Richard Weizsäcker: Die moralische Instanz der Deutschen

Der allseits anerkannte frühere deutsche Bundespräsident starb im Alter von 94 Jahren.

Er hat mit ein paar klaren Worten geschafft, was Kurt Waldheim versagt blieb. Die einhellige Anerkennung der freien Welt für eine Rede, in der er sich mit den Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten auseinandersetzte. Richard von Weizsäcker hatte 1985 als deutscher Bundespräsident das Kriegsende und den Zusammenbruch des Nazi-Regimes ohne Beschönigung als "Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" bezeichnet. Samstag starb das frühere Staatsoberhaupt 94-jährig in Berlin.

Der Vater war Nazi

Richard Freiherr von Weizsäcker, 1920 in Stuttgart geboren, kam aus einer ursprünglich bürgerlichen Familie, die kurz vor dem Ende des deutschen Kaiserreichs in den Adelsstand erhoben wurde. Schon sein Großvater war Ministerpräsident des Königreichs Württemberg, und sein Vater Ernst von Weizsäcker machte Karriere als Diplomat. Zunächst in der Weimarer Republik, ab 1933 jedoch als NSDAP-Mitglied und SS-Oberführer, der es bis zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt brachte. 1949 wegen Mitwirkung an den Deportationen französischer Juden nach Auschwitz in Nürnberg als Kriegsverbrecher zu fünf Jahren Haft verurteilt, wurde Ernst Weizsäcker im Zuge einer Amnestie nach einem Jahr entlassen.

Als Hilfsverteidiger

Sein jüngerer Sohn Richard – der spätere Bundespräsident – stand damals vor dem Abschluss des Jurastudiums und konnte bei dem Prozess dem Anwalt des Vaters als Hilfsverteidiger assistieren. Weizsäcker erklärte, sein Vater wäre über Kriegsverbrechen nicht informiert gewesen und bezeichnete das Urteil als "historisch und moralisch ungerecht".

Während ein Sohn des NS-Staatssekretärs im Zweiten Weltkrieg fiel, wuchsen die beiden anderen in einem nationalsozialistisch geprägten Umfeld auf: Der 1912 geborene Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker war (erfolglos) an der Entwicklung einer deutschen Atombombe beteiligt und wurde 1945 mit anderen Wissenschaftern von den Alliierten inhaftiert.

Wehrmachtsoffizier

Richard Weizsäcker: Die moralische Instanz der Deutschen
epa04596805 (FILE) A file photo dated 11 June 1982 of then West Berlin mayor Richard von Weizsaecker (L) with then US President Ronald Reagan (C) and then German Chancellor Helmut Schmidt (R) posing for the media during the US president's visit to Germany, at the Charlottenburg Castle park in Berlin, Germany. Richard von Weizsaecker, the first president of a reunited Germany, died 31 January 2015 at the age of 94, family members said. Von Weizsaecker was the head of state from 1984 to 1994, serving first as president of West Germany until the Berlin Wall fell in 1989 and East and West Germany were unified in 1990. He also served as mayor of West Berlin from 1981 to 1984. EPA/MARTIN ATHENSTAEDT
Der spätere Bundespräsident nahm als Wehrmachtsoffizier an der Schlacht um Moskau teil und brachte es, hoch dekoriert, zum Hauptmann der Reserve. In Weizsäckers Regiment befanden sich Offiziere, die der Widerstandsbewegung um Claus Graf von Stauffenberg angehörten. Weizsäcker wusste durch sie vom geplanten Attentat auf Hitler, behielt sein Wissen aber für sich, wodurch er zumindest einen Komplizen Stauffenbergs vor der Gestapo-Verfolgung schützte.

Berliner Bürgermeister

Nach dem Krieg zunächst als Manager tätig, trat Richard von Weizsäcker 1954 der CDU bei und wurde 1969 in den Bundestag gewählt. Von 1981 bis 1984 war er Regierender Bürgermeister Berlins.

Weizsäcker hatte sich bereits 1974 um das Amt des Bundespräsidenten beworben, doch damals erhielt der FDP-Politiker Walter Scheel die Stimmenmehrheit. Als er es 1984 noch einmal versuchte, wurde Weizsäcker von der Bundesversammlung gewählt. Er empfand sich als "Präsident aller Deutschen" womit er auch die Bürger der DDR ansprach. Tatsächlich war er ab 1990 der erste Bundespräsident des wiedervereinten Landes.

Als Markstein seiner zehnjährigen Amtszeit gilt Weizsäckers Rede vom 8. Mai 1985, die er aus Anlass des 40. Jahrestags des Kriegsendes im Deutschen Bundestag hielt. Er thematisierte das Leid der Betroffenen, die Verantwortung auch der nachfolgenden Generationen und die Rolle der aus den Erfahrungen des Dritten Reichs entstandenen Bundesrepublik. Obwohl er eine dem österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim zumindest vergleichbare militärische Karriere gemacht hatte, gelang es ihm – nicht nur durch diese eine Rede – zur großen moralischen Instanz seines Landes zu werden.Im Gegensatz zu Waldheim wurde Weizsäcker zu Staatsbesuchen in alle Welt eingeladen. Und innenpolitisch profilierte er sich, indem er den Parteien vorwarf, "die nächste Wahl gewinnen, nicht aber langfristig Probleme lösen zu wollen".

Richard Weizsäcker: Die moralische Instanz der Deutschen
weizsäcker
Entsprechend die Nachrufe von Politikern aus aller Welt. "Wir verlieren einen großartigen Menschen und ein herausragendes Staatsoberhaupt", kondolierte Bundespräsident Joachim Gauck gestern der Witwe Marianne von Weizsäcker. "Die Erinnerung zu bewahren und richtige Schlüsse zu ziehen, waren ihm wichtige Anliegen, auch im Hinblick auf die junge Generation". Und Kanzlerin Angela Merkel würdigte Weizsäcker als "eine der wichtigsten und geachtetsten deutschen Persönlichkeiten. Wie er sein Amt ausgeübt hat, das hat Maßstäbe gesetzt," Was er aussprach, sei "für unser deutsches Selbstverständnis bedeutend".

Bundespräsident Fischer sagte, dass Weizsäcker in seiner Rede 1985 "richtungsweisende Akzente gesetzt und zu den guten Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich wichtige Beiträge geleistet" hätte. Kanzler Faymann betonte, dass uns "sein Engagement für ein friedliches, vereintes Europa heute mehr denn je Beispiel sein sollte".

Weizsäckers Rede zum 8. Mai

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