Ranghoher Kurden-Politiker wirft Erdoğan "Staatsterror" vor

Der Chef der Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtas, ist im Gefängnis
Vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei kritisiert Hişyar Özsoy auch die "Appeasement"-Politik der EU.

Der Kurden-Politiker Hişyar Özsoy (Bild unten) nimmt sich kein Blatt vor den Mund und geht im KURIER-Gespräch hart ins Gericht mit Recep Tayyip Erdoğan. Der türkische Präsident habe weite Teile des Landes in ein "Schlachtfeld" verwandelt. Er gehe mit äußerster Brutalität gegen seine Gegner vor. Wörtlich spricht der Vize-Vorsitzende der Kurdenpartei HDP von "Staatsterror" der AKP-Regierung.

Seine Volksgruppe und deren Repräsentanten würden ganz besonders darunter leiden. "Unsere beiden Parteichefs sind ebenso in Haft wie elf weitere HDP-Abgeordnete. Dazu kommen 3000 Politiker von uns, die ebenfalls im Gefängnis sitzen", erläutert Özsoy, gegen den derzeit auch zwei Verfahren laufen, wegen Beleidigung des Staatspräsidenten und angeblicher Kontakte zu Terroristen. Es habe eine "Hexenjagd" gegen Kurden eingesetzt – mit dem Ziel, "uns mundtot zu machen".

Ranghoher Kurden-Politiker wirft Erdoğan "Staatsterror" vor
HDP-Vizechef Özsoy, Türkei
"Wir stellten Bürgermeister in rund 100 Gemeinden, 80 wurden einfach abgesetzt, jetzt haben AKP-Bürokraten dort das Sagen", beschreibt der HDP-Vize die Situation. Erdoğan schüre vor dem Verfassungsreferendum, mit dem er sich weitgehende Vollmachten sichern will, bewusst ein Klima der Angst. Jeder, der sich für ein "Nein" ausspreche, werde von ihm als "Terrorist" verunglimpft. "Wir werden trotzdem versuchen, dagegen zu mobilisieren", sagt Özsoy, "aber wegen des geltenden Ausnahmezustandes können unsere geplanten Demonstrationen jederzeit verboten werden."

Die Änderungen lehnt die HDP grundlegend ab, weil es dann keine Gewaltenteilung mehr gäbe. Die ganze Macht würde beim Präsidenten liegen, das Prinzip der "checks and balances" gänzlich verschwinden. "Schon bisher hatten wir keine echte Demokratie, aber immerhin bestand sie auf dem Papier. Kommt das neue Grundgesetz, ist auch das weg", so der Politiker.

Militärcoup?

Trotz aller Einschränkungen glaubt er aber, dass das "Nein"-Lager gewinnen kann (Umfragen sagen ein ganz knappes Rennen voraus). Ändern werde sich dadurch kurzfristig zwar auch nichts, "weil Erdoğan ja weiterhin Präsident" bliebe, aber seine Glaubwürdigkeit wäre angekratzt. Und es könnte eine "neue politische Dynamik" Platz greifen. Ein "Ja" hingegen würde die jetzige Situation für lange Zeit einzementieren, befürchtet Özsoy.

Ändern ließe sich das dann nur schwer. "In Wahrheit gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder es findet sich im Parlament eine Zweidrittel-Mehrheit, die eine Rückkehr zur Demokratie beschließt. Doch dieser legistische Weg ist derzeit leider ausgeschlossen – die HDP stellt nur 59, die andere Oppositionspartei CHP 133 der 550 Abgeordneten. Oder es kommt neuerlich zu einem Militärputsch", analysiert der HDP-Vize-Parteichef, der in der Vorwoche in Wien für seine Anliegen warb und unter anderem mit der Grün-Abgeordneten Berivan Aslan zusammentraf.

"Ein Monster kreiert"

Von der EU erwartet er sich mehr Unterstützung und kritisiert auch deren "Appeasement"-Politik: "Alle wissen, was in meinem Land vorgeht, aber alle schauen weg. Europa hat so ein Monster kreiert und muss jetzt damit leben." In Anspielung auf den Flüchtlingspakt mit der Türkei, der hauptverantwortlich dafür ist, dass auf der Westroute nun deutlich weniger Migranten kommen, wirft Hişyar Özsoy der EU vor, "kurzfristige Interessen zu verfolgen".

Die unter anderem auch von Österreichs Außenminister Sebastian Kurz vertretene Forderung, die EU-Beitrittsgespräche mit Ankara aufgrund des autoritären Kurses von Erdoğan auf Eis zu legen, hält der Kurden-Politiker für richtig. Das wäre zwar nur eine symbolische Geste, weil der Prozess derzeit ohnehin nicht stattfinde, aber eine klare "Botschaft" an den türkischen Staatschef.

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