Angeblich Tote bei Chemie-Angriff in Syrien

A boy, affected in what the government said was a chemical weapons attack, is treated at a hospital in the Syrian city of Aleppo March 19, 2013. Syria's government and rebels accused each other of firing a rocket loaded with chemical agents outside the northern city of Aleppo on Tuesday, an attack which a cabinet minister said killed 16 people and wounded 86. REUTERS/George Ourfalian (SYRIA - Tags: POLITICS CIVIL UNREST)
Die Attacke soll bis zu 26 Tote gefordert haben - Regierung und Opposition beschuldigen sich gegenseitig.

Ein Fotograf der Nachrichtenagentur Reuters hat von Anzeichen eines Chemiewaffenangriffs nahe der nordsyrischen Stadt Aleppo berichtet. "Ich habe vor allem Frauen und Kinder gesehen. Sie sagten, Menschen würden in der Straße ersticken und die Luft rieche stark nach Chlor", sagte der Fotograf, dessen Name in dem Bericht nicht genannt wurde. Die Opfer des Angriffs wurden in Krankenhäuser der Metropole eingeliefert.

Zuvor hatten sich Syriens Regime und Sprecher der Rebellen gegenseitig den Einsatz von Chemiewaffen vorgeworfen. Beide Seiten berichteten von einem Raketenangriff auf den Ort Khan al-Assal in der nördlichen Provinz Aleppo. Bei diesem gab es nach Angaben der Regierung 16 Tote und 86 Verwundete. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London sprach hingegen von 26 Toten, darunter 16 Regierungssoldaten. Staatsmedien und Sprecher der Rebellen hatten erklärt, die Rakete sei mit Chemiewaffen bestückt gewesen.

Bisher hat es im syrischen Bürgerkrieg keinen bestätigten Einsatz von Chemiewaffen gegeben, allerdings hatte es wiederholt solche Vorwürfe von Regimegegnern gegeben. US-Präsident Barack Obama hatte zuletzt wiederholt gewarnt, mit der Verwendung solcher Waffen werde die "rote Linie" überschritten. Er stellte eine westliche Militärintervention als Option in den Raum.

Russland beschuldigt Opposition

Die russische Regierung hat die syrischen Rebellen beschuldigt, die Chemiewaffen eingesetzt zu haben. "In den frühen Stunden des 19. April ist in der Provinz Aleppo der Einsatz von Chemiewaffen durch die bewaffnete Opposition registriert worden", teilte das Außenministerium in Moskau in einer Stellungnahme mit. Russland sei sehr besorgt darüber, dass sich Massenvernichtungswaffen in den Händen der Rebellen befänden. Der Vorfall bringe den Konflikt in dem Staat auf eine "neue Ebene".

Briten drohen mit Konsequenzen

Die britische Regierung hat nach den Berichten mit ernsten Konsequenzen gedroht. Man kenne die entsprechenden Medienberichte, sagte eine Sprecherin am Dienstag in London. Der "Einsatz oder die Verbreitung von Chemiewaffen würde eine entschlossene Reaktion der Staatengemeinschaft nötig machen", erklärte sie. Großbritannien wäre gezwungen, "seinen bisherigen Ansatz" in der Syrien-Frage zu überprüfen.

Der syrische Informationsminister Omran al-Zoabi erklärte, die Streitkräfte seines Landes würden niemals international geächtete Waffen verwenden. "Wenn wir Chemiewaffen hätten, würden wir sie aus moralischen, humanitären und politischen Gründen nicht verwenden", hieß es in einer Erklärung vor dem Staatsfernsehen.

Die türkische Regierung wies indes Vorwürfe der syrischen Regierung zurück, sie trage Mitverantwortung für den angeblichen Chemieangriff der Rebellen. Dies seien "grundlose Anschuldigen", erklärte ein ungenannter Offizieller der Nachrichtenagentur Reuters.

Übergangsregierungschef gewählt

Erst am Montag hatte es Berichte über einen syrischen Luftangriff auf den Libanon gegeben - zudem wurde von der Opposition ein Übergangspremier ernannt. Man hat den langjährigen Manager Ghassan Hitto zu ihrem Übergangsregierungschef gewählt. 35 von 49 Mitgliedern der Nationalen Koalition hätten nach 14-stündigen Beratungen für Hitto gestimmt, teilte ihr Vertreter Hischam Marwa in der Nacht zum Dienstag in Istanbul mit. Hitto soll Ministerpräsident für die Gebiete im Norden und Osten Syriens werden, die unter Kontrolle der Rebellen stehen.

In Syrien sind nach Berichten Chemiewaffen zum Einsatz gekommen. Wenn sich die Berichte bestätigen, könnte es zu drastischen Konsequenzen kommen: US-Präsident Barack Obama und die NATO haben den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad wiederholt davor gewarnt, Chemiewaffen gegen die Rebellen einzusetzen. Andererseits besteht seit langem die Sorge, dass die Kampfstoffe in die Hand von radikalen Gruppen fallen könnten. Im Folgenden ein Überblick zu den Chemiewaffen, deren Besitz das arabische Land bestätigt hat.

Syriens Vorräte an Chemiewaffen gelten als die größten in der Region und sollen unter anderem aus Sarin, Senfgas und VX bestehen. Nach den Niederlagen in den Kriegen gegen Israel in den Jahren 1967, 1973 und 1982 begann die Regierung in Damaskus in den frühen 1980er-Jahren, ein Arsenal an Chemiewaffen zu unterhalten und durch Zukäufe zu erweitern. Der Aufbau eigener Produktionsstätten begann bereits 1971 in Damaskus.

Experten von Global Security haben vier mutmaßliche Produktionsstätten ausgemacht: Zum einen nördlich von Damaskus und nahe der Industriestadt Homs. In Hama soll eine Anlage neben Sarin und Tabun auch VX herstellen. Eine vierte Stätte soll sich in der Hafenstadt Latakia am Mittelmeer befinden.

Experten von Global Security schätzten unter Berufung auf den US-Geheimdienst CIA, dass mehrere Hundert Liter Kampfstoff vorhanden sind und jährlich Hunderte Tonnen Vorläuferstoffe produziert werden. Das Land soll der Nuclear Threat Initiative (NRI) zufolge über Scud-und SS-21-Raketen, Artilleriegeschosse und Bomben als Trägersysteme verfügen. Die Regierung in Damaskus hat die Chemiewaffenkonvention von 1992 nicht unterzeichnet, die den Einsatz, die Herstellung und Lagerung von chemischen Kampfstoffen untersagt.

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