Riskantes Spiel mit Zerfall Großbritanniens

Theresa May kündigt vor Downing Street 10 die Neuwahlen an
Premierministerin May steuert Neuwahlen am 8. Juni an, um die gelähmte Labour-Opposition an die Wand zu spielen. Doch die Gefahr lauert oben im Norden.

Wenn Theresa May eine Spielart der Politik gut beherrscht, dann ist es die, ihre wahren Pläne perfekt geheim zu halten. Die Premierministerin, die politisch als äußerst zugeknöpft gilt, umgibt sich mit einem winzigen Küchenkabinett an engen Vertrauten – und nur mit diesen spricht sie sich, in den wirklich heiklen Fragen ab. Wann May, die seit ihrer Amtsübernahme vorzeitige Neuwahlen stets ausgeschlossen hat, die Kehrtwende beschloss, ist daher schwer auszumachen.

Gigantischer Vorsprung

Klar ist nur, welcher Verlockung sie dabei erlegen ist: Ein unaufhaltsam anwachsender Vorsprung in den Meinungsumfragen. Bis zu 20 Prozentpunkten Vorsprung auf die oppositionelle Labour-Partei geben die Meinungsforscher derzeit den regierenden Tories. Damit könnte May, die ja im vergangenen Sommer für den nach dem Brexit-Referendum zurückgetretenen David Cameron einspringen musste, am 8. Juni eine Mehrheit holen, wie sie die Konservativen seit den Zeiten Margaret Thatchers nicht mehr hatten. Die wie so oft hilflose Reaktion von Labour-Chef Jeremy Corbyn, der die Wahlankündigung für seine Partei gleich einmal eilfertig abnickte, macht ein Desaster für seine Partei vorerst tatsächlich mehr als wahrscheinlich. Unter dem linken Europa-Skeptiker Corbyn hat Labour als Antwort auf den Brexit tatsächlich nicht mehr zu bieten als das lahme Versprechen, einen anderen, sozial gerechteren Austrittskurs aus der EU steuern zu wollen.

Zweifel am harten Brexit

Dass der EU-Austritt für sie ausgemachte Sache ist, daran hat May nie einen Zweifel gelassen. Doch der harte Brexit, den sie immer wieder als Ziel in den Raum stellt, also der kompromisslose Abbruch aller Brücken zur EU, ist vor allem Verhandlungstaktik. Als politische Pragmatikerin weiß May, dass Großbritannien enge wirtschaftliche Verbindungen zur EU braucht. Doch die sogenannten "Brexiteers also jene Politiker, die sich ständig für ein kompromissloses Auftreten gegenüber der EU stark machen – allen voran Außenminister Boris Johnson – sind für May wie ein Klotz am Bein. In dem sich jetzt schon abzeichnenenden mühsamen Tauziehen mit der EU können sie der Premierministerin ständig Schwäche und allzu große Kompromissbereitschaft vorwerfen. Kein Zweifel, dass gerade der charismatische Hasardeur Johnson jede Gelegenheit nützt, um sich weiter zu profilieren. Ein Wahlsieg Mays würde es leichter machen, diese lästigen Zwischenrufer zu ignorieren.

Zerfall Großbritanniens droht

Schwächt die Wahl die parteiinternen Gegner, droht sie dagegen andere noch stärker zu machen. Allen voran die in Schottland regierenden Nationalisten der SNP. Eine klare Mehrheit der Schotten hat im Vorjahr gegen den Brexit gestimmt, ganz im Sinne der SNP, die ja mit Schottland Großbritannien verlassen und in der EU bleiben will. SNP-Chefin Nicola Sturgeon hat sofort klar gemacht, dass sie die Neuwahl zu einer Abstimmung über den Brexit und damit über die Unabhängigkeit Schottlands machen will. Ein klarer SNP-Sieg im Juni würde den Ruf nach einem neuen Unabhängigkeits-Referendum für Schottland – das erste ging 2014 dagegen aus – noch lauter machen.

Ähnliches droht in Nordirland, wo die pro-irischen Nationalisten der Sinn Fein immer stärker werden. Sie liebäugeln mit der Vereinigung der Provinz mit der Republik Irland, womit man ebenfalls in der EU bleiben könnte.May muss also in den kommenden Wochen ihren Brexit-Kurs gegen ganz unterschiedliche Gegner verteidigen, wird also nicht darum herumkommen, diesen Kurs ganz klar zu definieren. Bleibt sie bei ihrem bisherigen Taktieren,um den scheinbar sicheren Wahlsieg nicht zu gefährden, riskiert sie den ohnehin nicht mehr auszuschließenden Zerfall Großbritanniens – und damit eine tatsächlich historische Niederlage.

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