Schicksalstage für Schulz

Die Zukunft von Martin Schulz ist noch unklar.
Noch ist die große Koalition nicht fix, steht schon seine Zukunft infrage.

Martin Schulz meldet sich gestern via WhatsApp aus den Verhandlungen, er hat gute Nachrichten: "Hallo alle zusammen", schreibt der SPD-Chef und verkündet die Einigung in der Europa-Politik. Im Plauderton zählt er die Erfolge auf: eine gerechte Besteuerung von Internetriesen wie Google, Facebook und Apple, mehr Mittel im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, ein Investitionshaushalt für die Eurozone und ein Ende des Spardiktats – Details lässt er aber aus und verabschiedet sich mit "euer Martin." Dazu schickt Schulz ein Foto, auf dem er lächelt.

Grund zum Lachen hat der SPD-Chef eigentlich nicht. Kaum ein Tag vergeht ohne Umfrage, die seinen Tiefpunkt bzw. den der SPD bescheinigt. Und obwohl der Koalitionsvertrag, derzeit bei 160 Seiten, auch am Montag noch nicht vorlag, wird schon debattiert, ob Schulz ins nächste Kabinett ziehen soll. Wendehals und Wortbruch, diese Wörter fallen immer wieder.

Zickzackkurs

Eigentlich sollte mit ihm alles anders werden. Vor knapp einem Jahr übergab Sigmar Gabriel den Chefsessel an den ehemaligen Europamann. Die SPD, hungrig nach Erneuerung, wählte ihn mit 100 Prozent zum Parteichef. Doch der erhoffte Wechsel von Gabriels Zickzackkurs blieb aus. Auch Schulz schlängelt sich seit der Wahl durch: Zuerst verkündet er zwei Mal den Gang in die Opposition, um dann zu widerrufen. Gut, dass sich die Lage nach dem Jamaika-Aus verändert hat und die SPD gesprächsbereit sein sollte, lässt sich noch argumentieren. Doch, dass er dann "ergebnisoffene" Gespräche verspricht, aber herauskommt: es wurde mit CDU/CSU nie über eine Minderheitsregierung diskutiert, wird ihm verübelt.

Zudem kratzte es an seiner Überzeugungs- und Durchsetzungskraft. Nur so lässt sich auch erklären, dass die Ergebnisse aus den Sondierungen binnen weniger Stunden von Parteikollegen und Mitverhandlern zerpflückt wurden. Und jetzt, kurz vor dem Koalitionsfinale, spekulieren einige offen über die künftige Rolle ihres Chefs. Sogar die bayerische SPD-Chefin Natascha Kohnen, die ihn oft unterstützte, ließ sich am Rande der GroKo-Gespräche im Deutschlandfunk dazu hinreißen. Sie bestätigte, über Schulz’ Zukunft müsse man noch reden.

Aber, was wollen die Sozialdemokraten? Soll er den Parteivorsitz abgeben? Sicher, geeignete Nachfolger gibt es. Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, holte bei der Wahl zur Vize-Parteichefin im Dezember mit 97,5 Prozent das beste Resultat. Auch Andrea Nahles kann den Job. Mit ihrer Rede am Parteitag riss sie viele Delegierte mit, für die GroKo zu stimmen. Allerdings will sie sich nicht mit den Regierungsgeschäften der alten neuen Koalition aufhalten, sich lieber als nächste Kanzlerkandidatin aufbauen.

Beck-Schicksal

Selbst wenn Schulz Parteichef bleibt, ohne Ministerposten droht ein anderes Problem: interne Rivalitäten. So eine Konstellation führte bereits in der Vergangenheit zu Querelen. Kurt Beck kann davon ein Lied singen. Als SPD-Chef (2006-2008) zog er nicht als Minister ins erste Merkel-Kabinett ein und stritt dann mit Franz Müntefering, Vizekanzler, über die Führung der Partei.

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung springt Beck dem SPD-Chef zur Seite. Er erinnert, dass die SPD Schulz zwei Mal als Chef gewählt hat: "Wenn die Partei Martin zweimal solche tollen Wahlergebnisse mitgibt, hat sie auch die Pflicht, ihn zu unterstützen."

Beck hatte damals weniger Glück, fühlte sich von seinen Genossen überrannt und warf hin. Nicht auszuschließen, dass ein solches Schicksal auch Martin Schulz treffen kann. Für ihn werden die nächsten Tage und Wochen entscheidend sein. Seine Zukunftspläne und die Personalpläne für die Ressorts will er erst nach dem Mitglieder-Votum offenlegen: Die Abstimmung der 440.000 SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag, die bis zu drei Wochen dauern kann, soll ihm etwas Zeit verschaffen.

Aber nicht weniger Arbeit. Er wird seine Anhänger nicht via WhatsApp von den Ergebnissen überzeugen müssen, sondern persönlich und das quer durchs Land.

In vielen Punkten gibt es eine Einigung, in 15 kleinen und drei großen Detailbereichen aber haben Union und SPD noch keine gemeinsame Linie gefunden. Auch gestern nicht. Die Gespräche wurden auf Dienstag vertagt und werden in der CDU-Zentrale weitergeführt – die Christdemokraten drängen auf einen Abschluss, während die SPD noch zögert, sagen Insider. Strittig sind nach wie vor die Themenbereiche Gesundheit, Arbeitsmarkt und Finanzen. Die SPD will eine Abschaffung grundlos befristeter Arbeitsverträge sowie im Gesundheitsbereich eine Gleichstellung von Kassen- und Privatpatienten. Uneinig war man sich gestern offenbar auch in der Außenpolitik, insbesondere beim Thema Rüstungsexporte. Als großen Durchbruch hingegen feierten beide Parteien bereits am Sonntag die Einigung im Bereich Wohnbau und Mietrecht. SPD und Union wollen künftig den Mietenanstieg bremsen und bis 2021 etwa 1,5 Millionen Wohnungen bauen.

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