Schlepper: Wie viel kostet es, nach Europa zu kommen?

Ein gestrandetes Flüchtlingsboot
Die Sicherheitsexperten Martin Hofmann und Veronika Bilger erklären, wie Schlepper arbeiten und wie viel Flüchtlinge dafür zahlen müssen.

Der Kampf gegen illegale Migration steht seit Jahren ganz oben auf der politischen Agenda vieler Staaten. Doch warum gelingt es in Europa nicht, das Problem in den Griff zu bekommen? Warum boomt das Geschäft der Schlepper weiter? Wir haben zwei Fachleute des Wiener internationalen Migrationsforschungsinstituts ICMPD, Martin Hofmann und Veronika Bilger, und deutsche Sicherheitsexperten befragt:

Wie viel muss man für eine illegale Einreise nach Europa zahlen?

In der "Holzklasse", also in nicht seetauglichen Booten im Mittelmeer, sind es oft 200 oder 300 US-Dollar (rund 185 bis 275 Euro). Das berichten die österreichischen Experten Martin Hofmann und Veronika Bilger. Auf der Balkanroute konnte man im Jahr 2015 zeitweise auf Schleichwegen noch schneller und günstiger quer durch Europa gelangen als im Bus oder Zug. Damals war das Schleppergeschäft in Europa für einen Moment tot. Derzeit kostet es wieder bis rund 10.000 Dollar. Für 20.000 Dollar bekommt man auch perfekte Dokumente mit einem Lebenslauf und kann sich in der Luxusjacht aus der Türkei nach Italien bringen lassen.

Wie sieht die Preisstruktur bei Schleppungen in das begehrte Ziel Deutschland aus?

Zwischen der Balkan- und der Mittelmeer-Route gibt es Unterschiede. Wobei nach Angaben aus Sicherheitskreisen immer noch etwa 70 Prozent der Ankömmlinge über den Balkan nach Deutschland kommen. Nur etwa zwölf Prozent kommen über eine Südroute in den Norden - also oft das Mittelmeer und Italien.

BALKANROUTE: Für das Schleppen von Afghanistan bis Deutschland via Balkan mussten 2016 zwischen 4.700 und 5.500 Dollar bezahlt werden. Aus Syrien und dem Irak waren das 3.600 bis 4.000 Dollar. Und aus Ostafrika mussten die Menschen - ohne Kost und Logis - 3.300 bis 5.000 Dollar für die Strecke über das Mittelmeer nach Italien zahlen.

Auf der Balkanroute sollen die Preise wegen der Grenzschutzmaßnahmen seit 2016 im Schnitt um 10 Prozent gestiegen sein. Die Kosten für die Bootsüberfahrt von der Türkei nach Griechenland brachen dagegen mangels Erfolgsaussichten der Weiterreise von 800 Dollar 2016 auf etwa 300 Dollar ein (Frühjahr 2017).

FLUGSCHLEPPUNGEN: Die De-Luxe-Variante der Schleppung via Flugzeug kostet nach Angaben der Sicherheitsexperten mindestens 25.000 Dollar pro Mensch. Darin enthalten sind neben Tickets Bestechungsgelder und häufig die Kosten für das Fälschen von Papieren. Zum Teil würden absurde Flugstrecken genommen, um die Herkunft der Geschleppten zu verschleiern, beispielsweise Routen über Südamerika.

SÜDROUTE/MITTELMEER: Bei den Kosten gibt es nach Erkenntnissen in den deutschen Sicherheitsbehörden auf der zentralen Mittelmeer-Route das Gegenteil zum Balkan: Hatte 2016 eine Überfahrt von Libyen nach Italien noch etwa 600 - 800 Dollar pro Person gekostet, konnten es in diesem Frühjahr etwa 1.200 Dollar sein. Allerdings variieren die Preise je nach Nationalität und Bootstyp. Afrikaner zahlen oft deutlich weniger.

Was ist Garantieschmuggel?

Bei dieser Form garantieren die Schlepper, dass das vereinbarte Zielland erreicht wird, erläutern die ICMPD-Experten. Misslingt derer Grenzübertritt, wird es so oft versucht, bis es klappt. Nach der Schließung der Balkanroute hat sich viel Geschäft auf diese hochpreisige Ebene verlagert. Für 10.000 Dollar kann man so in ein paar Wochen aus dem Nahen Osten nach Zentraleuropa gelangen.

Wie viel Geld wird im Schlepper-Business umgesetzt?

Die Angaben sind oft nur vage Schätzungen. Deutsche Sicherheitsexperten und die österreichischen Fachleute rechnen aktuell mit einem Gesamtumsatz der Schleppung nach Westeuropa auf allen Routen - inklusive Fernost - in Höhe von drei bis vier Milliarden Dollar. Darin seien die Kosten für Schlepper, Unterkunft und Verpflegung enthalten. 2015, auf einem Höhepunkt der illegalen Migration nach Europa, war auch von rund sechs Milliarden die Rede. Kursierende Zahlen von einem Schlepperumsatz von 25 Milliarden Dollar seien aber nicht realistisch. Den Nettogewinn für die Schlepper taxieren diese Experten auf etwa 2,5 Milliarden bis drei Milliarden Dollar. Im Jahr 2016 seien allein in Libyen etwa 580 Millionen Dollar mit der Schleppung erwirtschaftet worden - davon blieben demnach etwa 70 bis 80 Prozent als Gewinn bei den Schleppern.

