Russland: Der "Putinismus" in einer belagerten Festung

Walter Laqueur erklärt uns das Land und die Emotionen, die in der Geschichte Russlands begründet sind.

Wohin treibt Russland?", fragt Walter Laqueur und zeichnet das Bild einer verunsicherten Nation, die Wladimir Putin noch mit Nationalismus zusammenhalten kann. Der "Putinismus" ist für den Historiker, der oft über Russland geforscht und geschrieben hat, ein einziger Widerspruch: Staatskapitalismus, auch liberal, aber mit staatlichen Eingriffen, eine Autokratie, die durch Ineffizienz und Korruption nahezu ausgehebelt wird, ein Parlament, wo die Oppositionsparteien nicht Opposition machen, und es gibt ein bisschen Pressefreiheit – begrenzt auf kleine Zeitungen. Die Kritik darf aber auch da nicht zu weit gehen.

Die wahren Machthaber sind die Oligarchen, solange sie sich nicht mit Putin anlegen und die "Silowiki". Das Wort kommt vom russischen Begriff für Kraft und wird traditionell für Vertreter der Armee und der Geheimdienste verwendet. Dort hat Putin seine Ausbildung genossen.

Und dann gibt es die traditionellen Träger des russischen Nationalismus, die Orthodoxe Kirche und jene Schriftsteller, die in den letzten Jahrhunderten die Größe des russischen Volkes beschrieben haben, aber auch ihre Angst vor allem Fremden. Hier zeigt sich der Kenner Laqueur, der Autoren zitiert, die nur Feinspitze der russischen Seele kennen. Nikolaj Danilewski (1822–1885), ist nur einer davon, ein populärer Naturwissenschafter und Schriftsteller, der wieder stark gelesen wird. Er sah einen blutigen Kampf zwischen Europa und Russland voraus, bei dem die welthistorische Mission Russlands obsiegen würde. Darauf aufbauend schreiben Alexander Dugin und andere gegen die USA, Europa und den westlichen Liberalismus. Und sie artikulieren ihre Ängste, dass Russland zu schwach sein könnte.Dafür gibt es starke ökonomische Hinweise. Der hohe Ölpreis hat Putin lange das Leben erleichtert, jetzt leiden er und sein Land darunter, dass die russische Wirtschaft so stark von den billigeren Rohstoffen abhängig ist.

Schicksalsfrage Islam

Gefahren lauern für das Land auch in der Vielvölkerstruktur. "Der Islam ist Russlands Schicksal", wird ein Experte zitiert. Kein Wunder, dass Nationalisten gerne in die siegreiche Vergangenheit blicken, auch wenn zur Zeit des 2. Weltkriegs ein Verbrecher regierte. Erschreckend, wie beliebt Josef Stalin bei Umfragen ist. 2013 stimmten der Aussage "Stalin war ein weiser Führer" 15 Prozent völlig und 32 Prozent überwiegend zu. Über seine Verbrechen wird wenig geredet.

Und was soll der Westen tun? Die USA und Europa haben die Vorgänge in Russland nach ihren Maßstäben beurteilt und dadurch so schwer unterschätzt. Die Ukraine-Krise ist nur eine Folge davon.

Russland: Der "Putinismus" in einer belagerten Festung
Laqueur: "Der Westen hat einen begrenzten Handlungsspielraum,um freundlichere Beziehungen zu fördern. Das Gefühl, in einer belagerten Festung zu leben, ist in Russland tief verwurzelt und reicht weit in die Geschichte zurück .... Die Aussichten auf eine dauerhafte Versöhnung und ein besseres Verhältnis zum Westen sind gegenwärtig nicht gerade rosig."

Walter Laqueur, geboren 1921 als deutscher Jude in Breslau, überlebte in Palästina, wo er auch russisch lernte. Als Historiker hat er sich u.a. mit Russland, Deutschland und Israel beschäftigt und eine große Anzahl an Büchern geschrieben.

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