der Schweiz statt.

Die fünf Millionen wahlberechtigten Schweizer entscheiden am 28. Februar neben dem Thema "Ausweisung krimineller Ausländer" über drei weitere Themen:

Gotthard-Straßentunnel

Täglich rollen im Schnitt rund 17.000 Fahrzeuge durch den Gotthard-Straßentunnel. Demnächst muss er saniert werden. Um monatelange Sperrungen des wichtigste Schweizer Autokorridors durch die Alpen zu vermeiden, soll zunächst eine zweite Tunnelröhre gebaut werden. Später sollen die Röhren für je eine Fahrtrichtung genutzt werden. Gegner wollen die entsprechende Ergänzung des Bundesgesetzes über den Straßentransitverkehr in den Alpen zu Fall bringen. Das Projekt sei zu teuer, es werde zur Verdoppelung der Zahl der Lastwagen und der Schadstoffe führen und es stehe einer Verlagerung des Transitgüterverkehrs auf die Schiene entgegen.

Spekulationen mit Nahrungsmitteln

Sozialdemokraten, Grüne und Hilfsorganisationen wollen Spekulationen mit Nahrungsmitteln und Agrarrohstoffen unterbinden. Sie beeinträchtigten in Entwicklungsländern die Ernährungslage. Die Initiatoren fordern den Ausschluss reiner Finanzinvestoren von den Nahrungsmittelbörsen. Die Regierung in Bern erklärte, die Wirksamkeit eines solchen Verbots für den Kampf gegen Armut sei zu bezweifeln. Zudem seien "schädliche Nebenwirkungen für die Schweizer Volkswirtschaft" zu befürchten.

"Heiratsstrafe"

Die Christdemokraten (CVP) wollen, dass Ehepaare steuerlich nicht schlechter gestellt werden als nichteheliche Lebensgemeinschaften. Betroffen sind 80.000 Doppelverdienerehepaare, deren Bezüge summiert und dadurch höher besteuert werden als die Einzeleinkommen nicht verheirateter Paare. Zudem bekommen Rentnerehepaare nur 150 Prozent der staatlichen Altersversorgung. Bei unverheirateten Paaren ist es jeweils die volle Höhe, allerdings erhalten sie auch keine Witwen-oder Witwerrente. Die Annahme der Initiative würde nach Schätzungen zu Steuerausfällen von umgerechnet zwei Milliarden Euro führen. Die Regierung ist dennoch dafür.

Zugleich sind die Hürden für eine Einbürgerung hoch. Erst wer zwölf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, kann sie beantragen. Zudem behalten viele in der Schweiz geborene Ausländer die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes ihrer Eltern.

Die meisten der rund zwei Millionen Ausländer in der Schweiz stammen aus Europa - allen voran Italiener (15,3 Prozent), Deutsche (14,9) und Portugiesen (13,1), gefolgt von Franzosen (5,8), Kosovaren (5,0), Spaniern (4,0) und Serben (3,9). Aus dem gesamten übrigen Europa stammen 19,3 Prozent, aus der Türkei 3,5 Prozent. Aus Afrika stammen 4,3 Prozent, aus Staaten Amerikas 4,0. Für Asien, Ozeanien und die Staatenlosen nennt die Schweizer Statistik insgesamt 6,5 Prozent, zum kleinen Rest gibt es keine Angaben.

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