Wie kauft und bezahlt man eine Schlepperreise nach Europa?

Ein weit verbreitetes Muster ist, dass man zur Vertrauensperson im Heimatort geht und einen Vertrag schließt. Die gleiche Herkunft ist - so sagt die österreichische Expertin Bilger - wichtig, weil Vertrauen und Kontrolle zwischen der Familie und dem Schmuggler vorhanden ist. Erst wenn der Sohn oder die Tochter zurückgemeldet haben, dass sie im Zielland sind, bekommt der Schmuggler bei dieser Form das Geld, das bei einer Vertrauensperson deponiert wurde. Es gibt aber auch andere Angebote. Vor allem an den zentralen Verbindungspunkten der Routen finden Kunden ein breit gefächertes Angebot. Viele Menschen organisieren ihre Migration auch in Etappen Stück für Stück.

Können sich Schlepper leisten, das Leben ihrer Kunden zu gefährden?

Früher war man sofort aus dem Geschäft, wenn ein Schleppernetz hohe Todeszahlen hatte, die Leute schlecht behandelte oder nicht ans Ziel brachte. Durch die aktuell große Nachfrage mischen aber nun auch "Pfuscher" mit, etwa in Libyen, wo Migranten auf dem Meer ausgesetzt werden, wie Martin Hofmann sagt. Libyen ist ein Sonderfall, weil es sich oft um eine Fluchtbewegung ohne Zurück handelt. Entweder man schafft es nach Europa, oder man bleibt in Libyen in ständiger Gefahr für Leib und Leben. So sind auch die hohen Todeszahlen im Mittelmeer zu erklären, weil das Risiko eines Todes bei der Überfahrt geringer erscheint als die Risiken eines Aufenthalts in Libyen.

Wie wird der "Erfolg" der Schleppung dokumentiert?

Der geschleppte Mensch macht ein Selfie von sich und einer bekannten Sehenswürdigkeit, etwa dem Stephansdom in Wien, sagt Bilger. Das Bild schickt er nach Hause. Dann wird das Geld dem Schlepper übergeben.

Wie sehen die Angebote für "Individualreisende" aus, die nicht schon in ihrem Heimatland ein "Pauschal-Paket" gekauft haben?

Wenn Migranten in Etappen gehen, kontaktieren sie dort jeweils selbstständig agierende Schlepper. Wie die österreichischen Experten weiter berichten, wird dann zum Beispiel die Hälfte des vereinbarten Betrags vor dem Grenzübertritt gezahlt und die andere Hälfte danach. Im Mittelmeer gibt es dieses System für jene, die auf guten Plätzen auf den Schiffen sitzen. Andere müssen weniger zahlen, haben aber auch keine Garantie - bei den billigsten Angeboten nicht einmal mehr fürs Überleben.

Welche Rollen spielen Fälscherwerkstätten bei der Schleppung?

Eine sehr wichtige, wie deutsche Experten berichten. Dabei geht es nicht nur ums Fälschen von Dokumenten wie Reisepässen und Führerscheinen. Auch Drohbriefe der Taliban in Afghanistan werden nachgemacht - um sie den Behörden in Europa als Beleg für den Fluchtgrund vorzulegen. Bestimmte Mullahs seien in Deutschland schon als Urheber aufgefallen - die Sicherheitsbehörden hätten dies auf dem Schirm. Auch mit falschen Universitätsabschlüssen habe man Erfahrung.

Was kosten gefälschte Unterlagen auf dem Schwarzmarkt?

Einen bulgarischen Pass erhält ein Migrant nach Darstellung deutscher Sicherheitsexperten auf dem Schwarzmarkt für 800 Euro - für einen echten syrischen Pass aus erbeuteten Beständen muss man etwa 2.000 Euro hinlegen. Eine Komplettausstattung inklusive Führerschein und Geburtsurkunde kostet 5.000 bis 10.000 Euro. Reisepässe, die auch einer Überprüfung auf dem Flughafen Stand halten, sind für etwa 2.000 Euro zu haben. Diese Papiere können dann auch elektronisch gelesen werden, ohne dass der Inhaber bei einer Kontrolle auffällt. Manchmal reiche es auch, in einen echten Pass einen gefälschten deutschen Aufenthaltstitel einzubringen. Kostenpunkt: 500 Euro. Qualitativ gut arbeitende Fälscherwerkstätten gibt es nach den Erkenntnissen der Ermittler in der Türkei und in Bulgarien. Gerne würden dort italienische ID-Karten nachgemacht, aber auch französische, spanische und deutsche Papiere.


Hinweis: Dieser Text ist Teil des weltweiten Recherche-Projekts MINDS Global Spotlight zum Thema Schlepperkriminalität. Darin haben zehn Nachrichtenagenturen weltweit Reportagen, Interviews und Zahlen zusammengetragen.

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